Alina Schwarz oder Noack
Curriculum Vitae
alinaoack
[01] MAIN-TENANT DER LESER_INNENSCHAFT


– folgt –
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Ich beschließe Subjektivität ist räumlich und arbiträr.
Ich beschließe Körper ist Subjektivität ist räumlich und arbiträr
– folgt –
[02] EXPORT-SCHLAG

– folgt –
Institutions:
Kunsthalle Zürich, Reading Rämistrasse
– folgt –
[03] DER ARBITRÄRE RAUM / RÄUMLICHE ARTIKULATION DES POST-STRUKTURALISTISCH FEMINISTISCHEN SUBJEKTS, DURCH KÖRPER UND SPRACHE KONSTITUIERT







Der arbiträre Raum ist die räumliche Artikulation des poststrukturalistisch feministischen Subjekts. Dieses Subjekt ist meta-physisch räumlich, es ist bewegt und durch Körper und Stimme konstituiert. Ausgehend einer kritischen Relektüre der beiden feministisch aufbegehrenden Texte, Das Lachen der Medusa und Writing as a Nomadic Subject, entfacht sich eine Betrachtung mitunter um die Beteiligung des (weiblichen) Körpers an (weiblicher) Textarbeit, ergo Sprache. Die beiden feministischen Philosophinnen Rosi Braidottis und Hélène Cixous theoretisieren Subjektivierung als Prozess des Werdens. Ihrer These zentral ist die Beteiligung des Körpers als Wissensapparat und die Entfaltung der Sprache als kreatives Feld. Braidotti und Cixous referenzieren dabei allegorisch argumentierende Raumbegriffe, unteranderem in Anlehnung an Gilles Deleuze undFélix Guattari. Den beiden poststrukturalistischen Denkern gehen diverse materialistische Theoretiker_innen voraus, die den Begriff des Raums nicht allegorisch zur Illustration ihrer Argumentation installieren, sondern Raum, als meta-physisches Konstrukt, materiell manifestiert sehen. In der Logik der Letzteren suche ich mit den surrealistischen Mitteln Rem Koolhaas und Salvador Dalís, oszillierend zwischen Research und Practice, nach einer materialistischen Manifestation dieses post-strukturalistisch, feministischen Subjekts als arbiträrer Raum.
The arbitrary space is the spatial articulation of the post-structuralist feminist subject. This subject is spatially meta-physical. It is constituted by body and voice. Based on a critical re-reading of the two seminal feminist texts, namely The Laugh of Medusa and Writing as a Nomadic Subject, I consider the (female) body being constitutive to (female) textual work, thus language. The two influential feminist philosophers Rosi Braidottis and Hélène Cixous theorize subjectivity as an ongoing process of becoming. Their theses emphasize the active role of the body as a source of embodied knowledge and language liberated from its structuralist constraints. They draw on allegories of space, influenced by post-structuralists Gilles Deleuze and Félix Guattari. Antecedent to these are materialist theorists who perceive space not allegorically, but as metaphysics potentially materialized. In the logic of the latter and by Rem Koolhaas and Salvador Dalís methodic means, I am seeking a materialist manifestation of the post-structuralist feminist subject as arbitrary space.
  • 180 Seiten
Intitutions:
Technische Universität Wien
Akademie der bildenden Künste Wien
Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich

Teachers: 
  • Wilfried Kuehn Univ. Prof. Dott.arch.,
  • Vera Bühlmann Univ.Prof.in Dr.in phil.
  • Felicitas Thun-Hohenstein Ao.Univ.-Prof. Doz. Mag. Dr.
  • Josephine, Jo Baan
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Ich beschließe Subjektivität ist räumlich und arbiträr.
Ich beschließe Körper ist Subjektivität ist räumlich und arbiträr





1 Barad, Karen: On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am, 2021, https://www.youtube.com/watch?v=l9OQjStWVGg&t=34s
2 Dudenredaktion, Duden online: Alterität, https://www.duden.de/rechtschreibung/Alteritaet
3 Dudenredaktion, Duden online: Arbitrarität, https://www.duden.de/suchen/dudenonline/Arbitrarität
4 Rimbaud, Arthur: Seher-Briefe, 1871
5 Performativ steht hier nicht im Zeichen Judith Butlers, obwohl auch deren Performativität innerhalb dieser Arbeit besondere Aufwendung findet. Performativität meint laut Duden: „Hervorbringung neuer Wirklichkeit 1durch kulturelle Vorgänge und Erscheinungen; Gebrauch: Kulturwissenschaften“. Prof. Philip Ursprung, Kunst- und Architekturhistoriker, etabliert, nebst Anderen, die Performative Kunstgeschichte als Ansatz zur Begegnung, Analyse und Interpretation von künstlerischen Werken. Performativität scheint darin die kunstgeschichtliche Rezeption, durch die Stimme der Rezipient_innen zu aktivieren. Die Rezipient_innen nehmen aktiv, performativ an der Gestaltwerdung von Kunstwerken teil, indem sie diesen empirisch begegnen und so eigene Geschichten in Gang setzen. – vgl. Ursprung, Philip: Die Kunst der Gegenwart – 1960 bis heute, 1988
6 siehe meta-Physik des Raumes in poststrukturalistischer Philosophie und ein erster Ausblick auf die feministische Theorie
DER ARBITRÄRE RAUM / RÄUMLICHE ARTIKULATION DES POST-STRUKTURALISTISCH FEMINISTISCHEN SUBJEKTS, DURCH KÖRPER UND SPRACHE KONSTITUIERT

        Schimmernder Forschungshorizont 

Der arbiträre Raum,
räumlich, relationale Artikulation 
des poststrukturalistisch, feministischen Subjekts,
durch Körper und Sprache konstituiert
– Begegnungen feministischer Theorie, Rosi Braidotti und Hélène Cixous

„When two hands touch, there is a sensuality of the flesh, an exchange of warmth, the feeling of pressure of presence, a proximity of otherness that brings the other nearly as close as oneself, perhaps closer. And if two hands belong to one person, might this not enliven an uncanny sense of the otherness of the self, a literal holding oneself at a distance, in the sensation of contact, the greeting of the stranger within. So much happens in a touch, an infinity of others, other beings, other spaces, other times are aroused.“
“[…] hence self-touching is an encounter with the infinite alterity of the self.”1
Karen Barad, On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am

Alterität 
„Bedeutungen:
partielle interkulturelle Andersartigkeit, Verschiedenheit 
[Gebrauch:] Völkerkunde
Identität stiftende Verschiedenheit zweier aufeinander bezogener, sich bedingender Identitäten
[Gebrauch:] Philosophie, Psychologie
Synonyme zu Alterität:
Divergenz, Unterschied, Verschiedenheit“2

Arbitrarität
„Bedeutung: 
Beliebigkeit des sprachlichen Zeichens im Hinblick auf die Zusammengehörigkeit 
von Signifikant 
und Signifikat“3
„Je est un autre“4 Arthur Rimbaud, Lettres du voyant 
Forschungsfragen

Ist Körper an Sprache konstitutiv beteiligt? 
Ist Körper an Subjektivität konstitutiv beteiligt?
Sind Körper und Sprache konstitutiv beteiligt an Subjektivität und Subjektwerdung? 

Ist Sprache an Raum beteiligt?
Ist Körper an Raum beteiligt?
– allegorisch oder architektonisch? 

Inwieweit ist ein solcher allegorischer Raum feministisch theoretisiert? 
Und Inwieweit ist dieser allegorische Raum auch architektonisch artikuliert? 

Im Wesen einer poststrukturalistischen Sprache spreche ich inkonsistent. 
Im Wesen einer poststrukturalistisch, feministischen Theorie ist mein Körper kontingent. 

Ist wandelnde Subjektivität und Subjektwerdung räumlich artikuliert, 
oder poststrukturalistisch bloß räumlich allegorisch argumentiert?

Sichtbare, architektonisch artikulierte Räume, 
ausgehend des sich wandelnden Subjekts des Werdens, 
durch Körper und Sprache konstituiert.


        Absichtserklärung 

Ich theoretisiere einen arbiträrer Raum, als räumliche Artikulation des poststrukturalistisch, feministischen Subjekts, durch Körper und Sprache konstituiert.
Dazu sehe ich mir Hélène Cixous, Das Lachen der Medusa, in Bezug zu Körper und Sprache an.
Dazu sehe ich mir Rosi Braidotti, Writing as a Normadic Subject, in Bezug zu Sprache und Körper an.
Beide Stimmen begegnen einander und kreisen um eine gemeinsame Mitte
– Motive dieses von mir theoretisierten Raumbegriffs. 
Ich beschließe Subjekt und Raum sind arbiträr. 


        Einleitung

Meine Arbeit bewegt sich als artistic Research oszillierend zwischen Research und Practice. Sie theoretisiert einen poststrukturalistisch, feministisch argumentierten Raumbetriff (Research) und artikuliert diesen in videographisch dokumentierte Performances (Practise). Sie mag sich zwischen den Feldern der Literatur, Philosophie, Architektur und Performancekunst bewegen und geht dabei sehr subjektiv, eklektizistisch und performativ5 vor.

Die beiden feministischen Philosophinnen Rosi Braidottis und Hélène Cixous theoretisieren Subjektivierung, als maßgeblich durch Sprache und Körper konstituiert. Ihrer These – Subjektivität im Prozess des Werdens – zentral ist eine körperliche Beteiligung (Körper als intuitiver Wissens- und Erfahrungshorizont) und Aufdeckung der poststrukturalistischen Identität von Sprache (Sprache, nicht länger im Zeichen von Logos argumentierend, sondern sich vollumfänglich in ihrer Arbitrarität ausdrückend). Braidotti und Cixous referenzieren dabei allegorisch argumentierende Raumbegriffe, unteranderem in Anlehnung an Deleuze und Guattari (Deterritorialization, Nomadismus und Rhizom).6 Den beiden poststrukturalistischen Denkern gehen diverse materialistische Theoretiker_innen voraus, die den Begriff des Raums nicht allegorisch zur Illustration ihrer Argumentation installieren, sondern Raum, als meta-physisches Konstrukt, materiell manifestiert sehen. Wo einstweilen diese Philosoph_innen Raum am Ende ihrer theoretischen Argumentation sahen, stelle ich Raum voraus. Ähnlich meinen Vordenker_innen, die Raum zugleich von Gesellschaft ausgehend als auch diese prägend betrachten, treffe ich die Annahme, dass Raum zugleich vom Subjekt ausgeht und dieses prägend ist. Gesellschaft ist bewegt, – genauso ist es mein poststrukuralistisch, feministisches Subjekt. Beweglichkeit steht im Zentrum meiner Theorie des arbiträren Raums, der durch Körper und Sprache konstituiert ist. Ich hangle mich entlang verschiedener Raum- und poststrukturalistisch, feministischer Theorien, die einzelne Perlen meiner Argumentation sind. Ich knüpfe sie zu einem Collier, das das künstlerische Finale meiner hier vorliegenden Arbeit ist. 

Ich beschließe Subjektivität ist räumlich und arbiträr.
Ich beschließe Körper ist Subjektivität ist räumlich und arbiträr.

Diesen arbiträren Raum begreife ich als meinen Körper kontinuierlich umgebend. Mein Körper, ergo mein Subjekt formen diesen prozessual veränderlichen Raum, entsprechend der Bewegung meines Körpers, ergo der Bewegung meines Subjektwerdens. Körper ist in Cixous und Braidotti, und in Bezugnahme zu Deleuze und Guattari, als Konstitutionsfaktor von bewegter, allegorisch räumlich artikulierter Subjektwerdung, ergo Subjektivität beteiligt. 
Ich beschließe Sprache ist Subjektivität ist räumlich und arbiträr.
Sprache begleitet diesen Prozess wesentlich, als da sich diese Theorie vor dem Hintergrund der poststrukturalistischen Theorie abspielt, die Sprache in ihrer konsensualen Sinn- und Normbildung zu destabilisieren sucht, in dem sie die Arbitrarität zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem zu einem Feld kreativer Entwicklung und Subjektwerdung erklärt. 

Arbiträrer Raum – ein Raumbegriff, der abseits des euklidisch, architektonischen Raums steht. Ein Raum, der sich jenseits von Begrenzungslinien, als Linie selbst bewegt, als verzweigtes Geflecht, das über und über fortführt, von mir selbst ausgehend ausschwärmt in die Komplexität dessen, was mich zu umgeben scheint. 
Arbiträrer Raum – die Überlagerung zweier Koordinatensysteme meta-physischer Räume – des das-Subjekt-umgebenden Raumes und des vom-Subjekt-ausgehenden Raumes.  

In der Linie die ich zeichne, 
zeige ich ein Bild von mir.
Ich, aufrührerisch, Ungestüm. 
Entlang dieser Linie tänzelt mein Subjekt,
In einer tänzerischen Figur, bewegte Form.
[04] PHILOSOPHIEGESCHICHTLICHE KONTEXTUALISIERUNG EINER METAPHYSISCHEN RAUMTHEORIE

– folgt –
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7 Meinen Begriff der meta-Physik führe ich in Anlehnung an Jaques Derrida ein. Er unterscheidet sich von der traditionellen Metaphysik und dessen philosophischen Kontext, wie ich später beschreibe.
8 Dudenredaktion, Duden online: Raum, https://www.duden.de/rechtschreibung/Raum
9 Stanford Encyclopedia of Philosophy: https://plato.stanford.edu/entries/metaphysics/
10 ebd.
11 ebd.
12 Stanford Encyclopedia of Philosophy: metaphysics, https://plato.stanford.edu/entries/metaphysics/
13 Reinke, Ellen: Derrida, Jacques, Im Fadenkreuz der Tollheit – maintenant die Architektur, 1986, s.20; 
ursprünglich erschienen in La case vide, s.4–19, 1986, Übersetzung aus dem Französischen von Ellen Reinke
14 Derrida, Jacques: Im Fadenkreuz der Tollheit – maintenant die Architektur, 1986, s.1f.; 
ursprünglich erschienen in La case vide, s.4–19, 1986, Übersetzung aus dem Französischen von Ellen Reinke
15 Abyss in Heideggerian sense meint Abgrund. Heideggers Konzept des Abgrunds bezieht sich auf verschiedene Aspekte seiner Ontologie und Existenzphilosophie. Abgrund ist darin ein Schlüsselbegriff, der die Grenzen der menschlichen Existenz, des Seins und die tiefere, verborgene Dimension des Seins herausfordert.
16 Wigley, Mark: A Room by Any Other Name?, 2012
https://www.youtube.com/watch?v=HqgEAHLwmj0
17 Cadavre Exquis: „Jeu de papier plié qui consiste à faire composer une phrase ou un dessin par plusieurs personnes, sans qu'aucune d'elles puisse tenir compte de la collaboration ou des collaborations précédentes.“ – André Breton, Paul Éluard: Dictionnaire abrégé du surréalisme, 1938
18 siehe Einführung in die Kritik Butlers an Cixous und ein Versuch der Destabilisierung des voronthologisch Subjektstatus und Paranoid Critical Method
19 Derrida, Jacques: Im Fadenkreuz der Tollheit – maintenant die Architektur, 1986, s.4f; 
ursprünglich erschienen in La case vide, s.4–19, 1986, Übersetzung aus dem Französischen von Ellen Reinke
20 ebd., s.4
21 Heideggers Fundamentalontologie schlägt vor die Bedeutung vom Sein aus der Perspektive des Daseins zu erschließen und gibt dazu die Existenzialien als Unterscheidungswerkzeug zwischen Sein und Seiendem (Dasein) zur Hand. 
22 Metonymie meint in der Rhetorik „Ersetzung des eigentlichen Ausdrucks durch einen andern, der in naher sachlicher Beziehung zum ersten steht (z. B. Stahl statt Dolch)“ – Dudenredaktion, Duden online: Metonymie, https://www.duden.de/rechtschreibung/Metonymie 
– anstelle von Metaphysik ließe sich hier metonymisch von Architektonik sprechen, und wiederum von Architektur, die diese baulich zu Stein werden lässt. 
23 Hyle meint „Stoff, Materie; (nach Aristoteles) formbarer Urstoff“ –
Dudenredaktion, Duden online: Hyle, https://www.duden.de/suchen/dudenonline/hyle 
– Hyletik bezieht sich, wie ich verstehe, auf Aristoteles Physik, in der Stoff, als dialektisches Gegenüber zur Form, der Metaphysik, firmiert. Die Wortneuschöpfung Heideggers, mit der er die Neubegründung einer philosophischen Denkrichtung andeutet, Hylektik der Tradition, lässt in diesem Zusammenhang die Tradition, eigentlich als Teil der Metaphysik gelesen, zu Hyle, zu Stoff, zu Stein werden. 
24 Derrida, Jacques: Im Fadenkreuz der Tollheit – maintenant die Architektur, 1986, s.6; ursprünglich erschienen in La case vide, s.4–19, 1986, Übersetzung aus dem Französischen von Ellen Reinke
25 vgl. ebd., s.6
26 durch geschlossene Entität möchte ich die offene Subjektivität feministischer Theorie antizipieren, die später in meinem Text ihren Auftritt haben wird, die sich innerhalb dieses äußerlichen Kräftefelds bewegt und zugleich aus sich selbst heraus ein inneres Kräftefeld strahlt – zwei Koordinatensysteme anderen Ursprungs die einander überlagern 
27 ebd., s.4f
28 Die materialistische Theorie besagt, dass das Fundament aller Phänomene, einschließlich der Ontologie, materielle Realität, Physis, ist. 
29 Elden, Stuart: An Architektur – Henri Lefebvre, Die Produktion des Raums, 1998, s.4; 
ursprünglich erschienen als Konferenzbeitrag zur Postmoderne, There is a Politics of Space because Space is Political, 1998
30 ebd., s.5; Elden, Stuart zitiert Lefèbvre, Henri: The Production of Space, 1991, s.402; ursprünglich erschienen 1974
31 ebd., s.5
32 zugleich Teil der Theorie des Materialismus und meiner Theorie der meta-Physik 
33 Elliott, Brian: Benjamin for Architects, Participation and Politics, 2011, s.122
34 Lefebvre, Henri: The Production of Space, 1991, s.19; ursprünglich erschienen 1974
35 Elliott, Brian: Benjamin for Architects, Participation and Politics, 2011, s.122
36 Elliott, Brian: Benjamin for Architects, Participation and Politics, 2011, s.1 u. 7
37 Walter, Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V-1, 1998, s.537f.
38 Walter, Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V-1, 1998, s.532
39 Walter, Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V-1, 1998, s.529
40 Knabb, Ken: Situationist International Anthology, 2006, s.62; ursprünglich erschienen in Les Lèvres Nues #9, Debord, Guy, 1956
41 Walter, Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V-1, 1998, s.533
42 Elliott, Brian: Benjamin for Architects, Participation and Politics, 2011, s.123f.
43 Psychogeographie meint eine Methode der Situationistische Internationale, eng verbunden mit der Methode des Dérive. Sie erforscht mittels psychischer Wahrnehmung die städtische, als auch architektonische Umwelt, deren Strukturen und Handlungsspielräume und hält diese kartographisch fest. 
44 Debord, Guy:The Society of the Spectacle, 2006, s.12; ursprünglich erschienen 1967
45 ebd.
46 ebd., s.12f.
47 Auf „historic mission to establish truth in the world“ komme ich in später in Kapitel 3 zu sprechen – Welche ist die Wahrheit, derer die Situationistische Internationale auf der Spur ist? 
48 ebd., s.154
49 Lefebvre, Henri: The Production of Space, 1991, s.9
50 Diese Argumentationslinie wird später und anderer Stelle in dieser Arbeit von Rosi Braidotti aufgegriffen und dient dieser als Impulsträgerin ihrer feministischen Theorie. 
51 Gilles Deleuze, Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Merve Verlag Berlin, 1992, ursprünglich erschienen 1980, s.658
52 ebd. s.666
53 Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 1916, s.20
54 Dudenredaktion, Duden online: Arbitrarität, https://www.duden.de/suchen/dudenonline/Arbitrarität
55 Dudenredaktion, Duden online: arbiträr, https://www.duden.de/rechtschreibung/arbitraer
56 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, 2021, s.212; ursprünglich erschienen 1990
57 vgl. Cixous, Hélène: Das Lachen der Medusa, 1975
58 Braidotti, Rosi: Writing as a Normadic Subject, erschienen in: Comparative Critical Studies, 2014, s.163
59 ebd., s.181f.
60 Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter dient meinem Vorhaben, eines feministisch argumentierten Raums, als Gedankenbrücke in zeitgenössische queer-feministische Diskurse, innerhalb welcher Hélène Cixous in Kritik gerät. In dem Kapitel Judith Butlers Kritik, elaboriere ich dezidierter diese beiden scheinbar divergierenden Positionen und nehme sie an dieser Stelle überblicksweise vorweg. 
61 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.70
62 Ferdinand Saussure begründet den Begriff der Semiotik, ohne zu ahnen, welche weitreichenden, philosophischen Kreise seine Theorie nach sich ziehen würde: „Vorstellbar wäre demnach eine Wissenschaft, die das Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht; […] wir nennen sie fortan Semiologie (von griechisch sēmeîon ‚Zeichen‘). Sie würde uns lehren, woraus Zeichen bestehen und welchen Gesetzen sie gehorchen. Da es sie bislang nicht gibt, kann man noch nicht sagen, was sie sein wird; aber sie hat ein Recht zu existieren; ihr 
Platz im Gefüge der Disziplinen steht von vornherein fest.“ – Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 1916, s.20
63 Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 1916, s.10
64 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.70
65 Derrida, Jaques: Grammatologie, 1983, s.19
66 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.75
67 ebd., s.209f.
68 ebd., s.211
69 ebd., s.213
70 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.34
71 ebd., s.34
72 ebd., s.51
73 ebd., s.155
74 Vgl. ebd., s.19
75 Vgl. ebd., s.19
76 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.209
77 ebd., s.216
78 ebd., s.12
79 Hier sei ein Hinweis auf Kritik an Butler gegeben, die von Seitens queer-, trans-, intersexueller und aufklärungsaktiver Personen verlautbar wurde. Diese bezieht deutlich Stellung gegen Butlers Vorhaben parodistischer Praktiken zur Vervielfältigung von Körper, Geschlecht, Geschlechtsidentität und Sexualität, da diese für diverse Personengruppen Lebensrealität, nicht Spiel sind.

PHILOSOPHIEGESCHICHTLICHE KONTEXTUALISIERUNG EINER METAPHYSISCHEN RAUMTHEORIE      
       meta-Physik7 und Raumtheorie 

Raum
„Bedeutung: 
in Länge, Breite und Höhe nicht fest eingegrenzte Ausdehnung 
[…]
in Länge, Breite und Höhe fest eingegrenzte Ausdehnung
[…]“8

Duden bietet stark divergierende Bedeutungskonnotationen zu Raum an. Räume, die in Länge, Breite und Höhe nicht fest eingegrenzte Ausdehnungen beschreiben, sind räumliche Konzepte abseits euklidischer und physischer Artikulation. Diese dichotome Abgrenzung gegenüber dem architektonisch physischen Raum soll mir helfen meinen arbiträren Raum zu beschreiben. Mein arbiträrer Raum ist ein vom-poststrukturalistisch-feministischen-Subjekt-ausgehender Raum.  Er ist in seiner Konsistenz entsprechend dem philosophiegeschichtlich konnotierten, das-Subjekt-umgebenden Raums beschaffen, – physisch immateriell.
Dieser das-Subjekt-umgebende Raum tritt als strukturelles Konstrukt auf, das den physischen Raum zu gliedern weiß. Er ist dem physischen Raum vor-gängig, er ist meta-physisch. Er ist zugleich passiv produziert, durch soziale und politische Kontexte, und nimmt aktiv an der Bildung dieser teil. Die Philosophie bedient sich rege dieser Raumbeschaffenheit, insbesondere Walter Benjamin und Henri Lefebvre in ihrer Theorie der Raumproduktion, sowie später Félix Guattari und Gilles Deleuze, in deren theoretische Konstrukte und Raumallegorien ich nachfolgend einführe, um entlang dieser meinen Weg zum vom-poststrukturalistisch-feministischen-Subjekt ausgehenden, arbiträren Raum zu ebnen. Dazu möchte ich meinen Begriff des meta-physischen Raums in der Philosophiegeschichte der Metaphysik kontextualisieren, um ihn zu schärfen und für meine Theorie des arbiträren Raums dienstbar zu machen.


        Kurze Philosophiegeschichte der traditionellen Metaphysik

Das Prefix meta “encourage the impression that metaphysics is a study that somehow ‘goes beyond’ physics, a study devoted to matters that transcend the mundane concerns of Newton and Einstein and Heisenberg. [But] this impression is mistaken.”9
Der Begriff der Metaphysik geht auf Aristoteles zurück. Einige seiner Schriften werden in einer späteren Edition als „tà metà tà physiká“, was so viel heißt wie „the after the physicals“, publiziert und legen damit den Grundstein der Metaphysik.10 Metaphysik hieße demnach so viel wie nach-physisch, respektive nicht-physisch, dabei wird vor-physisch dem aristotelischen Vorhaben in seiner Bedeutung am ehesten gerecht. So lässt sich Aristoteles Metaphysik in drei Anliegen umreißen: 
„The subject-matter of metaphysics is ‚being as such’. 
The subject-matter of metaphysics is the first causes of things. 
The subject-matter of metaphysics is that which does not change”11

Aristoteles setzt damit den Grundstein eines Philosophiebegriffs, der sich mehr und mehr weitet zu einem Reservoir philosophischer Probleme, die bislang einer eigenen Begriffsbestimmung entbehrten und sich erst später als eigenständige philosophische Disziplinen begründen – unteranderem die Ontologie, Kosmologie oder transzendental gerichtete Theologie. Mit dieser Begriffsdehnung wird Aristoteles Metaphysik überholt. „[T]hat which does not change”, kann sich nicht weiter als Säule der Metaphysik behaupten, denn “rather suddenly, many topics and problems that Aristotle and the Medievals would have classified as belonging to physics (the relation of mind and body, for example, or the freedom of the will, or personal identity across time) began to be reassigned to metaphysics”12 Körper und Geist, sowie Identität werden Teilgebiete der Metaphysik und erweitern dadurch die Aristotelische Metaphysik um zeitliche und räumliche Veränderlichkeit – Veränderlichkeit, wie sie auch meiner meta-physischen Raumtheorie zentrales Wesensmerkmal ist. Später wird überdeutlich werden, dass gerade diese Veränderlichkeit in der Beziehung von Körper und Geist und Subjektivitätsbildung, die ich aus der poststrukturalistisch, feministischen Theorie Rosi Braidotti und Hélène Cixous deduziere, die meta-physische, räumliche Ebene meines arbiträren Raumes stellt.  
Mein Begriff der meta-Physik steht daher bloß unscharf in Aristoteles Tradition. Am ehesten situiere ich ihn in der Nähe des poststrukturalistischen Philosophen Jaques Derrida, der zu einem späteren Zeitpunkt auch im Kontext zu Hélène Cixous einen Auftritt in dieser Arbeit haben wird.  


        Derridaische Metaphysik des Raumes – Vorweggestellte Einleitung 
        in die Theorie des Poststrukturalismus und ein Exkurs in die Stadt

In Im Fadenkreuz der Tollheit: maintenant die Architektur, 1986, widmet sich Jaques Derrida der Architektur Bernard Tschumis, insbesondere Parc de la Villette, 1983, aber auch Manhattan Transcripts, 1978. Um seine eigene Deutung des Begriffs Metaphysik zu schärfen, referenziert Derrida den Begriff der Architektonik des Martin Heideggers und bezieht ihm gegenüber Position. 

Das französische maintenant grenzt Derrida in seiner für ihn charakteristischen Handschrift von sinngemäßen Konnotationen zur Aktualität und Modernität von Architektur ab. Durch die Methode der Dekonstruktion sucht Derrida konsensual etablierte Wortbedeutungen, die implizit die Vorstellung einer absoluten Wahrheit in sich tragen, zu destabilisieren, indem er ein kreatives Spiel mit der Ambiguität von Sprache eröffnet. Worte können innerhalb diesem zu neuen Notationen gelangen. In einer Fußnote merkt die Übersetzerin dem titelgebenden maintenat die Architektur an: „maintenant – Es gibt tatsächlich kein einzelnes deutsches Wort, das alle Bedeutungen von maintenant enthält. Einfach übersetzt: nun, jetzt, nun also. Aber: Unübersehbar ist im französischen mit main die Hand, mit tenant kommt tenir, halten, ins Spiel. Hier bereits legt Derrida eine Spur zur Philosophie Heideggers […], auch im Zusammenhang dessen, was ‚zur Hand ist‘. Zuhandenheit und Vorhandenheit sind zwei der Heideggerschen Existenzialien. […]“,13 eine Brücke die sich innerhalb dieser Arbeit später schließen wird.
Das Präfix Post, stelle ich, oder viel mehr die allgemeine Philosophiegeschichte, Derridas Vorhaben voran und erkläre ihn dadurch zum Mitakteuer des Poststrukuralismus, obgleich er sich in seinen textlichen Ausführungen gegen eine solche epochale Zuweisung, nicht post-, sondern präventiv zu verwehren weiß: „Diese Posts- und diese Posituren, die sich heute solcherart häufen (Post-Strukturalismus, Postmodernismus etc.) erliegen noch dem Zwang zum Historisieren. Alles macht Epoche […]. Als wolle man wieder einmal Ordnung in eine lineare Abfolge bringen, in Perioden einteilen, zwischen zuvor und danach unterscheiden, die Risiken der Umkehrbarkeit oder der Wiederholung, der Transformation oder der Vertauschung begrenzen: progressistische Ideologie.“14 Derrida entzieht mir, durch diesen unmissverständlichen, wenn auch nicht explizit auf sein Werk verweisenden Hinweis, eine subjektive Deutungshoheit, was meiner Auffassung einer poststrukturalistischen Werksrezeption missfällt. Gleichzeitig stellt er sich im Moment seiner Verweigerung gegen epochale oder kanonische Abgrenzungen, gar der Kategorie als solcher, als Angreifer auf das Feld poststrukuralistischer Argumentation. 
Im Zuge dieser Arbeit und dem Kreise-Ziehen um das, was im Kern einen arbiträren Raum beschreiben können wird, nehme ich laufend diese Art der Abgrenzung und Kategorisierung vor, obgleich es meinem eigentlichen Vorhaben wesentlich widersprechen mag, – ich mich doch von allzu engen Kategorien distanzieren möchte, zugunsten einer nicht-linearen, veränderlichen, feministischen Praxis und eigenen künstlerischen Position. Dennoch scheinen mir diese Kategorien und Begriffe unverzichtbar, um mich entlang dieser auf meiner Suche zu hangeln. Ich versuche mich in eigenen Begriffsdeutungen und -umdeutungen, auch in Bezugnahme zu Anderen philosophischen und künstlerischen Positionen, meinem Ziel anzunähern, da diese Methodiken, als die Mittel, die mir zur Verfügung stehen, Teil meiner Gegenwart, meiner eigenen Realität sind, so wie es auch Derrida mit seiner Methode der Dekonstruktion vollzieht. 
Mark Wigley, der sich zusammen mit Philip Johnson maßgeblich verantwortlich für die 1988 im Museum of Modern Art New York stattfindende Ausstellung Deconstructivist Architecture zeichnet, die die dekonstruktivistische Architektur als Stil oder Strömung erst formuliert, illustriert seine Interpretation von Derridas Dekonstruktion in Beziehung zu Architektur wie folgt: „Deconstruction is a powerful thinking about what structure is, what holds things together. It’s not a stable base at all. When you get down to the bottom of something, when you’re trying to locate which what allows a structure to stand, […] what allows existence itself to occur, it’s all founded on enigmas and gaps. […] If we always use buildings as our image of stable structure, then we learn that structure is really not what we thought. […] The very thing, the destabilizing aspect of deconstructivism, […] this instability, is the very heard of the beauty of architecture, and is the very thing that attracts architects to buildings. Architects are not attracted to buildings because they stand, but because they are full of enigmas, full of mysteries, paradoxes, confusions.
[…] I’ll give you an example. Firstly, when you’re in a room, you’re not aware, that you are in a room. The sense of being-in is exactly the moment when the room disappears. Now when I look at the room, all the things that I took for granted become really strange, - [architectural interventions are there] to hide from you, that the connection in between the wall and the floor is very insecure. They are moving. Everything is uncertain. So, a room, that thing that is taken for granted so strongly, that we are unaware of them, when we are inside them. Once you really look at a room, that certainty falls apart. […] Because structure, that which allows something to stand, and in this case a building, is precisely that which you can never see. The foundation of a building, which allows a building to stand, – if I’ll show you the foundations, the building will fall apart. So that which allows the building to be, that which allows us to be here, is precisely not available to us. So, it’s mysteries, it’s uncertain. Instead, we have images. […] We are here to get suspended in a set of images that represent the idea of a room, but we are actually not in a room as such, instead we are in a set of representations of a thought of a room. 
So, the key strength of this argument, […] revealing the fact that structure doesn’t stand on stable foundations, does not mean that the structure falls. Deconstruction is not about the dismantling of these great assumptions of the wise, of the so-called certainties of our life, – it has the opposite effect. It says what is so strange is that the certainty is founded on uncertainty. […] The classical way would be to say if I expose an uncertainty, the structure becomes weak. The deconstructivism is the demonstration that strength comes from enigma and from paradox and the abyss in an Heideggerian sense.1516
Dekonstruktion heißt nicht alle bestehenden Kategorien zu demontieren um die Struktur als solche sichtbar zu machen – dies käme laut feministischer Kritik dem Unterwerfungswillen des Patriacharts gleich, – sondern mit dessen Mysterien als kreative Mittel zu denken, so wie es in Judith Butlers queer-feministischer Theorie oder Salvador Dalis Cadavre Exquis17 der Fall ist,18 – Klammern, die ich erst an anderer Stelle in diesem Text schließe. Auch zur Architektur Bernard Tschumis und den Manhattan Transcripts kehre ich später zusammen mit Rem Koolhaas Delirious New York zurück, zuerst aber zu Derrida, Heidegger und deren Metaphysik.

Was Derrida unter Metaphysik versteht: „[…] Es gibt eine Architektur der Architektur. […] Diese Architektur der Architektur hat eine Geschichte, sie ist durchgehend historisch. Ihr Vermächtnis enthüllt unsere Wirtschaft, das Gesetz unseres Hauswesens (oikos), unsere familiale, religiöse, politische Oikonomie […]. Es durchwaltet uns derart, daß wir seine Geschichtlichkeit selbst vergessen, wir halten das für Natur.“19 Und weiter: „Ein Unveränderliches, Unbewegtes, Unerschütterbares durchzieht die gesamte Geschichte der Architektur. Eine Axiomatik, das heißt eine organisierte Gesamtheit von grundsätzlichen Bestimmungen, die immer schon impliziert sind. Diese Hierarchie hat sich im Stein verewigt, sie gibt darüber hinaus dem gesamten sozialen Raum seine Form.“20 – eine immaterielle Struktur oder ein meta-physischer Raum, der sich materielle als physischer Stadt- und Architekturraum manifestiert. So argumentieren insbesondere Henri Lefebvre und sein Wegweiser Walter Benjamin.

Der von Martin Heidegger begründeten Fundamentalontologie21 geht eine Kritik an der traditionellen Metaphysik, respektive der Ontologie, der Lehre vom Sein, voraus. Heidegger führt die sogenannten Existenzialien ein, um das menschliche Sein nicht länger, analog zu den dinghaften Seienden, durch Kategorien zu beschreiben. Die Unterscheidung von Sein und Seiendem, von Subjekten und Objekten, wird also durch die Beschreibung durch Existenzialien vollzogen, unteranderem das In-der-Welt-Sein und das dem Sein zuhanden-Seiende. Ich möchte hier an die Anmerkung der Übersetzerin in Derridas Essay anknüpfen. Der Titel maintenant die Architektur bedeutet demnach, dass Architektur dem Menschen zuhanden-sei, – sich durch Architektur der Mensch in seiner Existenz bestätigt weiß. 
Heidegger spricht von der traditionellen Metaphysik als Architektonik, die eine Brücke zu meiner raumtheoretischen Diskussion schlägt. Es ist die Anwendung des Architekturbegriffs, als bauliches Konstrukt, auf eine Art Gesamtsicht oder System, das alle Aspekte des Seins in eine geordnete Struktur zu gliedern versucht. Derrida knüpft daran an: „[D]iese Architektonik der invarianten Punkte bestimmt […] alles das, was man die westliche Kultur nennt und geht damit weit über deren Architektur hinaus. Von daher der Widerspruch, das double bind oder die Antinomie, die gleichzeitig diese Geschichte mobilisieren und verunsichern. Einerseits löscht diese generelle Architektonik die zugespitzte Besonderheit der Architektur oder überschreitet sie; sie gilt auch für andere Künste und andere Bereich der Erfahrung. Wiederum stellt die Architektur dabei jedoch die wirkmächtigste Metonymie22 dar, gibt ihr die solideste Konsistenz, die objektive Substanz. Unter Konsistenz verstehe ich nicht nur die logische Stimmigkeit, diejenige, die sämtliche Dimensionen menschlicher Erfahrung in dasselbe Netzwerk einbindet […]. Aber unter Konsistenz verstehe ich auch die Dauer, die Härte, die monumentale, in Stein oder Holz gegebene Existenz, die Hyletik der Tradition.2324 
Derrida schreibt, Architektur sei die letzte Bastion der Metaphysik.25 Ich lese darin, Architektur ist materialgewordene Architektonik, also durch strukturelle Beschaffenheiten konstituiert, und umgekehrt konstitutiv an der Formung dieser beteiligt. Maintenant die Architektur, die Derrida maintenant, mit besonderer Brisanz ins Jetzt einführt, und maintenant die Architektur, die dem Menschen zuhanden sei, sich also der Mensch durch Architektur in seiner Existenz bestätigt weiß – eine Art der Architektur, die den Menschen nicht innerhalb ihrer materiellen oder immateriellen Struktur in seiner Existenz bestätigt, sondern weil sie, dem Menschen äußerlich, sich als diesem dinglich erweist. 

Die traditionelle Metaphysik überlagert sich hier mit dem Begriff der Architektonik, also der Referenz auf eine architektonische Struktur, die gleichzeitig als Fundament und gliederndes Element des Seins, innerhalb einer hierarchischen Ordnung, dient. Wie bei Derrida wird diese übergeordnete Struktur als Architektur behandelt, (die letztlich auch die bauliche Architektur zu gliedern weiß), und damit eine Neubewertung der traditionellen Metaphysik als strukturelle Architektur verlangt, weshalb ich hier durchaus wage an die Heideggersche und Derridaische Metaphysik anzuknüpfen,
– meiner meta-Physik.

Diesen komplexen philosophiegeschichtlichen Horizont außeracht gelassen, kann des vereinfachten Verständnis halber mein meta-physisch als vor-physisch abgekürzt werden, als dem physischen Raum vorgängig und damit nicht-physisch. Es kann als solches in meiner nachfolgenden Theorie verwandt werden. 

Walter Benjamin und Henri Lefebvre untersuchen (dem Poststrukturalismus vorgängig) Raum auf physischer und zugleich, aufbauend auf der Logik dessen, meta-physischer Ebene. Die beiden marxistisch angelehnten Theoretiker beschreiben städtischen Raum, und schließen daraus Rückschlüsse, insbesondere Lefebvre, auf einen meta-physischen Raum als strukturelles Konstrukt, mäandernd gezeichnet von sozialen Gefällen und machtpolitischen Interessen. Das Subjekt bewegt sich darin als geschlossene Entität26 und ist diesen Kräften passiv ausgeliefert, als auch aktiv an der Konstruktion dieser beteiligt. Lefebvre vollzieht seine Argumentation: „Es ist eine Wissenschaft des Raums zu entwickeln, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung über den Raum, die sich eben nicht allein mit seiner dinglichen Gestalt beschäftigt, [sondern ist der] Raum im Prozess seiner Produktion zu betrachten,“27 was eine Aktualisierung des marxistischen Projekts zur Folge trägt. Raum ist für Lefebvre sowohl Produkt als auch Produzent. Raum wird gesellschaftlich produziert und gleichzeitig reproduziert dieser die Gesellschaft in ihrer Struktur. Das macht Lefebvres Theorie explizit zu einer materialistischen28 Theorie, wodurch sie sich von anderen Raumtheorien, zum Beispiel der von Gilles Deleuze und Felix Guattari, in ihrer Konkretion unterscheidet. Diese materialistische Theorie nimmt maßgeblich an der Konstruktion des physisch materiellen, auch architektonischen, Raums teil. Umgekehrt nimmt dieser an der Konstruktion des Phänomens eines gesellschaftlich und politisch strukturierten meta-physischen Raums teil. 

Lefebvre antizipiert in der „Konstitution einer Wissenschaft von Raum, die nicht mehr länger als neutral oder als jenseits gesellschaftlicher Praxis stehend begriffen werden kann“29 eine progressive Entwicklung in der Raumtheorie, in der er selbst theoriebildendend in Erscheinung tritt. Lefebvre erklärt Karl Marx: „Dinge – für Marx das Produkt gesellschaftlicher Arbeit und zum Tausch bestimmt, und deshalb mit Wert im doppelten Sinn ausgestattet, mit Gebrauchswert und Tauschwert – verkörpern und verbergen gesellschaftliche Verhältnisse. Dinge scheinen demnach diese Verhältnisse zu untermauern. Und dennoch wird aufgrund der marxistischen Analyse deutlich, dass Dinge als Waren aufhören Dinge zu sein. Und, insofern sie Dinge bleiben, werden sie zu ‚ideologischen Objekten‘, die mit Bedeutung überladen sind. Als Waren können Dinge als die Verkörperung gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet werden, ihre Existenz ist dann vollständig abstrakt – so sehr, dass man versucht ist, in ihnen nichts anderes zu sehen, als Zeichen und Zeichen von Zeichen (Geld).“30 – eine Signifikantenkette, die deren letztgültiges Zeichen – Geld – verschleiert. Lefebvre konzipiert analog zu Marx eine Demaskierung des Raumes in seiner doppelten Beziehung sowohl zu seinem Ding-Status als auch seinem nicht-Ding-Status, als gesellschaftliches Konstrukt. „Dieser Raum hat die Eigenschaften eines ‚Ding/nicht Ding‘, da er weder eine substanzielle noch eine gedankliche Realität ist. […] Er ist weder Raum-als-Zeichen noch ein Ensemble mit Raum verbundener Zeichen und hat damit eine andere Wirklichkeit als die der abstrakten Zeichen und realen Dinge, die er enthält.“31

Er ist zugleich Ding/nicht-Ding, materiell/immateriell. 
Er ist zugleich materialistisch und meta-physisch.32

Ich unterscheide so plakativ um meine Argumentation rund um den Begriff der räumlichen Arbitrarität von diesen zwei Satelliten enger zu umkreisen. Was später und gerade im Kontext feministischer Theorie einen besonderen Auftritt hat, habe ich zu diesem Zeitpunkt meines Kreiseziehens noch gar nicht konkret benannt. Es geht um das Subjekt, genauer gesagt um das poststrukturalistisch, feministische Subjekt, dass sich auch als räumlich konstituiert erweisen wird und hier in Gegenüberstellung zu Henri Lefebvres und im Anschluss auch zu Walter Benjamins Subjekt tritt. Im Grad ihrer Agentialität scheinen die Subjekte dabei voneinander unterschieden. So platziert Benjamin den Flaneur in seiner physisch gebauten, räumlichen Umwelt und ruft ihn auf, sich dieser rezeptiv und partizipativ gegenüber zu verhalten,33 während Lefebvre das Subjekt schon als Mitgestalter_in übergeordneter, meta-physischer Strukturen aktiviert sieht.34

„[…] Architecture is appreciated by Benjamin as a powerful source of collective social conditioning, in the sense that it affects social behavior in a largely unconscious manner.”35 – also Raum, der in seiner architektonischen Artikulation soziale Strukturen in ihrer Konstruktion bedingt. In seiner Figur des Flaneurs, die wiederkehrend in seinen Werken in Erscheinung tritt, illustriert Benjamin ein Subjekt, das sich durch seine gebaute Umwelt zugleich rezeptiv und partizipativ bewegt. Dabei bezieht er sich insbesondere auf Gesellschaft und Einzelsubjekt in der Lebensrealität des Kapitalismus. Seine Thesen dazu speist er aus der empirischen Begegnung im Selbstexperiment mit europäischen Metropolen, insbesondere Berlin und später Paris.36 In Das Passagen-Werk, 1927-1940, porträtiert Benjamin den Flaneur in verschiedenartigsten textlichen Exzerpten – einer überbordende Materialsammlung bestehend aus vornehmlich literarischen Referenzen, ergänzt durch eigene Gedankennotizen – wie folgt: „Der Flaneur ist der Beobachter des Marktes. Sein Wissen steht der Geheimwissenschaft von der Konjunktur nahe. Er ist der in das Reich des Konsumenten ausgeschickte Kundschafter des Kapitalisten.“37 Zum Auskundschaften geschickt, verfügt der Flaneur über intrinsisches Wissen, um die Logiken des Kapitalismus zu unterwandern. Der Flaneur ist also zugleich passiv wahrnehmend, und aktiv agierend. „1839 war es elegant, beim Promenieren eine Schildkröte mit sich zu führen. Das gibt einen Begriff vom Tempo des Flanierens in den Passagen.“38 behauptet Benjamin illustrierend – der Flaneur, entschleunigt durch die „Dialektik der flanerie: einerseits der Mann, der sich von allem und allen angesehen fühlt, der Verdächtige schlechthin, andererseits der völlig Unauffindbare, Geborgene. Vermutlich ist es eben diese Dialektik, die ‚Der Mann der Menge‘ entwickelt.“,39 Dialektik zwischen Verführung und Kapitulation versus Wahrnehmungsschärfung und Subversion – passiv und aktiv. 
Ich lese in Walter Benjamins Flaneur den Passanten der sich von der Passage gleichzeitig angezogen und abgestoßen fühlt. In seinem Tempo scheint er sich den Spielregeln der Passage zu beugen. Entschleunigt, da er sich den in den Schaufenstern präsentierten Auslagen nicht entziehen kann, er sogar seine Schildkröte zur Flanerie ausführt, einem Sehen und gesehen werden, indem das exotische Tier zum Accessoire avanciert. Das bewegte Tempo der Stadt scheint in keinem Wiederspruch mit dem des Flaneurs. Die Stadt, ergo die Passage, mag getrieben sein von wirtschaftlicher Akkumulation und doch ist der Habitus innerhalb dieses Konsumpalasts von Ruhe und Beobachtungskraft. Eine Beobachtungskraft mit der Benjamin die kritische Wahrnehmung seines Passanten schärft. Der Flaneur ist sich der Beteiligung von Kapitalismus und Konsum an Stadt und Architektur bewusst, ergo an der Bildung sozialer Strukturen, die später Henri Lefebvre explizit als Räume bezeichnen wird. 
Entlang dieser Wahrnehmungsschärfung avanciert die Figur des Flaneurs zu einem inspirierenden Motiv in der Kunst, insbesondere für die Situationistische Internationale. So beschreibt Guy Debord 1956 deren Praxis: „One of the basic situationist practices is the dérive [literally: drifting], a technique of rapid passage through varied ambiances. Dérives involve playful-constructive behavior and awareness of psychogeographical effects, and are thus quite different from the classic notions of journey or stroll.“40

Walter Benjamin führt mit Das Passagen-Werk ein vielteiliges Instrumentenset moderner Stadtforschung ein, dass Mode, Passagen (Shoppingmalls) und die Zweischneidigkeit von Metropolen, derer sich auch der Flaneur nicht entziehen kann, architekturtheoretisch diskutierbar macht. Neben dem Flaneur als einzelnes Subjekt betont Benjamin das Potential kollektivistischer Zusammenkünfte, die die Stadt als Interieur beherbergt: „Straßen sind die Wohnungen des Kollektivs. Das Kollektiv ist ein ewig unruhiges, ewig bewegtes Wesen, das zwischen Häuserwänden so viel erlebt, erfährt, erkennt und ersinnt wie Individuen im Schutze ihrer vier Wände. […] Von ihnen war die Passage der Salon. Mehr als an jeder anderen Stelle gibt die Straße sich in ihr als das möblierte ausgewohnte Interieur der Massen zu erkennen.“41 Die Situationistische Internationale wagt sich sogar noch weiter vor und erklärt die Stadt zum Spiel.42 Auf intuitive, subjektive Weise geben sich die Mitglieder der Situationistische Internationale, neben Guy Debord unteranderem auch Constant Nieuwenhuys und Asgar Jorn, den Tempi, Dynamiken und Strukturen der Stadt hin und lassen sich treiben. Als ästhetische Kategorien gelten Poesie, Subjektivität und Freiheit, mittels derer die Alltagswelt zur Kunst und die Flaneur_innen zu Künstler_innen erkoren werden. Es entstehen nach der Methode der Psychogeographie43 visuelle Poesie und intuitive Kartographie, in der die subjektive Wahrnehmung der Flaneur_innen sich künstlerisch niederschreibt. Die wohl wichtigste Publikation der Situationistische Internationale ist Die Gesellschaft des Spektakels, 1967, in welche der Autor Guy Debord in insgesamt 221 Thesen die Organisation der kapitalistischen Wirtschafts- und Weltordnung als Spektakel offenlegt:
“1 THE WHOLE LIFE of those societies in which modern conditions of production prevail presents itself as an immense accumulation of spectacles. All that once was directly lived has become mere representation.”44
“4 THE SPECTACLE IS NOT a collection of images; rather, it is a social relationship between people that is mediated by images.”45
“5 THE SPECTACLE CANNOT be understood either as a deliberate distortion of the visual world or as a product of the technology of the mass dissemination of images. It is far better viewed as a weltanschauung that has been actualized, translated into the material realm – a world view transformed into an objective force.”46
“221 SELF-EMANCIPATION in our time is emancipation from the material bases of an inverted truth. This ‘historic mission to establish truth in the world’47 can be carried out neither by the isolated individual nor by atomized and manipulated masses, but – only and always – by that class which is able to effect the dissolution of all classes, subjecting all power to the desalinating form of a realized democracy – to councils in which practical theory exercises control over itself and surveys its own action. […]”48

Die Emanzipation vom Spektakel scheint mir eng verwandt mit den Anliegen des Poststrukturalismus und Derridas Dekonstruktion. Bilder werden in ihrem arbiträren Verhältnis zu einer gültigen Wahrheit hinterfragt. Die Konstruktionsmechanismen hinter diesen Bilder als materialisierende Weltanschauung entlarvt. 
Auch die beiden Philosophen Walter Benjamin und Henri Lefebvre argumentieren in dieser Linie. In The Production of Space, 1974, leitet Lefebvre wie folgt ein: „Not so many years ago, the word 'space' had a strictly geometrical meaning: the idea it evoked was simply that of an empty area. In scholarly use it was generally accompanied by some such epithet as 'Euclidean', 'isotropic', or 'infinite', and the general feeling was that the concept of space was ultimately a mathematical one. To speak of 'social space', therefore, would have sounded strange.“49 Gewisser Weise kann Lefebvres Theorie als die Weiterführung Benjamins gedeutet werden, und zwar insofern als da er Benjamins von den Strukturen des Kapitalismus gezeichneten Stadt einen meta-physischen Raum, eine Heideggersche Architektonik, voran stellt – einen meta-physischen Raum, der die Gesellschaft strukturiert und sich dadurch materiell räumlich manifestiert, eben als Stadtraum. Die Wahrnehmungsschärfung die Benjamin mit dem Flaneur vorlebt, bleibt eine vage Vorahnung dessen, was Lefebvre befeuern wird. Subjekte sind laut Lefebvre nämlich aktive Mitgestalter_innen dieses meta-physischen Raums und werden gleichzeitig durch diesen konstituiert. Über Umwege sind sie infolgedessen also auch an der materiellen Manifestation des Stadtraums beteiligt. Die Verbindung zwischen Subjekt und Stadt verschiebt sich in Richtung einer beiderseitig bedingten Beziehung, in der das Subjekt gegenüber der Gesellschaft, beziehungsweise der Stadt, sowohl passiv beeinflusst als auch aktiv einflussnehmend ist. Als wichtigstes Werkzeug zur aktiven Mitgestaltung der Gesellschaft geben nicht bloß Walter Benjamin und die Situationistische Internationale eine geschärfte Wahrnehmung und gesteigertes Streben nach Wahrheit an die Hand, sondern auch Henri Lefebvre. Lefebvre aber erkennt die aktive Beteiligung der Subjekte an meta-phasischer Strukturbildung an, die er als Räume benennt. 


        Metaphysik des Raumes in poststrukturalistischer Philosophie 
        und ein erster Ausblick auf die feministische Theorie

Auch Gilles Deleuze und Félix Guattari sprechen wenige Jahre später über Raum. Ihre Texte bedienen sich zur Illustration ihrer Theorie allegorischer Bilder von Raum und Architektur und sind daher von den vorangegangenen, materialistischen Theorien zu unterscheiden. Ihnen ist eine besondere Handlungsermächtigung und Agentialität des Subjekts eigen, die den Weg zur poststrukturalistisch, feministischen Theorie bahnt.
Die theoretischen Ausführungen von Félix Guattari und Gilles Deleuze, die die beiden insbesondere in Tausend Plateaus: Kapitalismus und Schizophrenie, 1980, konstatieren, erschließen ihren philosophischen, machtpolitischen Horizont durch eine räumliche Allegorie zu Grenzpolitik. Deterritorialization und Nomadismus sind beides zentrale Begriffe ihrer Argumentation. Sie sind als physische Raumerfahrung nachvollziehbar. Deterritorialization bedeutet die Aufhebung territorialer Grenzen. Deleuze und Guattari beziehen diesen Begriff allegorisch auf die Destabilisierung vorherrschender institutioneller Machtstrukturen, die über politische, territoriale Grenzziehung hinaus, als Distributoren sozialer Logiken und Hierarchien, identitätspolitische Grenzen ziehen und sogar Sprachstrukturen und Bedeutungsökonomien bestimmen.50 Der Körper des Subjekts kann sich über territoriale Grenzen hinwegbewegen in einer Geste grenzenlosen Nomadismus. Subjekt und Körper überwinden ihre dualistische Trennung, indem der Körper die Bewegung, die der Geist im Inneren vollzieht, illustriert. Körper und Geist werden eins. Sie bewegen sich über Grenzen hinweg. Von ihnen als Einheit geht Raum aus. Diesen installieren Deleuze und Guattari gleichwertig dem strukturellen Raum gegenüber. Sowohl der strukturelle, das-Subjekt-umgebende Raum als auch der vom-Subjekt-ausgehende Raum zeichnen sich durch Bewegbarkeit aus. Durch die räumliche Artikulation des Struktur- und des Subjekt-Raums wird ein Gleichgewicht zwischen beiden System hergestellt. Dadurch ist das Subjekt im Grad seiner Agentialität gesteigert gegenüber allen vorgängigen Theorien aktiviert. Ein reziprokes Verhältnis entsteht. 
Rosi Braidotti wird explizit an die Agentialität dieses Subjekts anknüpfen. Der Körper ist dabei wesentlich konstitutiv an dieser Bewegbarkeit, dieser Agentialität beteiligt. Was ich arbiträr nenne, hat hier seine Keimzelle. Arbiträr ist der Raum, der vom bewegten Subjekt ausgeht und der wiederum ein arbiträres Verhältnis mit dem ihn umgebenden Raum eingeht. Braidotti knüpft außerdem an Thesen einer Ethik der Affirmation an, – Affirmation zu Vielfalt und Differenz. Daraus wird sich in Braidottis akademischer Laufbahn später eine Beteiligung an New Materialism manifestiere. Dazu später. Welche Rolle allerdings Sprache als dem Körper ebenbürtiger und titelgebender Konstitutionsfaktor von räumlicher Arbitrarität einnimmt, erklärt sich mit Blick auf die Brücke zur Poststrukturalistischen Theorie, die ihren Ursprung in der Linguistik verortet sieht. Bestehende sprachliche Zeichen werden, wie im nachfolgenden Kapitel Nachgestellte Einführung in die Theorie des Poststrukturalismus erklärt, in ihrer systemischen Konstitution dekonstruiert. 
Anders als die materialistischen Philosoph_innen sprechen Deleuze und Guattari in Allegorien und nutzen Raum als konkrete Metapher. In Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, 1980, zeichnen sie in Kapitel 14, Das Glatte und das Gekerbte, zwei verschiedene materielle Räume als eine griffige Metapher von Systemen um machtpolitische Zusammenhänge zu analysieren. „Der glatte Raum und der gekerbte Raum – der Raum des Nomaden und der Raum des Sesshaften […] sind ganz verschieden“51 leiten die beiden Autoren stark vereinfacht ein. Die Metaphorik dieser beiden Räume ist allerdings nicht bloß vage durch die Dichotomie, Nomaden versus Sesshaften, illustriert, sondern sogar als euklidisch bezeichnetes Raummodell: „Glattes und Gekerbtes unterscheidet sich zuerst durch die umgekehrte Beziehung von Punkt und Linie (die Linie zwischen zwei Punkten im Fall des Gekerbten; der Punkt zwischen zwei Linien beim Glatten). Zum zweiten unterscheiden sie sich durch die Art der Linie (gerichtet-glatt, offene Intervalle; dimensional-gekerbt, geschlossene Intervalle). Und schließ gibt es einen dritten Unterschied, der die Oberfläche oder den Raum betrifft. Im gekerbten Raum wird eine Oberfläche geschlossen, und entsprechend den festgelegten Intervallen, nach den festgesetzten Einschnitten ‚teilt man sie wieder auf‘; beim Glatten wird man in einen offenen Raum ‚verteilt‘ […]“52 Keiner der beiden Räume eröffnet eine klare Kategorie, sondern soll das Spektrum, das zwischen ihnen beiden entsteht, helfen Systeme, wie machtpolitischen Distributionslogiken, zu verstehen. Der Pol des glatten Raumes ist ein kontinuierliches System, dessen Punkte in konstantem Fluss sind. Der Pol des gekerbten Raumes ist eine fragmentierte Ordnung spezifischer Segmente, die durch Hierarchien und Kontrollmechanismen gekennzeichnet sind. Der glatte und der gekerbte Raum sind Metaphern für einen meta-physischen Raum, der sich letztlich realräumlich manifestiert. Angenommen der meta-physische Raum strukturiert den realen, architektonischen Raum folgt daraus, der reale, architektonische Raum bestätigt als Medium den meta-physischen Raum und setzt in erneut Instand. Die Dialektik zwischen glattem und gekerbtem Raum stellt die Frage, inwiefern die Struktur des meta-physischen Raums sich auf die Lebensformen der darin lebenden Menschen, als architektonischer Raum, auswirkt.

Während also Deleuze und Guattari über die Installation eines allegorischen Raumbegriffs Machtpolitik verhandeln, macht Benjamin Machtpolitik exemplarisch am Beispiel der Stadt fest und Lefebvre, ohne rhetorische Umschweife, zu einem realräumlich Argument. Lefebvres Produktion des Raums erscheint in Französisch 1974, in etwa zeitgleich mit Hélène Cixous Das Lachen der Medusa, 1975. Obgleich die eine als feministische Literatin und Poetin, und der andere als marxistischer Soziologie argumentieren, scheinen ihre Theorien um gemeinsame Anliegen zu kreisen. Internalisation von Macht und Normativen ist beiden Theorien zentral, gerade bezüglich der Genese eines eigenen Selbst. In ihrem Interesse steht selbstbestimmte Subjektivierung, fern der politischen Ideologien des Kapitalismus und patriarchaler Distributionslogiken.
In Beziehung zu meiner arbiträren Raumtheorie drängt sich schließlich die Frage auf: je glatter das System, desto bewegter das Subjekt?

        Poststrukturalistisch, feministische Philosophie 

Auch Sprache ist ein materialistisches Konzept, so verhandelt der Semiologie Ferdinand Saussure Sprache als konkreten Gegenstand und fordert: „Warum ist die Semiologie noch nicht als autonome Wissenschaft anerkannt, die, wie jede andere auch, ihren eigenen Gegenstand hat?“53

Arbitrarität
„Bedeutung:
Beliebigkeit des sprachlichen Zeichens im Hinblick auf die Zusammengehörigkeit von Signifikant und Signifikat“54

Arbitrarität bezieht sich als Begriff konkret auf die durch die semiotische Wende aufgedeckte Inkongruenz der Bedeutung von sprachlichen Zeichen. Arbitrarität bezieht sich titelgebend auf den Raum, welchen ich innerhalb dieser Arbeit konstatieren möchte, weshalb ich im Folgenden in den Poststrukuralismus, konkret die poststrukturalistisch feministische Theorie einführe, als Grundlage um meine Überlegungen zu einem feministischen Subjekt und einem arbiträren Raum nachvollziehbar zu machen.

Arbiträr
„Bedeutung: 
dem Ermessen überlassen, beliebig; nach Ermessen, willkürlich
[…]
Synonyme zu arbiträr:
Beliebig, wahllos, willkürlich, zufällig“55


        Einführung in die Theorie Braidottis und Cixous

Ich stelle die Frage, wodurch kennzeichnet sich mein poststrukturalistisch, feministisch argumentierter Raumbegriff in Abgrenzung zu den vorangegangenen meta-physischen Raumbegriffen philosophischer Argumentation? Durch die Verschiebung des Ursprungs des räumlichen Koordinatensystems von System zu Subjekt?

„Identität als Praxis, und zwar als Bezeichnungspraxis zu verstehen, bedeutet, die kulturell intelligiblen Subjekte als Effekte eines regelgebundenen Diskurses zu begreifen, der sich in die durchgängigen und mundanen Bezeichnungsakte des sprachlichen Lebens einschreibt.“56 Judith Butlers Theoriebildung ist eine poststrukturalistische Kritik an der strukturellen Institutionalisierung von Logos und Epistemologie, die die Beschaffenheit von Sprache bilden und Abdruck patriarchaler Ordnung sind. Butler schlägt vor im Zeichen des Poststrukturalismus Identitäts- und speziell Geschlechtsidentitäten subversiv zu unterwandern. 
Hélène Cixous geht als Theoretikerin Butler voraus. Sie bietet unterschiedliche Lesarten des (weiblichen) Körpers als Beteiligungsfaktor des (weiblichen) Schreibens an. Laut Cixous nährt sich diese Beteiligung ganz zentral aus dem (weiblich) libidinösen Begehren, sowie aus Unterdrückung und Verdrängung, die als verkörperlichter Erfahrungshorizonte der (weiblichen) Wesenswelt, eingeschrieben sind.57 Judith Butler geht stellenweise gegenüber Cixous in Opposition, insbesondere bezüglich deren naturalistischer Grundannahme eines besonderen weiblichen Begehrens, in Abgrenzung zu anderen Geschlechtern und Geschlechtsidentitäten.
Rosi Braidottis Ausführungen ergänzen Cixous und Butler, um deren zentrales Argument, der Manifestation des menschlichen Körpers durch Sprech- und Sprachakte, sowie machtpolitischer Unterdrückung, in den Kontext zeitgenössischer philosophischer Theorien zu tradieren. Braidotti trifft die These, alle human und non-human agencies seien ontologisch unbestimmt und frei, – einem Seins-Zustand im steten Werden, der dem steten Begehren nach Selbstausdruck folgt. Als Subjekt im Prozess des Werdens bewegen sich human agencies in Anpassung an die Akzeleration und Deterritorialization durch Kapitalismus und Globalisierung, durch die Welt. Braidotti fordert eine Bewusstwerdung dieses Wesenszustands, um Lücken zwischen der vermeintlich starren Konstitution des menschlichen Seins und der Beweglichkeit unser Zeit zu schließen.58 Sie spricht von nomadischen Subjektivität, nicht etwa als Theorie, so wie ich diese hier antizipiere, sondern von Mythos und Fiktion.59
Alle drei argumentieren dabei im Zeichen des Poststrukturalismus, aufbegehrend gegen (Cixous) und innerhalb (Butler und Braidotti) bestehender, universal gesetzter, diskursiver Strukturen und daraus resultierender Limitation des eigenen Selbst bzw. des Subjektivierungsprozess. 

Die poststrukturalistisch, feministisch argumentierte Subjektivierungstheorie plädiert für eine personelle Komplexität jenseits binärer Kategorien, die das Subjekt als räumliche Figur zugänglich macht. Gleich der Raumtheorien von Benjamin und Lefebvre, kann diese räumliche Figur als Raum nicht bloß physisch immateriell verhandelt werden, sondern als materialistisches Konstrukt, das strukturelle Beschaffenheiten in ihrer komplexen Beziehungsstruktur sichtbar macht. Das Subjekt ist in seiner prozessualen Beschaffenheit ein Netzwerk in sich, ein Netzwerk rhizomatischer Verknüpfungen dessen Produkt es ist. 


        Nachgestellte Einführung in Poststrukturalismus

Ich beginne diese Einführung in Sprache und Poststrukturalismus durch entlehnte Worte Judith Butlers. Butler analysiert in Das Unbehagen der Geschlechter, 1990, Körper- und Identitätspolitik im Zusammenhang mit der strukturellen Beschaffenheit von Sprache.60 Auch ihrer Analyse geht eine Einführung in die Terminologie und Mechanismen der semiotische Wende, respektive des Poststrukturalismus, voraus. 
 „Der Strukturalismus setzt die Totalität und Geschlossenheit der Sprache voraus und ficht sie zugleich an. Obgleich Saussure das Verhältnis zwischen Signifikant und Signifikat als arbiträr begreift, platziert er dieses arbiträre Verhältnis in ein notwendigerweise vollständiges, geschlossenes sprachliches System. Alle sprachlichen Termini setzen eine linguistische Totalität der Strukturen voraus, deren Ganzheit unterstellt und implizit erfordert ist, damit jeder Term eine Bedeutung tragen kann. Diese […] Sichtweise, in der die Sprache als systematische Totalität erscheint, unterdrückt jedoch das Moment der Differenz zwischen Signifikant und Signifikat, indem es dieses Moment der Arbitrarität in ein totalisierendes Feld einbindet und vereinheitlicht. Der poststrukturalistische Bruch mit Saussure […] weist sowohl die Totalitäts- und Universalitätsansprüche als auch die Annahme von binären strukturalen Gegensätzen zurück, die implizit bewirken, daß die bestehende Ambiguität und Offenheit der sprachlichen und kulturellen Bedeutung eingeschränkt wird. Durch diese Kritik verwandelt sich die Diskrepanz zwischen Signifikant und Signifikat in die operative uneingeschränkte différance* der Sprache, die alle Referenzialität zu einer potenziell schrankenlosen Verschiebung macht.“61

Judith Butler bezieht sich zu Beginn ihrer Einleitung konkret auf den Semiotiker Ferdinand Saussure, der die sprachwissenschaftlichen Theorie des Strukturalismus entscheidend prägt.62 Saussure theoretisiert die Verbindung zwischen Signifikat/Bezeichnetem und Signifikant/Bezeichnendem. Als Zeichentheorie ausgehend, lässt sich diese auch auf die strukturelle Beschaffenheit von Sprachsystemen beziehen. Sprache ist ein System von Zeichen, in der konsensuale Bedeutungszuweisungen zwischen einem Wort/Signifikant und einem Bild/Signifikat perpetuieret werden. Saussure stellt die Frage: „Was aber ist Sprache als System […]? […] Sie ist einerseits ein soziales Produkt der menschlichen Sprachfähigkeit, ebenso aber ein Komplex aus notwendigen Konventionen, welche die soziale Gemeinschaft sich zu eigen gemacht hat […].“63

In der Sprache als System ruft der Signifikant Haus stets das konsensual, als Konvention bestimmte Bild eines Hauses ab. Dass das Bild eines Hauses nicht zwangsläufig mit seiner Wortwerdung, seinem Zeichen, zu tun hat, beschreibt Saussure als arbiträr. Das Zeichen Haus repräsentiert auf keinerlei nachvollziehbare Weise intrinsische Eigenschaften eines Hauses. Stattdessen ist das Zeichen Haus konsensual als Bezeichnung für das Bild eines Hauses bestimmt. Diese Bestimmung zwischen Zeichen und seiner Bedeutung ist arbiträr, also beliebig und willkürlich, innerhalb eines abgeschlossenen sprachlichen Systems, dem Strukturalismus, dennoch gültig.
In der poststrukturalistischen und später der darauf aufbauenden feministischen Theorie rückt diese Arbitrarität als institutionalisierte, systemische Unterdrückung ins Licht besonderer Aufmerksamkeit, – in diesem Licht lässt sich die Bedeutungsökonomie von Zeichen und Sprache als diskursiv kultiviertes Konstrukt entlarven, „[dass] implizit bewirk[t], daß die bestehende Ambiguität und Offenheit der sprachlichen und kulturellen Bedeutung eingeschränkt wird.“64
In der Theorie des Poststrukturalismus vollzieht sich eine Öffnung dieser systemisch eingeschränkten Bedeutungsökonomie und in der Theorie des poststrukturalistischen Feminismus eine Öffnung, die diese Bedeutungsökonomie als ein patriarchales Konstrukt offenlegt und hin zu einem sprachlichen Feld verschiebt, in der sich frau/mensch arbiträr in ihrer komplexen Subjektbeschaffenheit ausdrücken kann. 
Butler schließt ihre Einleitung in Bezugnahme zu Jaques Derrida und den Begriff der différance.  Différance ist ein Neologismus Derridas, der konkret auf die implizite Doppeldeutigkeit des französischen différer zwischen unterscheiden und aufschieben hinweist. 
Derrida argumentiert: Bedeutungen von Zeichen unterscheiden sich spektral, durch Assoziation und Interpretation. Bedeutungen von Zeichen pendeln zeitverzögert, aufgeschoben, zwischen Intendant_in und Rezipient_in. Sie sind zeitbasiertes, kulturelles Konstrukt. Das geschriebene Wort versucht die Bedeutung des gesprochenen Wortes festzuschreiben und scheitert, da die Bedeutung dessen diesem längst entglitten ist. Ihre Gültigkeit verlässt sie in jedem gesprochenen Wort.
Anders als das gesprochene Wort versteht Derrida das geschriebene Wort nicht bloß als Bedeutung eines Zeichens, sondern sogar als Bedeutung eines Zeichen eines Zeichen. 
In Hinblick aus die an diese Einführung anschließende Lektüre von Das Lachen der Medusa, ist auf die gemeinsam geteilte publizistische Tätigkeit von Jaques Derrida und Hélène Cixous hinzuweisen. Denn auch für Cixous ist die schriftliche Wortwerdung von Sprache zentral.  

„Der Schrift ist es möglich, auf ein gegebenes Zeichen zu referieren, ohne in demselben Zeichen begründet zu sein, es kann Zeichen durch die Entfernung von ihnen selbst referieren. Es ist ein Zeichen des Zeichens. Diese Fähigkeit, den Bezug zu einem bestimmten Zeichen zu unterbrechen, setzt das arbiträre, gewählte, auswechselbare Verhältnis voraus, das in der Linearität und Kombinatorik der Schrift beheimatet ist.“65


        Einführung in die Kritik Judith Butlers an Hélène Cixous und ein Versuch 
        der Destabilisierung des voronthologisch Subjektstatus

Lacan schreibt, durch Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, 1990, gesprochen: „Die ontologische Geste, die einer Sache die Charakterisierung ‚Sein‘ zuerteilt, mobilisiert diese Sache nur in einer Bezeichnungsstruktur, die selbst – wie das Symbolische – voronthologisch ist.“66 Insofern setzt die Psychoanalyse Lacans der Ontologie die autoritative Beschaffenheit der Sprache, die sich in Lacans Theorie als Gesetz des Vaters in die Welt setzt, voraus – ergo, das „‘Sein‘ des Phallus“ geht dem Sein des Selbst voraus.   
Auch Butler folgt der Annahme, Sprache und Diskurs seien voronthologisch, ein Subjekt demnach erst durch die Geste der voronthologischen Bezeichnungspraxis bestimmt. Diese Bezeichnungspraxis setzt sich perpetuierlich fort und schreibt sich als scheinbar feste Identität fest, was Butler Performativität nennt. „Es geht hier nicht um eine Rückkehr zur existentialistischen Theorie des Selbst, das sich durch seine Akte konstituiert. Die existentialistische Theorie hält sowohl für das Selbst wie für seine Akte an einer vordiskursiven Struktur fest. […] Nach diesem Modell kreisen ‚Kultur‘ und ‚Diskurs‘ das Subjekt ein, doch sie konstituieren es nicht.“67 Hingegen „[w]enn die Identität durch einen Bezeichnungsprozeß gesetzt wird, wenn sie immer schon bezeichnet ist und [...] fortfährt zu bezeichnen, läßt sich die Frage nach der Handlungsmöglichkeit nicht mittels des Rückgriffs auf ein ‚ich‘, das vor der Bezeichnung existiert, beantworten.“68  Sondern, so argumentiert Butler, mittels eines durch Wiederholung konstituierten Subjekts, dessen „‚Handlungsmöglichkeit‘ in der Möglichkeit anzusiedeln [ist], diese Wiederholung zu variieren.“69
„Identität als Praxis, und zwar als Bezeichnungspraxis“ ist also durch den Bezeichnungsapparat von Sprache und Diskurs passiv bestimmt, macht sich diesen doch zugleich aktiv zu eigen, um sich ihm spielerisch zu entziehen, Bedeutungen zu verschieben und geschlechtliche Binaritäten zu diversifizieren.
Sowohl Butler als auch Cixous agieren innerhalb poststrukturalistischer Potentiale der Sprache und versuchen diese für ihr Vorhaben zu aktivieren – aufbegehrend gegen, bei Cixous, und innerhalb, bei Butler, bestehender, universal gesetzter Strukturen und daraus resultierender Limitation des Selbst und Identitätsbildung.  
Ihre zentrale Kritik an der strukturellen Beschaffenheit der Sprache, als patriarchal institutionalisiert, teilt Judith Butler mit Cixous, obgleich diese stellenweise stark in ihren Texten, unteranderem in Das Unbehagen der Geschlechter, 1990, in Kritik gerät. Ihre Kritik ist dabei weniger unmittelbar, als vielmehr vermittelt durch ihre Auseinandersetzung mit Cixous Zeitgenossinnen Julia Kristeva, Luce Irigaray und Monique Wittig, zu schließen. Selbst bezieht sich Butler lediglich in wenigen, kurzen Textpassagen auf Cixous oder Cixous Schreibpraxis der écriture féminine. 
Butler kontextualisiert Cixous in der „feministische Debatte des ‚Essentialismus‘“,70 in der sie die Universalität der weiblichen Identität „als verbreitete Strukturen der Unterdrückung, als Mutterschaft, Sexualität und/oder écriture féminine […]“71 polemisiert. Cixous Schreibpraxis stellt sie dadurch auf die Ebene universalistischer, naturalistischer Konzepte, die Mutterschaft und weibliche Sexualität im Gefüge patriarchaler Strukturen institutionalisieren, und sich gleichsam gegen das Anliegen weiblicher Emanzipation, folglich die écriture féminine gegen sich selbst, zu wenden vermag. Butler konstatiert dagegen, durch die Worte Wittigs gesprochen: „Es gibt keine weibliche Schreibweise“.72 „[D]och gibt es natürlich auch das Lachen der Medusa, das – nach Hélène Cixous – die friedliche Oberfläche erschüttert und die Dialektik des Selben und des Anderen enthüllt, wie sie sich über die Achse der sexuellen Differenz vollzieht“,73 schreibt Butler und verweist damit Cixous in die Ecke des Differenzfeminismus, der entsprechend seiner binären Geschlechtertrennung, dem Essentialismus und seinen naturalistischen Universalitätsansprüchen folgt und das Patriachat in seinem universalen Status bestärkt.74 „Allerdings ist die Vorstellung von einem universalen Patriarchat in den letzten Jahren auf breite Kritik gestoßen, weil sie unfähig ist, den spezifischen Vorgehensweisen der Geschlechter-Unterdrückung (gender oppression) in den konkreten kulturellen Zusammenhängen Rechnung zu tragen. […] Diese Form feministischer Theoriebildung ist […] der Kritik anheimgefallen, weil sie die nichtwestlichen Kulturen kolonialisiert und als Träger westlicher Vorstellungen von Unterdrückung dienstbar macht.“75
Butlers Kritik an Cixous scheint stellenweise nachvollziehbar und soll helfen Das Lachen der Medusa in einen diversifizierten Kanon praktizierter Geschlechter (sex) und Geschlechteridentitäten (gender) zu kontextualisieren. Durch die Begegnung und textliche Gegenüberstellung mit Rosi Braidotti allerdings bietet sich eine Lesart, des bei Butler in Kritik geratenen, cixouschen Differenzfeminismus als Affirmation zur Differenz, fernab der Abgrenzung geschlechtlicher Binaritäten, an. Cixous schreibt in Versalien vom feministischen Wir, etwas das Butler problematisiert. „Das feministische ‚Wir’ ist stets nur eine phantasmatische Konstruktion, die zwar bestimmten Zwecken dient, aber zugleich die innere Vielschichtigkeit und Unbestimmtheit dieses ‚Wir‘ verleugnet und sich durch die Ausschließung eines Teils der Wählerschaft konstituiert, die sie zugleich zu repräsentieren sucht.“76
In der Figur des weiblichen Körpers, der durch die ontologische Geste partriachal als Selbst bestimmt ist, allerdings finden die beiden Theoretikerinnen Übereinkunft „[Es] bedurfte einer erneuten Betrachtung des Körpers als stumme, der Kultur vorgängige, auf die Bezeichnung wartende Figur, die sich übrigens mit der Figur des Weiblichen überschneidet, die ebenfalls auf die Einschreibung als Einschnitt des männlichen Signifikanten wartet, um in die Sprache und Kultur einzutreten.“77
Cixous, und später stellenweise auch Braidotti, zelebriert den weiblichen Körper als intuitiven Wissens- und Erfahrungshorizont, gezeichnet von der ontologischen Erweckung durch den männlichen Signifikanten, der eine fortwährende patriarchale Unterdrückung installiert. Butler setzt an gleicher Stelle an, aktiviert die ontologische Erweckung allerdings als Potential, dieses subversiv durch Irritation zu destabilisieren. Sie agiert daher, anders als Cixous nicht im Gestus patriarchalen Umsturzes, sondern im Spiel bedeutungsbeziehender Verschiebungen. 
„Als Strategie, um die Körper-Kategorien zu denaturalisieren und zu resignifizieren, werde ich eine Reihe von parodistischen Praktiken beschreiben […]. Dabei geht es um solche Akte, die die Kategorien des Körpers, des Geschlechts, der Geschlechtsidentität und der Sexualität stören und ihre subversive Resignifizierung und Vervielfältigung jenseits des binären Rahmens hervorrufen.“7879

Das von Cixous und Braidotti proklamierte intuitive Körperwissen möchte ich auch im Lichte Butlers Betrachtungen als wesentlich für meine Gedanken und Video-Performances erachten. Butlers Kritik bewerte ich dabei als Vervollständigung und Möglichkeit eine eigene feministische Position zu beziehen.
[05] DEVENIR DÉVORANT / BEGEGNUNGEN FEMINISTISCHER THEORIE UND KONZEPTUALISIERUNG EINER POSTSTRUKTURALISTISCH, FEMINISTISCHEN RAUMTHEORIE

– folgt –
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80 Bezieht sich auf das eingangs erwähnte Zitat von Arthur Rimbaud: „Ich ist ein anderer“, siehe Fußnote 3
81 Barthes, Roland: Über mich selbst, 1976, s.2
82 Thun-Hohenstein, Felicitas: Lehrveranstaltungsbeschreibung, Morphologie des Körpers und Raums, Akademie der bildenden Künste Wien, Wintersemester 2023 
83 Thun-Hohenstein, Felicitas: Performanz und ihre räumlichen Bedingungen: Perspektiven einer Kunstgeschichte, s.12
84 ebd., s.99
85 ebd., s.98
86 ebd., s.77
87 ebd., s.97
88 ebd., s.26
89 ebd., s.100f.
90 Identifizierungsumarmung taucht als Begriff vielfach in Hélène Cixous philosophisch und literarischem Werk auf, unteranderem in Das Lachen der Medusa
91 Chapuis-Schmitz, Delphine: Lehrveranstaltung der ZHdK, Master Transdisziplinarität, Sommersemester 2023
92 Weidman, Amanda: Voice, in: Keywords in Sound, s.233
93 ebd., s.232
94 LaBelle, Brandon: Lexicon of the Mouth, s.1
95 Weidman, Amanda: Voice, in: Keywords in Sound, s.232
96 ebd.
97 ebd.
98 LaBelle, Brandon: Lexicon of the Mouth, s.2
99 Barad, Karen: On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am, 2021
100 Barad, Karen: On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am, 2021
101 Barad, Karen: On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am, 2021
102 Barad, Karen: On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am, 2021
103 ebd.
104 ebd.
105 Redaktion Art21: Nancy Spero – Collaboration, Episode 158, 2012
106 ebd.
107 Lorde The Uses of The Erotic, in Sister Outsider, 1984
108 ebd.
109 Haensler, Philippe P., Heine, Stefanie, Hubmann, Philipp, Traupmann, Thomas: Der Alltag der Dekonstruktion – Über das Anekdotische bei Hélène Cixous und Jacques Derrida, Klappentext
110 Woolf, Virginia: Die Wellen, 1994, im Original in Englisch erschienen 1931, s.23f.
111 Woolf, Virginia: Die Wellen, 1994, im Original in Englisch erschienen 1931, s.128f.
112 Woolf, Virginia: Die Wellen, 1994, im Original in Englisch erschienen 1931, s.184
113 ebd., s.232
114 ebd., Klappentext
115 Braidotti, Rosi: Writing as a Normadic Subject, erschienen in: Comparative Critical Studies, 2014
116 Woolf, Virginia: Die Wellen, 1994, im Original in Englisch erschienen 1931, Klappentext
117 ebd., 92
118 ebd., s.145
119 Haensler, Philippe P., Heine, Stefanie, Hubmann, Philipp, Traupmann, Thomas: Der Alltag der Dekonstruktion – Über das Anekdotische bei Hélène Cixous und Jacques Derrida, Klappentext
120 Sontag, Susan: Tea with Thomas Mann, erschienen in The New Yorker, Issue ‘Pilgrimage’, 1987 
121 ebd.
122 Sina, Kai: Vielleicht war da auch gar kein Hund, erschienen in Frankfurter Allgemeine, 2016
www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/was-susan-sontag-mit-thomas-mann-verbindet-14376317.html 
123 Sontag, Susan: Tea with Thomas Mann, erschienen in The New Yorker, Issue ‘Pilgrimage’, 1987
124 Braidotti, Rosi: Writing as a Normadic Subject, erschienen in: Comparative Critical Studies, 2014
125 Sontag, Susan: Tea with Thomas Mann, erschienen in The New Yorker, Issue ‘Pilgrimage’, 1987
126 ebd.

DEVENIR DÉVORANT / BEGEGNUNGEN FEMINISTISCHER THEORIE UND KONZEPTUALISIERUNG EINER POSTSTRUKTURALISTISCH, FEMINISTISCHEN RAUMTHEORIE      
Stibitztes être, weil für mich das Französische nicht vorbelastet ist, weil selbst im Werden muss ich noch sein. Und weil die Elster stiehlt, wie Cixous schreibt, stiehlt und sich davonstiehlt. Und weil ich als Autorin Äther bin, être ätherisch. Ich bediene mich an dieser Sprache, um mittels der Übersetzung inhärenten Arbitrarität dem Strukturalismus konsensualer Bedeutungsökonomie zu entfliehen.  

Ich ist eine andere.80
Ich ist die Liebe, die Lust, die Lebendigkeit, die Lieblichkeit, die Heilsamkeit, die Heilung, die Freude, die Architektur, die Tragfähigkeit, die Körperhaftigkeit, die Haltung, die Bewegung, die Statur, die Kunst, die Sprache, die Literatur, die Poesie, die Alliteration, die Anapher, die Alliteration, die Rhetorik, die Philosophie, die Aporie, die Ambivalenz, die Vielfalt, die Phantasie, 
die Frau, die Weiblichkeit, die Nominalisierungssuffixe -keit und -heit.
Ich ist die, die die Welt und ihre Genera weiblich werden lässt.  


        Einführung in kosmische Knoten

„All dies muß als etwas betrachtet werden, was von einer Romanperson gesagt wird.“81
– Roland Barthes in Über mich selbst

Das Lachen der Medusa steht, als flammendes, feministisches Plädoyer, dafür eine Stimme zu finden und in dieser schallend, lachend Ausdruck zu erlangen. Während sich Das Lachen der Medusa konkret auf ein Publikationsdatum beziehen und dadurch einem konkreten Zeithorizont zuordnen lässt, ist Writing as a Normadic Subject keine essayistisch publizierte Arbeit, sondern eine Diskurseinführung und gleichzeitig Zusammenfassung desjenigen Forschungshorizonts, den Rosi Braidotti entlang ihrer textlich theoretischen Arbeit gesäumt hat. Writing as a normadic Subject ist ein komplexes Textreservoir, dass sprunghaft zusammenhangslose Ausschnitte der Philosophiegeschichte miteinander kontextualisiert.
Auf den vorangegangenen Seiten nehme ich Leser_innen an die Hand und führe in meine Textaus-wahl, deren rhizomatische Verknüpfung zu anderen Disziplinen und Diskursfragmenten, ein. Auf nachfolgenden Seiten lasse ich in aufeinander folgenden kosmische Knoten, in einer eklektizistischen Auswahl, meine Lieblingsstellen der beiden Texte miteinander in Konversation treten, als sprunghafte Fetzen ohne finale oder lineare Konkretion. Diese Knoten kreisen als Motive lose um ihre gemeinsame Mitte, der Gestalt des arbiträren Raumes, begleitet durch künstlerische Positionen, in deren Werk sich dieser Raum in meinen Augen Ausdruck sucht. 


        Einführung in kosmisches Koordinatensystem

In der Vorlesung Morphologie des Körpers und des Raumes, welche ich an der Akademie der bildenden Künste Wien belege, begegne ich durch Felicitas Thun-Hohnstein dem Begriff der Performativität, den wir gemeinsam im Zusammenhang mit Raum, und ich in Folge, mit meiner arbiträren Raumtheorie kontextualisiere. Performativität unterscheidet sich hier nicht notwendigerweise von seiner Theoretisierung durch Judith Butler. Butler meint ein Phänomen, das durch wiederholtes Handeln und sprachliches Zuschreiben fiktive Zustände als Faktum zu konkretisieren weiß. Wir meinen es als ein Phänomen, dass das von Butler erweitert, sodass sich fiktive Zustände und Perspektive auch durch wiederholtes empirisches Empfinden konkretisieren können. Dazu aktivieren wir unsere Empfindungs- und Wahrnehmungsapparate, um die rezeptive Ebene des Körpers. 

Im Gestus der Performativität findet ein Kunstwerk sein Finale nicht etwa in dessen Produktion und Vollendung durch die Künstler_in, auch nicht in der Rezeption durch die Betrachter_in, sondern schließlich in der durch den Akt der Rezeption antizipierten Perspektive, mittels derer sich unsere kulturelle Gegenwart performativ, konzeptiv gestalten lässt. Thun-Hohenstein spricht in Anlehnung an José Esteban Muñoz vom „performativen Welten machen“.82 Performativität „[…] wendet sich radikal gegen das kartesianisch-kantisch-euklidische Weltbild, welches das Ich zum distanziert beobachtenden, prinzipiell passiven Subjekt erzogen hätte. [Es] prononciert stattdessen die Bedeutung von empirischem Erfahren zur Erkenntnis von Wirklichkeit als für die Kunst der Moderne entscheidende Komponente.“83 Pawel Florenskij, den Thun-Hohenstein auch an anderer Stelle zitiert, schreibt: „Das Ziel des Künstlers ist die Umgestaltung der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit jedoch ist nur eine bestimmte Organisation des Raums; und folglich ist es die Aufgabe der Kunst, den Raum umzuorganisieren, das heißt ihn auf eine neue Weise zu organisieren, ihn auf eigene Weise einzurichten.“84 Dieser Raum muss also unmissverständlich als Möglichkeit zum performativen Weltenmachens, gar als performative Welt selbst gelesen werden. Er ist inskribiert in ein meta-physisches Koordinatensystem, das das bisherige Bezugs- und Bewertungssystem der Kunst in ihren eindimensional analytischen Grundstruktur erschüttert und schließlich ablöst. Dieser Raum kann niemals von Körper entkoppelt erfahren werden, da er gleichzeitig durch Körper produziert und rezipiert wird und nur auf Grundlage dessen prozessualer Konstitution existiert.85  
In Performancekunst ist Körper zentral. Körper ist prozessual und aktiv an der Konstitution von Räumen beteiligt. Performativität meint also auch, und in gewisser Weise inklusiv, eine Kunstströmung, die historiographisch eine kategoriale Abgrenzung von vorgängigen Strömungen vollzieht, begründet durch die produktive Beteiligung des Körpers am Kunstwerk selbst. Performativität verleibt sich das Medium der Performance ein und befreit die Kunst von ihrem Status der Objekthaftigkeit zugunsten einer handlungsbasierten, künstlerischen Ausdruckskraft. „Theoretiker und Philosophen wie Walter Benjamin, Antonin Artaud, Jaques Lacan und Michel Foucault haben in Korrespondenz mit dem Surrealismus […] die Position des Körpers als Austragungsort und Matrix jeglicher Kultur definiert und diesen für die Kunst nicht nur in seiner repräsentativen Dimension, sondern vor allem auch als reale Gegenwart emanzipiert“86 Die Beschäftigung mit dem Körper als Zeichenträger, Austragungsort und gleichzeitig künstlerischen Produzenten steht gewissermaßen in Tradition der Surrealisten, neben Salvador Dalí, Andre Breton auch Antonin Artaud, und emanzipiert sich von deren Auseinandersetzung mit dem Körper als physiognomischen und psychologischen Apparat, zu einer aktiven Agentialität. Und dabei ist, um in Erinnerung zu rufen, Körper agentiell aktiv sowohl auf Seite der Produktion als auch der Rezeption,– sofern sich hier noch die Konzeption von Seiten aufrechthalten lässt. 

Wir unterscheiden Performance von Performativität, denn Performativität agiert auf metaphysischer Ebene, die sich den physischen Akt der Performance einverleibt hat. „Performanz in der Kunst manifestiert sich […] in der Wechselbeziehung zwischen Gestus und Objekt/Körper und konstituiert dabei eine mehrdimensionale Matrix.“87 „Performativität [hingegen] ist ein ungleich tieferer Prozess, der in die eigentlichen Strukturen des Kunstwerks und in der Folge in das gesamte System Kunst eingreift.“88 Dieser Eingriff ist das, was Weltenmachen bedeuten kann. 
„Auch wenn geschichtsphilosophische und kulturpolitische Konstrukte nicht unmittelbar mit künstlerischen Raumkonzeptionen gleichgesetzt werden können, werden inzwischen doch in der avantgardistischen und zeitgenössischen Moderne nicht nur modellhaft Raumkategorien entwickelt, erprobt und umstrukturiert, sondern in der Folge wie in einer Laborsituation praktisch angewandt. Denn die Kunst hat im Lauf ihrer Anbindung an szientifische Gestaltungsmodelle durchaus den Anspruch erhoben, mit den von ihr entwickelten perzeptiven Zugriffen auf die Raumvorstellung wirklichkeitsgestaltend beziehungsweise -verändernd zu wirken – und dabei eine agitativ-analytische und keine systemstabilisierende Position einzunehmen. […] Erst die Erschließung des Raumes, die von der Avantgarde bis heute geforderte und erkämpfte Erweiterung der Gestaltungs- und Diskursmöglichkeiten über die Repräsentanz, das Symbol, den Text, die Fläche, den Körper und damit das unmittelbare Subjekt hinaus haben der Kunst jenen umfassenden Stellenwert gegebenen, der ihr heute bei der Mitgestaltung von Lebensrealitäten zukommt […]“89

Wenn ich also einleitend schreibe, dass ich meine kosmischen Knoten, als die gesprächssituative Gegenüberstellung von Hélène Cixous und Rosi Braidotti, ergänze mit künstlerischen Positionen, meine ich konkret Positionen deren Werk als Vollzieher der Performativität und sodann als arbiträre Räume gesehen werden können. Ich begegne ihnen in kurzen Identifizierungsumarmungen,90 obgleich sie stellenweise selbst Identifizierungsumarmungen anderer Entitäten sind. Ich nutze Performativität als Bewertungskriterium, beziehungsweise das Koordinatensystem des arbiträren Raumes, um anhand dessen in die Arbeiten meiner Künstlerinnen einzuführen, die einen real körperlichen Bezug im Sinne von Performance sogar stellenweise entbehren. Virginia Woolf schreibt und Performativität in ihrem Werk lese ich auf eine Weise, welche ohne Woolfs physische Beteiligung vermittelbar wird. Ich lese sie als Weltenmachen und erschließe mir diese in meiner eigenen perzeptiven, körperlich und kognitiv erfahrenden Rezeption von Virginia Woolfs Literatur. Genauso und auf unterschiedliche Weise begegne ich den Werken von Karen Barad, Nancy Spero, Anna Mendieta, und Susan Sontag, die ich hier durch mich gesprochen, durch meine performative Kunstgeschichtsschreibung zu Wort kommen lasse. 


        01 – EINLEITUNG/AMBIVALENZ (FREMDELN)

Ich bin Alina und von mir geht eine nichtendendwollende Suche nach einem inneren Kern aus, der mich als schriftstellerisch und künstlerisch tätige Position begreifen lässt. Ich suche nach Kongruenz, denn diese, als gefasste Subjektivität, erscheint mir als die erstrebenswerteste aller Formfragen. Ich suche nach Slogans und schmücke mich mit Symbolen, die unmissverständlich auf die in Form gegossene Einheit meiner künstlerischen Persönlichkeit hinweisen. Meine Identität soll in einer Hand zu greifen sein, so kannst du mich gleich weiterreichen an die nächste Person und Institution, die mit mir spielen und mich sich einverleiben will.  

“What is astonishing about voice is, that although it’s always compelled to be a signifier for what you are as a person, you, your voice, meaning you as an identity, it inherits so much ambivalence. There is that the sound, you formed in its very material substance, formed within your mouth, heard in your head, differs very much from the sound, that resonates in the else’s head you’re talking to. Think of audio recordings or voice messages. Also, what you imply as a meaning, mustn’t proliferate congruently in the subjective reception of the else, you’re talking to.”91

Diverse metaphorische Implikationen ranken sich um das Subjekt Stimme, als Indiz einer in besonderem Maße statuierten Identifikation mit einem bestimmten Selbst. Eine Stimme haben heißt ein mündiges Subjekt zu sein. Auch entlang der Materialität einer Stimme lässt sich vermeintlich die Individualität eines Selbst, als gewisser Wiedererkennungswert, bemessen. Und dennoch ist Stimme eigenwillig, nicht immer ganz kongruent mit dem Bewusstsein meines Selbst,– denn höre ich meine Stimme in einer tonalen Reproduktion, fühle ich mich fremd, kaum identifiziert mit ihr. 
Da ist also einerseits die Materialität der Stimme, die Tonalität, Rhythmik und Melodik, die wir vermeintlich als ein individuelles Spektrum ein und dergleichen Person attestieren.92 “A brief look at the Oxford English Dictionary shows us that the most basic, literaI meaning of ‘voice’ – ‘the sound produced by the vocal organs of humans or animaIs, considered as a general fact/phenomenon’– is secondary in importance to a meaning that fuses a basic, literaI sense to the notion of voice as an index or signal of identity: sound produced by and characteristic of a specific person/animal.”93 In einem einfachen Selbstexperiment begegne ich meiner eigenen Stimme, die meinem äußeren Umfeld so geläufig, mir innerlich doch so fremd erscheint, in einer tonalen Reproduktion. Entgegen der Annahme, Stimme berge in ihrer Tonalität ein besonderes Maß an Identifikations- und Wiedererkennungspotential, kann ich mich selbst kaum identifizieren mit dem, was mir in diesem Experiment zu Ohren kommt. Meine Stimme ist mir fremd. Sie ist äußerlich und innerlich nicht kongruent.
Ziehe ich die materielle Beschaffenheit von Stimme in Betracht, drängt sich mir unweigerlich der Mund als Organ auf, “[…] that operates, performs, as that architecture or vessel or stage—the mouth has many descriptions . . .—that gives form to voice, and that is informed by the push and pull of an oral drive.”94 Der Mund ist die physiologische Verbindung von innen und außen, die Verbindung meiner physischen Mitte mit der Außenwelt. Dieser gewährt mein Mund, entlang meines Schlunds, Einsicht in mein Inneres. Und dieses Innere ist die metaphysische Mitte, der Kern meiner Selbst, die sich durch meine Stimme, entlang meines Schlunds und durch meinen Mund nach außen ausdrückt. Stimme ist also Ausdruckskraft eines bestimmten Subjekts (human-agency), um welche sich als solche Assosziationen bilden: “[A]ssociations that are made daily in our common parlance: we ‘find’ our ‘voice’ or discover an ‘innervoice’; we ‘have a voice’ in matters or ‘give voice to’ our ideas; we ‘voice concern’ and are ‘vocal’ in our opinions.”95 Wird Stimme non-human agencies zugeordnet, dann als ein “powerful way of making them intelligible, of endowing them with will and agency.”96
Stimme ist sogar Anstoß meiner Argumentation eines inkongruenten Selbst, das ich später als die von einem Subjekt ausgehende, räumliche Arbitrarität theoretisieren werde. Ein inkongruentes Selbst, durch Stimme konstituiert, ist ein Selbst, das sich durch eine der Stimme auf metaphorischer und materieller Ebene impliziten Ambivalenz ausdrückt. Diese Ambivalenz spielt also verschiedene Saiten der Stimme an. „Voice is both a sonic and material phenomenon and a powerful metaphor, and this is what makes it complex and interesting.”97 Stimme ist der Anstoß meiner Argumentation, genauer gesagt ist es deren Ambivalenz, die sich später mehr auf das Diskursfeld von Sprache und dessen Arbitrarität verschieben wird. Wenn ich also von einem arbiträren Raum, als die räumliche Artikulation des poststrukturalistisch feministischen Subjekts, durch Körper und Sprache konstituiert, spreche, dann meine ich Stimme implizit, denn Stimme ist unweigerlich mit Körper verbunden. Der Mund ist die physiognome Verbindung zwischen Körper und Sprache. Über den Mund, die viszerale Vessel, bringe ich meine Stimme in die Welt. „The mouth functions to figure and sustain the body as a subject, a subject within a network of relations.”98 Der Körper, der Mund, die Stimme, die Sprache sind also subjektivierende Kraft des Selbst. 

Deshalb spreche ich.


        02 – DIFFUSITÄT (VIELE)

Die zahlreichen Stimmen in mir setzen zu einem gemeinsamen Ton an. In einem Konzert teilen sie einen gemeinsamen Auftritt. Ich bin die dichte Materie, die sie verlautbar macht. Sie setzen zu einem Ton an, doch zu Gehör gelangen Disharmonie und Dissonanz. 

Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Karen Barad. „When two hands touch, there is a sensuality of the flesh, an exchange of warmth, the feeling of pressure of presence, a proximity of otherness that brings the other nearly as close as oneself, perhaps closer. And if two hands belong to one person, might this not enliven an uncanny sense of the otherness of the self, a literal holding oneself at a distance, in the sensation of contact, the greeting of the stranger within. So much happens in a touch, an infinity of others, other beings, other spaces, other times are aroused […] hence self-touching is an encounter with the infinite alterity of the self.”99 Angenommen ich bin Materie, konstituiert aus einer Teilchenmenge, innerhalb derer jedes Quantenteil eine in sich abgeschlossene Entität ist und in konstanter Berührung zueinander steht, dann berühre ich mich selbst, sie wie Karen Barad sagt. Mit dieser Vorstellung von Selbstberührung leite ich meine Thesis ein, denn das poststrukturalistisch, feministische Subjekt, durch Körper und Sprache konstituiert, ist ein Subjekt, das sich affirmativ den Hundertschaften innerer Teilchen gegenüber verhält, – eine megalomane Umarmung aller mir innerlichen Teilchen und sogar die meiner Außenwelt. 

Ich zitiere Karen Barad und versuche durch ihre Expertise ein Basiswissen über Quantentheorie zu installieren, das mir helfen soll meine megalomane Umarmung nachvollziehbar zu machen als potentielle Gleichzeitigkeit aller Teilchen in Berührung zueinander:
„Quantum field theory differs from classical physics, not only in its formalism, but in its ontology. Classical physics inherits a democritian ontology, only particles in the void, with one additional element: fields. Particles, fields, and the void are three separate elements in classical physics, whereas they are introrelated indeed constitutive elements in quantum field theory. […] That particles no longer take their place in the void. Rather they are constitutively entangled with it.”100
„How does quantum field theory understand the nature of matter? Let us start with the electron, one of the simplest particles, a point particle, a particle devoid of structure. […] Even the simplest bit of matter, now causes all kinds of difficulties for quantum field theory. For as a result of time being indeterminacy, the electron does not exist as an isolated particle, but it’s always already inseparable from the wild activities of the vacuum. In other words, the electron is always already interacting with the virtual particles [z.b. ein virtuelles Photon, das das Elektron ausstrahlt und später wieder absorbieren wird] of the vacuum in all possible ways. For the example, the electron will emit a virtual photon, […] and then reabsorb it. This possibility is understood as the electron electromagnetically interacting with itself. […] In addition to electron exchanging a virtual photon with itself that is touching itself, it is possible for the ritual photon […] to enjoy other interactions with itself. For example, the virtual photon can metamorphose […] it’s very identity, it can transform into a virtual electron positron pair that subsequently annihilate each other and morph back into a singular virtual photon before it is reabsorbed by the electron. […] And this so on is a shorthand for an infinitive set of possibilities involving every kind of interaction with every possible kind of interaction with every possible kind of virtual particle they can interact with. That is there is a virtual exploration of every possibility […] – entails a particle touching itself and the particle that transmits the touch, touching itself. And then that touching itself and transforming and touching other particles that make up the vacuum and so and, ad infinitum.”101

Wenn ich Punkte mit Linien verbinde, entsteht kein Rhizom. Es entstehen Gesprächsfäden, die ihrem Wesen nach keine schlüssigen Argumente sind, sondern ein unaufhörlicher Schwall wilder Worte in hitziger Diskussion. 

Ich bin Alina und ich bin nicht eine Stimme, sondern viele. Diese Stimmen, die da in lautem Stimmengewirr mein Inneres beben und mich nach außen aufgeregt und schrill klingen lassen, sprechen weder die gleiche Sprache noch treffen sie gemeinsam einen Ton. An ihnen scheinen alle Kolonialisierungsversuche abgeprallt zu sein. Ihre Dialekte sind so dermaßen verworren, dass sich keine Zugehörigkeiten mehr feststellen lassen, was ich als ein inklusorisches, diversitäres Sprachverhalten festhalten mag. Fest steht, dass dadurch kein zusammenhängendes, sinnbildendes Gespräch entstehen kann. Die Regeln der mir äußerlich bekannten Gesprächskulturen sind in meinem Inneren gänzlich ausgesetzt. Hier gelten keine Tabus, genauso wenig wie Totalitätsansprüche gegenüber dem was entlang meiner Stimmbänder sich nach außen verlautbar macht,– kein richtig und falsch innerhalb einer Argumentationshierarchie. „Many voices speak here [in mir] in the interstices, a cacophony of always already reiteratively interacting stories. These are entangled tales. Each is diffractively threaded through and enfolded in the other. Is that not in the nature of touching? Is touching not by its very nature always already an involution invitation invisitation wanted or unwanted, of the stranger within.“102 

Ich bin Alina und ich bin kein konkreter Kern, sondern diffus und bloß ein Dichteaufkommen von Quantenteilchen. In mir kondensieren sich diese Teilchen zu einer äußeren Form. Ich bin das Gesicht, das wir gemeinsam nach außen tragen. „[Unsere] identity is the undoing of identity. Its very nature is the unnatural, not given, not fixed but forever transitioning and transforming itself. Electrons rebirth themselves in their engagement with all others, not as an act of self-birthing, but in an ongoing recreating that is an un/doing of itself.”103
Ich bin Matter Materie.
„Matter is never a settled matter. It is always already radically open. […] [T]ouching, sensing is what matter does or rather what matter is. Matter is condensations of responses to the desires, desiring to be in touch, a collective responsiveness […]. Matter is a matter of untimely, an uncanny intimacy, condensations of beings and times.“104

Ich bin Alina. Ich bin diffus. Ich bin Teilchenmenge von enormer Potentialität. 


        03 – LACHEN (LAUT)

Die zahlreichen Stimmen in mir setzen zu einem gemeinsamen Ton an. In einem Konzert teilen sie einen gemeinsamen Auftritt. Ich bin die dichte Materie, die sie verlautbar macht. Sie setzen zu einem Ton an, doch zu Gehör gelangen Disharmonie und Dissonanz, – ein schiefer Ton, den das Publikum nicht auszuhalten weiß. Das Publikum verlässt den Saal. Kränkelnd ziehen sich die Stimmen von der Bühne ihres Auftritts zurück, zurück in die Dichte meines diffusen Kerns. Auf der Bühne bleibt meine Außenhaut, die steht bis der Vorhang fällt. Ich lache laut und meine Stimmen ungestüm. Lachen ist in allen Sprachen gleich. Lachen ist laut, schrill, organisch und viszeral, es ist oral und aural und physische Erschütterung. Es erschüttert mich, meine Bühne und mein Publikum.

Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Nancy Spero. In ihren Arbeiten überlagert sie ein Sammelsurium aus gedruckten Zeichnungen und Texten. In diesen tauchen immer wieder die gleichen Gestalten auf. Es sind die Frauenfreundinnen von Nancy Spero, die sie als Teil ihrer Sammlung stempelnd auf das Papier druckt. Spero streicht ihnen, ihren Druckvorlagen, Farbe an und verleiht ihnen Körper und Kontur. “It’s been such an accumulation, from about 1981 on or so. First, it started with making plates of her own images. So that there could be repetition. And then those sort of grew, and the family, the lexicon, of figures grew and grew and grew and now we’ve got like two hundred of these female figures.”105 Eine dieser Frauenfreundinnen ist auch meine. Sie wiegt sich in sanfter Bewegung. Ihre Arme fallen ihr weich in den Rücken. Ihr Rumpf ist angespannt, festentschlossen gleich dem Ausdruck, den sie auf ihren Lippen trägt. Ihre Brust ist geschwollen und reckt sich empor. Sie ist Legionärin und mit ihr ziehen unzählige Frauen auf das Feld. Sie ist Protagonistin in Speros Geschichtsneuschreibung, festentschlossen sich Mythen und Kultur zu eigenen zu machen. „[T]hese are women who are taking power through their body or taking power through their voice.”106 Spero zeigt Körper von Kriegerinnen. Eine von ihnen streckt uns ihre Zunge entgegen. Ich lese sie als eine andere Medusa. In der griechischen Mythologie entstellt Athene, die Göttin der Weisheit, Medusa mit Schlangenhaar. Spero zeichnet das Bild ihrer anderen Medusa mit schlangenhafter Zunge, mit der diese ihre Stimme zum Angriff erhebt. Speros Figuren tragen viszerale Farben. Farben, die die Eingeweide betreffen und sie nach außen kehren, sowie die Zunge dieser anderen Medusa uns Einblick in ihr Inneres gewährt. Aus dem Inneren ergießen sich, in diesen kraftvollen Farben, Stimmen die fordern und verlangen. Diese Pose der herausgestreckten Zunge und deren Farben ist frei von Femininitätsstigmata weiblicher Sexualität, von Zartheit und Keuschheit. Medusa ist unkeusch und sie weiß, was sie will. Sie will die Geschichte neu schreiben. Körper und Sprache werden zu ihren Emblemen, die sie als ihre Waffen nach außen trägt. Ihr Lachen ist laut und die Klangfarbe ihrer Singstimme ist ungestüm.  

        04 – KÖRPER, LIBIDO UND SCHREIBEN (DURCH UND MITTELS)

Mich in tosenden Bächen, reißenden Strömen ergießend, 
In Worten, mehr als meine Gedanken tragen, 
mich Ungestüm. 

Ich bediene mich der Naturgewalten als Metapher und will es damit Hélène Cixous und Rosi Braidotti gleichtun. Ich versuche in die Sprache dieser beiden hineinzuschlüpfen, um mich durch das befreiende Los einer Gästin spielerisch darin zu bewegen. Intuitiv möchte ich schreiben, nicht ausgehend eines vermeintlich mir innewohnenden ureigentümlichen Kraft. Befreit von diesem Stigmata des literarisch schreibenden, kongenialen Autorinnen-Ichs, schreibe ich aus dem unerschöpflich fließenden Quell dessen, was ich bin und sein werde. Ich versuche mich in den Thesen von Cixous und Braidotti, als körperlich ungestümes Wesen. Ich bin im Werden und als diesen werdenden Wesenszustand versuche ich zu Wort zu kommen. 

Hélène Cixous bietet in Das Lachen der Medusa unterschiedliche Lesarten des weiblichen Körpers als Beteiligungsfaktor der weiblichen Stimme bzw. des weiblichen Schreiben an. In fünf verschiedenen Motiven versuche ich hermeneutisch darzulegen, wodurch sich der Körper als Beteiligungsfaktor laut Cixous konstituiert:

Motiv 1 – Körper als Ort der Verletzung und Verletzlichkeit (Quelle des Widerstands)
Motiv 2 – Körper als Ort der Verbindung und Gemeinschaft (Quelle der Solidarität)
Motiv 3 – Körper als Ort der Leidenschaft und Begehrens (Quelle der Emotionalität)
Motiv 4 – Körper als Ort intuitiven Wissens/als Zugang zum Unbewussten (Quelle der Imagination und kreativer Intuition) 
Motiv 5 – Körper als Ort der Verbindung zur Umwelt und Natur (Quelle der Affirmation des Anderen)

In die Sprache von Cixous und Braidotti hineinzuschlüpfen ist ein Versuch Körper in meinen Texten zu aktivieren. Darüber, dass sich die körperliche Beteiligung von Braidotti und Cixous nicht einfach durch eine starke Metaphorik naturbeladener Bilder antizipieren lässt, bin ich bewusst. Aus meinem Körper allerdings spricht Skepsis, Tochter des Logos und dessen, was Cixous das phallogozentristische Diktat nennen mag. Sehnsüchtig, mich den Spielregeln dieses Diktats zu entziehen, ersuche ich Schreiben als körperlichen Akt in mir frei zu setzen. Ich versuche mein Begehren sprechen zu lassen und die Differenz, dem Anderen affirmativ zu begegnen und es zugleich in mir zu kultivieren. Das Ungestüm meiner Selbst, das poststrukturalistische Subjekt, nicht weiter in der Linie von Logos und Kongruenz zu formen, sondern es freisetzen, es fliegen lassen. Ich möchte meinen Körper wogend aufbegehrend sprechen lassen, ich möchte frauenstürmisch sein, mich in tosenden Bächen, reißenden Strömen ergießen, mich ungestüm zu Wort und in die Welt setzen.

Audre Lorde, The Uses of the Erotic, 1984, steht mir hilfestellend zur Seite um Cixous, insbesondere in Beziehung zu ihrer Theorie der libidinösen Ökonomie, zu verstehen. Diese ist in queeren und queer-feministischen Theorien in Kritik geraten, als da sie gezeichnet ist von Gesten des Gebens, des Gebärens und der Großzügigkeit des weiblichen Geschlechts. Cixous perpetuiert ein stereotypes Bild der Frau als mütterlich nährend und großzügig gebend, das Judith Butler in dieser Schleife der Perpetuation performativ in der Gegenwart manifestiert sieht. Auch ist Cixous libidinöse Ökonomien nicht mehr hinsichtlich eines Ur-Verlangen, eines Ur-Ich argumentierbar. Wenn ein Ur, dann zumindest eines, das allen gemein ist, und kein weibliches Ur entlang binärer Geschlechtsidentitäten abgrenzt. 
Lieber lese ich Cixous Libido Ökonomie in Zusammenhang damit, was sie in Versalien schreibt: ANDERE LIEBE. Cixous argumentiert, ohne des strukturellen Effizienzgedenken des Patriarchats, lägen Logos und Telos allen Wesensformen fern, vereint in der ANDEREN LIEBE, der Liebe zu Chaos und Differenz. 
Auch Audre Lordes Argumentation nimmt ihren Ausgang bei der Unterdrückung der Frau, konkret der Unterdrückung ihrer erotischen Gefühlswelt: „The erotic is a resource within each of us that lies in a deeply female and spiritual plane, firmly rooted in the power of our unexpressed or unrecognized feeling.“107 „The erotic is a measure between the beginnings of our sense of self and the chaos of our strongest feelings. It is an internal sense of satisfaction to which, once we have experienced it, we know we can aspire. […] Once we know the extent to which we are capable of feeling that sense of satisfaction and completion, we can then observe which of our various life endeavors brings us closest to that fullness.“108 Die Erfüllung dieses Sense of Setisfaction steht in Lordes Erstreben. Sie argumentiert explizit, dass The Erotic dabei nicht begrenzt ist auf sexuelle Lust, sondern alle Lebensbereiche betrifft. The Erotic ist als Codex untrennbar mit unseren Körpern verbunden, anhand derer sich The Sense of Setisfaction empirisch und emotional erfahren lässt. 
“The very word erotic comes from the Greek word eros, the personification of love in all its aspects—born of Chaos, and personifying creative power and harmony. When I speak of the erotic, then, I speak of it as an assertion of the lifeforce of women; of that creative energy empowered, the knowledge and use of which we are now reclaiming in our language, our history, our dancing, our loving, our work, our lives.“ 
Auch in Lordes Theorie hat die ANDERE LIEBE einen besonderen Stellenwert: “The need for sharing deep feeling is a human need.” Diese ANDERE LIEBE, The Erotics, ist nicht genetisch, nicht geschlechtlich, sondern kollektivistisch. Sie ist Chaos und Braidottis Chaosmosis. 

Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Ana Mendieta. Der Versuch mich ihren Siluetas, 1973–80, hermeneutisch anzunähern ist überlagert von dem undurchdringlichen Wunsch meinen Körper selbst in so liebevoll umarmender Weise mit den Elementen der Natur zu vereinen. Mendieta schreibt sich selbst und ihren Körper in die Genealogie und Geologie der Erde ein. Ich lese ihre Serie Siluetas sowohl als Body Art und Videoperformance, doch durch diese Kategorien würde ich Mendieta nicht gerecht. In Dauerschleife zeigen ihre Videos unwahrscheinlich still und regungslos den Akt der Performance. Ihr Körper wird zum Stillleben und als bildnerische Skulptur Teil der Gesamtposition. In den frühen Werken dieser Serie ist Mendieta selbst, als der Körper der Autorin, zu gegen. Später tritt sie als Gestalt in den Hintergrund. Ihre Siluetas verbleiben als skulpturale Spuren in der Erde. Sie selbst ist also Teil dieser Spur, allerdings in ihrer Rolle als Autorin etherisch und bloß als symbolisches Emblem in Erinnerung anwesend.  
Mendieta schreibt sich in die Erde ein und behauptet sich selbst als deren Bestandteil. Diesen Akt des körperlichen Schreibens lese ich als einen, zwar nicht textlich, aber deshalb nicht minder literarischen Akt des Schreibens wie Hélène Cixous. Mendieta schreibt nicht aus ihrem Körper, aus einem durch Cixous theoretisierten Körperwissen, sondern sie schreibt sich mittels ihres Körpers in die Erde ein. Ihr Körper sind ihre Buchstaben. Sie hinterlässt sie als Abdrücke, die bloß momentan erhalten und keine dauerhaften Wunden tragen. Mendieta ist nicht besonders laut, sogar ganz still und partikular und in ihren Arbeiten beschäftigt mit der intimen Verbindung zwischen der Natur und ihr,– einem reziproken Verhältnis, um an Cixous anzuknüpfen: Mendieta schreibt sich mittels ihres Körpers und durch ihren Körper gesprochen in die Welt. Körper ist also Buchstaben und nach Ausdruck strebende, innere Kraft. 
In ihrer frühen Videoperformance Burial Pyramid, 1974, wird dies überdeutlich. Mendietas Körper ist darin als Teil eines geologischen Steinmassivs zu sehen. Sie hat ihren Körper in eine Kuhle gelegt und sich mit losem Gestein begraben. Ihr Körper verweilt darunter lebendig und atmet schwer. Mit jedem Atemzug reckt sich ihre Brust empor und von ihr fällt Gestein. Ich denke in dieser Szene agiert Mendieta als Bildhauerin. Sie vollzieht den Akt des Bildhauens auf umgekehrte Weise. Sie selbst setzt sich als Teil der Genealogie und Geologie des Steinmassivs voraus, und das Atmen ihres Körper ist derjenige Akt, der ihr Skulptur verleiht. Ihr Körper greift aus dem Massiv in das Negativ, als eine intrinsische bildhauerische Kraft,– eine Skulptur, die sich aus ihrem Inneren formt. 
Mendieta schreibt dann aus ihrem Körper, als Teil der Erde, heraus und auf die Erde ein,– als eine Variante dessen, was Hélène Cixous mit körperlichem Schreiben meint. 


        05 – GESPRÄCH (IN I)

Ich zitiere hier aus dem Klappentext einer Buchpublikation zu Hélène Cixous und Jacques Derrida:
„Die […] versammelten Beiträge folgen den Windungen eines doppelten Dialogs […] ein lebenslanges Gespräch zwischen zwei Schreibenden – Hélène Cixous und Jacques Derrida, welche das Schreiben selbst als fortwährende Konversation begreifen: nämlich zwischen Texten und dem, woran sie sich im Konkreten entzünden. Dieses Konkrete, jenseits des erklärten ‚Themas‘ einer Schrift, ist der Alltag in seinem Allergewöhnlichsten und höchst Partikularen. Es ist der Alltag, wie er im Anekdotischen sich mitteilt.“109 

Meinen arbiträren Raum möchte ich nicht über Pilzgewächse, Rhizom oder Myzel, illustrieren. Das Bild dessen kann dem tatsächlichen Raum nicht entsprechen, doch sofern ich diesen als materiell manifestiert betrachte, muss ich ihn auch als solchen behandeln. Die Formation eines Pilzgewächs würde dem nicht gerecht. Wie aber tritt dieser Raum dann in Erscheinung?
Mein arbiträrer Raum ist vom Subjekt ausgehend und gleichzeitig das Subjekt umgebend, er ist inkonsistent und inkonstant. Ein Rhizom kann keine geeignete räumliche Analogie sein, da es volumetrisch ist und sich nach außen formal abgrenzt, also den Eigenschaften eines architektonischen Raumes nahezu entspricht. Ein Gespräch dagegen scheint die passendere Analogie. Es spannt sich netzwerkartig zwischen zumindest zwei Fixpunkten auf. Seine Linien sind flatternde Wortfetzen. Ein Gespräch ist räumlich weder abzugrenzen noch volumetrisch anzufassen. Ich bin kein nährstoffverteilendes Pilzgewächs. Ich bin ein Gespräch. 

Ich bin das, woran sich das Anekdotische entzündet. Ich bin der überbordende Dialog zwischen Hélène Cixous und Jaques Derrida. 

Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Virginia Woolf. Hélène Cixous Essay vollzieht kunstvoll einen tänzerischen Seil-Akt entlang der Linie ihres Textfadens. Die Linie eines syntaktischen Wortzusammenhangs lässt sich nicht im geschützten Raum eines Vakuums lesen, das auszuschließen vermag, dass sich während des Lesens ein Kosmos abseits des Konkretem auftut, der mich in ausufernden Motiven denken lässt, bis die Konsequenz des folgenden Satzes mich brandet, so wie Virginia Woolf ihre Protagonistinnen in The Waves. Woolf illustriert die zirkadianische Bewegung der Welle und der Nacht. Der Morgen liegt im Tau: „Die Sonne stieg höher. […]. Als das Licht zunahm, platze hier und da eine Knospe und schüttelte Blüten hervor, grüngeädert und bebend, als hätten die Anstrengungen des Aufgehens sie ins Schaukeln versetzt, und ein feines Glockenspiel ertönte, wie sie mit ihren zarten Klöppeln gegen ihre weißen Wände schlugen. Alles wurde sanft und formlos […].“110 Und der Tag sich allmählich der Sonne neigt: „Die Sonne stand nicht mehr mitten am Himmel. Ihr Licht neigte sich, fiel schräg. Hier verfing es sich am Rande einer Wolke und ließ sie als Lichtscheibe auflohen, eine lodernde Insel, auf der kein Fuß rasten könnte. Dann wurde eine andere Wolke im Licht gefangen, und dann noch eine und noch eine, sodass die Wellen darunter von feurig gefiederten Pfeilen getroffen wurden, die erratisch über das bebende Blau schossen. […] Die Wellen stauten sich, krümmten ihre Rücken und zerbarsten. Sie schossen um die Felsen, und die Gischt sprang hoch auf und bespritze die Wände einer Grotte, die vorher trocken gewesen waren, und ließ landeinwärts Tümpel zurück, in denen ein gestrandeter Fisch mit seinem Schwanz schlug, als die Welle sich zurückzog.“111 Und sich die Dunkelheit der Nacht über den Himmel spannt: „Jetzt war die Sonne untergegangen. Himmel und Meer waren nicht zu unterscheiden. Die Wellen brachen sich und breiteten ihre weißen Fächer weit über den Strand, sandeten weiße Schatten in die Winkel tönender Höhlen und rollten dann seufzend über die Kiesel zurück. […] Die Substanz war aus der Festigkeit der Hügel gewichen. […] Als gingen Wellen von Dunkelheit durch die Luft, bewegte die Dunkelheit sich weiter, überzog Häuser, Hügel, Bäume, so wie Wasserwellen die Seiten eines versunkenen Schiffs umspülen.“112 
„Die Wellen brachen sich am Strand“113

Virginia Woolfs sechs Protagonist_innen Bernard, Louis, Neville, Rhoda, Jinny und Susan sind alle durch die Banden ihrer Leben miteinander verwandt. „Ihre Stimmen evozieren die Intensität der Kindheit, die Zuversicht und sinnliche Erfahrung der Jugend, das Losgelöstsein des mittleren Alters. Sinneswahrnehmungen, Emotionen, Reflexionen kommen und gehen im Fluss des Erzählstroms wie die Jahreszeiten, wie die Wellen, die Sonne.“114 Besagt der Klappentext und so beschreibt auch Braidotti Virginia Woolf: „Virginia Woolf’s work reflects admirably the dual structure of time: the linear one – Chronos – and the undifferentiated one – Aion. Being and Becoming confront each other in an unsteady balance. Aion is the ‘pure empty form of time’, free of content, which is shot through with vibrations of becoming. If this be chaos, it is not chaotic, but generative.“115
In intimen Monologen reflektieren und referenzieren die Protagonist_innen ihr eigenes Leben und dieses in Konstellation ihrer Gruppe, “eine kunstvolle Darstellung der Ebbe und Flut ihrer sinnlichen und intellektuellen Erfahrung.“116 Es ist ein Gespräch des Partikularen, das Teilen verwandter Gefühle und Gedanken, das sich nicht auf gesprächlicher Ebene vollzieht, sondern aber in dem reflexiven Sinnen darüber, was die Charaktere der Gruppe eint. 
„‘[…]‘, sagte Bernard, ‚[…] – was bin ich? Es gibt nichts Beständiges auf dieser Welt. Wer kann sage, was für eine Bedeutung irgendetwas hat? Wer kann die Flugbahnen eines Wortes voraussagen? […] Von Wissen zu sprechen ist vergeblich. Alles ist Experiment und Abendteuer. Wir vermischen uns ständig mit unbekannten Größen. Was wird werden? Ich weiß es nicht. Aber wie ich mein Glas hinstelle, fällt mir ein: […] Ich bin Bernard, ich selbst.‘“117
Und so sich das Leben windet: „‘[…]‘, sagte Bernard, ‚[…] Die Wahrheit ist, daß ich nicht zu denen gehöre, die in einer einzigen Person Befriedigung finden, oder in der Unendlichkeit. Das private Gemacht langweilt mich, der Himmel ebenfalls.‘“118
Dazwischen vermute ich Aion, das generative Chaos dessen, was sich zwischen unseren Konstanten seinen Weg bahnt. Es ist der Alltag, „der Alltag in seinem Allergewöhnlichsten und höchst Partikularen. Es ist der Alltag, wie er im Anekdotischen sich mitteilt.“119 


        06 – IDENTIFIZIERUNGSUMARMUNGEN (IN II)

Ich möchte das Andere in mir anerkennen. Dieses Andere soll blühen, ich habe die Saat schon gesät. 

Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Sophie Calle. Cixous Identifizierungsumarmung lässt mich sofort mit Sophie Calles Arbeit assoziieren. Sophie Calle ist in ihren Performances den von ihr per Zufall auserwählten Personen als Verfolgerin auf der Spur. Indem sie sich an deren Fersen heftet, schlüpft sie zeitverzögert in deren Leben und Persona. Sie schreibt sich diesen Personen ein, als ein Akt den ich nicht als Selbstverlust, sondern Selbstpotenz verstehen mag. Sie drängt diesen Personen ihre eigene Perspektive auf. Durch ihren distanzierten Blick projiziert sie sich selbst auf diese Personen als ihre Leinwand und Spiegelfläche. Sophie Calle taucht später in meinen Performances auf, daher richte ich das Wort nun an eine andere meiner Heroinnen, Susan Sontag. 

Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Susan Sontag. Ich bin 16 Jahre und besuche Thomas Mann. Unsere Begegnung halte ich fest in meinem Tagebuch.120  Darin zeichne ich mich, meinen Kinderfreund Merrill und Thomas Mann als plastische Figuren, als eine Anekdote von hohem Erzählcharakter. „ [T]hat was the first shock, that he [Thomas Mann] so resembled the formally posed photograph. The resemblance seemed uncanny, a marvel. It wasn’t, I think now, just because this was the first time I’d met someone whose appearance I had already formed a strong idea of through photographs. […] His resemblance to the photograph seemed like a feat, as if he were posing now. […] He sat very erectly and seemed to be very, very old. He was in fact seventy-two.“121

Ich bin nun 14. Ich mache mich bei dieser Begegnung jünger als ich bin, Wunderkind, dass sich nach Lektüre des Zauberbergs zu einem Gespräch zu Mann persönlich begibt. Später publiziere ich meinen Text im New Yorker. Susan Sontag erklärt das Private zum Anekdotischen und inszeniert sich im Licht öffentlicher Aufmerksamkeit, wie keine andere Literatin ihrer Zeit.122
Dann bin ich doch nicht Sontag. Mit 16 habe ich keine Vorstellung darüber was es bedeutet in der Welt zu sein, und in dieser nach Anerkennung zu streben. Keine Vorstellung darüber, mich selbst mit 16 vor der intimen Leser_innenschaft meines Tagebuchs, die letztlich bloß ich selbst bleibe, als Virtuosin, meinen Altersgenoss_innen mit Vorsprung voraus, vorzustellen, der die Ehre gebührt Thomas Mann, Starautor seiner Zeit, in einem Gespräch zu begegnen.Eine Begegnung über deren Besonderheit ich mir allein der bescheidenen Formhalber, als Kind eines akademischen Elternhauses, bewusst bin: „Getting through the week, awash in shame and dread. It seemed a vast impertinence that I should be forced to meet Thomas Mann. And grotesque that he should waste his time meeting me. […] I had the impression (and this is the part of my recollection that is most touching to me) that Thomas Mann could be injured by Merrill’s stupidity or mine . . . that stupidity was always injuring, and that as I revered Mann it was my duty to protect him from this injury.”123

Ich schreibe so viel Tagebuch und schreiben ist angeblich Wahrheitsfindung. Welche allerdings ist meine, denn wenn ich so entlang dieser Seiten blättere, lese ich keine Kongruenz. Meine Tagebucheinträge sind die Repetition einer Handvoll immer gleicher Gedanken, die sich tagesakutell anders artikulieren. Stellenweise klingen sie so inkongruent,– heute schwer zu verstehen, dass mein tagebuchschreibendes Autorinnenich gestern noch so empfunden hat. Ich repliziere mein Leben, so wie Rosi Braidotti schreibt, eine vielfache Version meiner selbst: „I have kept a diary since the age of eleven and still write it regularly. When my students boast of their digital ‘second life’, I feel a touch of pain in my heart at the thought of the 163 booklets into which I have replicated my life, without even realizing what a burden of responsibility this would create in the long run: some ‘virtual reality’ that is! Writing is living intensively and inhabiting language as a site of multiple others within what we call, out of habit and intellectual laziness, ‘the self”.124

Im Zusammenhang mit meinem Tagebuch spüre ich Cixous Akt des körperlichen Schreibens nach. Hier schreibt zwar keine ureigene Kraft, kein ureigentümliches Autorinnenich, deren Körper sich aus seinem Körperwissen ergießt. Sondern schreibt hier ein immer wieder anderes Ich, das den Akt des intuitiven Schreibens, des ich-lasse-meine-linke-Hand-über-das-Papier-gleiten, als körperlich empfindet. Manchmal nimmt dieser Prozess in mir überhand und überrollt mich mit ordentlich Phantasie, sodass ich beginne meine Einträge auszuweiten um Erzählungen, die bloß im Duktus und der Empfindung des gerade für mich erfühlten Narratives ihre Gültigkeit haben. Schon ein bisschen so wie Susan Sontag. Selbstinszenierung, so dämmert mir, ist nicht bloß destruktive Kraft im Kontext von Instagram, sondern generativ. Die von mir erschaffenen Replikationen meiner Selbst, bleiben bei mir. Sie sind Quell meines Erfindungsreichtums. 

Noch während des Gesprächs dämmert es Susan Sontag: auch Thomas Mann schreibt etwas auf sie und Merrill zu, einen Vorstellung, die er auf die beiden appliziert, die dem, was sie bemüht sind zu repräsentieren, weit verfehlt: „He seemed to find it perfectly normal that two local high-school students should know who Nietzsche and Schoenberg were […]. But now, it seemed, he also wanted us to be two young Americans (as he imagined them); to be, as he was (as, I had no idea why, he thought Hemingway was), representative. I knew that was absurd. The whole point was that we didn’t represent anything at all. We didn’t even represent ourselves—certainly not very well.“125

Susan Sontag zitiert Thomas Mann: ‘“I have recently completed a novel which is partly based on the life of Nietzsche,’ he said, with huge, disquieting pauses between each word. ‘My protagonist, however, is not a philosopher. He is a great composer.’”126
   ^
[06] IMPÉTUOSITÉ / RÄUMLICHE ARTIKULATION EINES ARBITRÄREN RAUMES

– folgt –
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127 vgl. Castorf, Frank: Lärm. Blindes sehen. Blinde sehen! Text von Elfriede Jelinek, inszeniert am Burgtheater Wien, 2023
128 Vorlesung Architekturgeschichte und -theorie V, Lehrstuhl für Architektur- und Kunstgeschichte, ETH Zürich; 17.11.2022
129 Design möchte ich hier metonymisch mit dem in Kapitel 1 kontextualisierten Begriff meta-physischmaterialistischen Raum ersetzen. Design entfaltet hier seine Bedeutung vor dem Hintergrund des Buchtitels Superhumanity: Design of the Self, als das Streben der modernen Gesellschaft den ihr inhärenten (ästhetischen) Strukturen zu entsprechen. Ihr Mittel dazu ist Design.
130 Groys, Boris: Self-Design, or Productive Narcissism, erschienen in Superhumanity – Design of the Self,
Nick Axel, Beatriz Colomina, Nikolaus Hirsch, Anton Vidokle, Mark Wigley, 2018, s.15
131 Debord, Guy: The Society of the Spectacle, 2006, s.154; ursprünglich erschienen 1967
132 Groys, Boris: The Obligation to Self-Design, e-flux, issue #00, November 2008
133 ebd.
134 Dalí, Salvador: Conquest of the Irrational, 1935, s.8
135 ebd., s.17
136 Dalí, Salvador: Conquest of the Irrational, 1935, s.8
137 Artaud, Andonin: Déclaration du 27 janvier, 1925
138 Dalí, Salvador: Conquest of the Irrational, 1935, s.8
139 Dudenredaktion, Duden online: Logik, https://www.duden.de/rechtschreibung/Logik
140 Koolhaas, Rem: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, 1994, s.238; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
141 Dalí, Salvador: Conquest of the Irrational, 1935, s.19
142 Vgl. Koolhaas, Rem: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, 1994, s.237; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
143 ebd., s.238
144 siehe Fußnote 135
145 Dalí, Salvador: Conquest of the Irrational, 1935, s.9
146 Vgl. Koolhaas, Rem: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, 1994, Klappentext; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
147 “Dalí, Salvador: “New York Salutes Me!, 1941” – Koolhaas, Rem: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, 1994, s.316; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
148 “Le Corbusier, as quoted in New Yok Herald Tribune, 1935” – ebd.
149 Koolhaas, Rem: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, 1994, s.235; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
150 ebd.
151 ebd. 
152 Kuehn, Wilfried: Do we need another hero? Panel discussion, Architekturzentrum Wien, 15.11.2023, guests: Claudia Cavallar, Aslı Çiçek, Beate Hølmebakk, David Kohn, Wilfried Kuehn; curators: Lorenzo De Chiffre, Benni Eder, Theresa Krenn 
153 Koolhaas, Rem: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, 1994, s.246; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
154 ebd.
155 ebd., s.238
156 Koolhaas, Rem: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, 1994, s.246; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
157 Koolhaas, Rem: Delirious New York, Ein retroaktives Manifest für Manhattan, 2011, s.248; 
ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
158 ebd., s.11
159 Frances Hsu, Delirious New York: The Revolutionary Revision of Modern Architecture, 
https://www.acsa-arch.org/proceedings/Annual%20Meeting%20Proceedings/
ACSA.AM.93/ACSA.AM.93.2.pdf 
160 ebd. 
161 OMA: Casa Palestra, 1985, https://www.oma.com/projects/casa-palestra
162 ebd.
163 Koolhaas, Rem: Delirious New York, Ein retroaktives Manifest für Manhattan, 2011, s.161; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978 
164 ebd.
165 Koolhaas, Rem: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, 1994, s.152; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
166 ebd., s.157
167 ebd., s.152
168 siehe Fußnote 155
169 vgl. Groys, Boris: The Obligation to Self-Design, e-flux, issue #00, November 2008
170 ebd.
171 ebd.
172 Adolf Loos wurde, zufolge eines 2015 in einem Wiener Privatbesitz wieder aufgetauchten Strafakts, 1928 wegen Schändung und Verführung zur Unzucht angeklagt und unter Umständen der Vertuschung und Verharmlosung – eine Bevorteilung die vermutlich auf persönliche Verbindungen zurückzuführen ist – freigesprochen. wurde.
173 Groys, Boris: The Obligation to Self-Design, e-flux, issue #00, November 2008
174 ebd.
175 Bezieht sich auf den Titel Boris Groys Essay: Self-Design or Productive Narcissism
176 Sedgwick, Eve Kosofsky: Paranoid Reading and Reparative Reading; or, You're So Paranoid, You Probably Think This Introduction Is about You, 1997, s.4ff., erschienen in Novel Gazing, Queer Readings in Fiction
177 Koolhaas, Rem: Delirious New York, A Retroactive Manifesto for Manhattan, 1994, s.238; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
178 Wikipedia: Paranoia, https://de.wikipedia.org/wiki/Paranoia
179 Sedgwick, Eve Kosofsky: Paranoid Reading and Reparative Reading; or, You're So Paranoid, You Probably Think This Introduction Is about You, 1997, s.6
180 Tedder, Geraldine: You Are Probably Completely Oblivious That This Text Actually Is About You, 2020, erschienen auf brand-new-life.org 
https://brand-new-life.org/b-n-l/you-are-probably-completely-oblivious-that-this-text-actually-is-about-you/
181 Bauschulte, Manfred: André Breton und der Surrealismus, Die Suche nach dem Gold der Zeit, 2016, erschienen in Deutschlandfunk Kultur https://www.deutschlandfunk.de/andre-breton-und-der-surrealismus-die-suche-nach-dem-gold-100.html 
182 Aureli, Pier Vittorio, Toward the Archipelago defining the political and the formal in Architecture, erschienen in: The Possibility of an Absolute Architecture, 2011, s.1
183 Aureli, Pier Vittorio, The Possibility of an Absolute Architecture, 2011, Introduction, s.9
184 Vgl. Ebd., s. 9
185 ebd., s.7
186 Aureli, Pier Vittorio, Toward the Archipelago defining the political and the formal in Architecture, erschienen in: The Possibility of an Absolute Architecture, 2011, s.22
187 Koolhaas, Rem: Delirious New York, Ein retroaktives Manifest für Manhattan, s.22; ursprünglich in Englisch erschienen, 1978
188 ebd., 23
189 ebd., 23
190 ebd., 23
191 ebd., 24
192 OMA: Casa Palestra, 1985, https://www.oma.com/projects/casa-palestra
 IMPÉTUOSITÉ / RÄUMLICHE ARTIKULATION EINES ARBITRÄREN RAUMES        

       
          Lärm. Blindes sehen127

„You’ve probably seen this in studio. You know when someone else’s project is going really well, because they’re so fixated on it, that every single thing that happens to or around them, […] then becomes suddenly in relation to the project they’re working on. It’s as if the universe feeds them constantly more stuff for their obsessions, for their creative activity.”128

Diese hier vorliegende Arbeit ist im Grunde ein Konvolut all dessen, was mir im Alltag, im Gespräch, in der Literatur, Kunst und Akademie begegnet. Diese Früchte fallen auf mein Haupt, ich klaube sie auf und assimiliere sie höchst spekulativ, zu einem assoziativen Einheitsbrei – meiner Theorie. 

In einer Vorlesung die ich am Lehrstuhl für Architektur- und Kunstgeschichte, ETH Zürich, verfolge, beschreibt der Vortragende Adam Jasper dieses Gefühl. Konkret bezieht sich Jasper auf die Paranoid Critical Method von Salvador Dalí. 


           Paranoid Critical Method

Nach meiner Beschäftigung mit der Situationistischen Internationale verbleibe ich mit Skepsis gegenüber deren Vorhaben Gesellschaft durch Wahrnehmungsschärfung (politisch) zu aktivieren. In einer e-flux architecture Publikation, Superhumanity: Design of the Self, 2018, formuliert der Philosoph Boris Groy: „At least since Guy Debord’s Society of the Spectacle [1967], design129 has been accused of seducing people into weakening their activity, vitality, and energy – of making them passive consumers who lack will, who are manipulated by omnipresent advertising to become victims of capital. The apparent cure for this trance was a shock-like encounter with the ‘real’ capable of rescuing people from their contemplative passivity and moving them to action, to the only thing that promises an experience of truth as living intensity. The only debate that remained was over the question of whether such an encounter with the real was still possible, or whether the real has definitively disappeared behind its designed surface.”130 Welcher Wahrheit ist die Situationistische Internationale auf der Spur, ihrer “historic mission to establish truth in the world”131?  Groys konstruiert eine Brücke zwischen Gottes Seelenbeschauung, als richtende Instanz, und absoluter Wahrheit, die mit dem „Tod Gottes“132 obsolet geworden ist. Die Situationistische Internationale aber scheinen ehrfürchtig vor einer solchen Instanz, der „truth of living intensity“. Ihre Mittel sind asketisch. Wahrheit erfährt dadurch eine apotheotische Verklärung, die sie entlegen und damit erstrebenswert macht. Groys schließt mit den Worten: “With the death of God, design became the medium of the soul, the revelation of the subject hidden inside the human body. Thus, design took on an ethical dimension it had not had previously.” Design, das ich hier metronymisch installiere für meine Zwecke der räumlichen subjektbezogenen meta-Physik, ist laut Groys einer zeitgenössischeren ethischen Dimension verpflichtet, die das Politikum einer teleologischen Wahrheit ablöst. Diese war Ziel des Spiels der Situationistischen Internationale, Groys aber kürzt ab und erklärt das Spiel (Design) selbst zum Ziel. “The real […] emerges here not as a shocklike interruption of the designed surface but as a question of the technique and practice of self-design—a question no one can escape anymore.”133

Salvador Dalí schlägt in Conquest of the Irrational, 1935, mehr als 30 Jahre vor der Situationistischen Internationale, eine andere Methode der Wahrnehmungsschärfung vor, – eine, die sich nicht durch den Trugschluss einer absoluten Wahrheit verführen lässt. Dalí leitet in sein Manifest mit der Auferweckung der totgeglaubten, von der Spezifizierung der Partikularwissenschaften ausgelöschten Intuition ein: “Everyone will recall that logical and pure intuition, that pure intuition […] carried for a long time in her belly an illegitimate son who was none other than physics itself, and that this son […] was already perceptibly heavy with a non-equivocal persuasion and a personal force of gravity that no longer left any doubt as to the Newtonian paternity of the child. It is on account of this downward tendency and the force of gravity of these circumstances that pure intuition, continually being shown to the doors of the particular sciences’ houses, ends up becoming in our time pure prostitution, for we see her surrendering her last charms and her last turbulences in the maison publique of the artistic and Iiterary world.”134 Die personifizierte Intuition streift durch das nächtliche Paris. Ihr Strahlen vergangener Tage längst verblasst, begegnet ihr Salvador Dalí.
“Paranoiac-critical activity organizes and objectivizes in an exclusivist manner the limitless and unknown possibilities of the systematic association of subjective and objective phenomena [...] exclusively in favor of the obsessing idea. By this method paranoiac-critical activity discovers new, and objective ‘significances’ in the irrational; it makes the world of delirium pass tangibly onto the plane of reality.”135 Dalís Paranoid Critical Method, abgekürzt PCM, ist also nicht auf der Suche nach einer objektiven Wahrheit, die von den schweren Schleiern des kapitalistischen Zeichensystem verhüllt, durch die europäischen Avantgardist_innen erst enthüllt werden muss; einer absoluten Wahrheit, die allem Wesen und Phänomenen zugrunde liegt. Sondern käme eine solche Wahrheit, die absolut ist, einer Simplifizierung des Geistes und Zäsur der Phantasie gleich. „[F]or one thing is certain: I hate simplicity in all its forms”,136 sagt Dalí. Statt nach einer objektiven/absoluten Wahrheit zu streben, fördert Dalís PCM, als die intuitive Deutung von Zeichen, eine investigative Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsbegriff. Die PCM steht im Interesse Phantasie freizusetzen und den menschlichen Geist von seinen äußeren und inneren Zwängen zu befreien. Gerade dadurch wird der Surrealismus zur Revolution: „Le Surréalisme n'est pas une forme poétique. Il est un cri de l'esprit qui retourne vers lui-même et est bien décidé à broyer désespérément ses entraves, et au besoin par des marteaux matériels.“137 Frei übersetzt: „der Surrealismus ist keine Form der Poesie, er ist eine Form des Geistes, der gegen sich selbst gerichtet ist, in verzweifeltem Aufschrei seine Banden zu brechen, wenn es sein muss mit Gewalt.“ Meinem Empfinden nach ist Logik die strengste Zäsur meines Geistes und Phantasie. Und dennoch schreibt Dalí, wie bereits oben zitiert, von „logical and pure intuition“.138 Statt eines Wiederspruchs lese ich darin Dalí, der Intuition als die einzig gültige Form der Logik erwählt. Logik wird durch Dalí nicht abgedankt, sondern agiert die PCM mit deren cartesischen Mitteln. Denn was ist die Logik? Laut Duden: „Folgerichtigkeit des Denkens“.139 Folgerichtig ist also das, was mir intuitiv erscheint. Mit Rem Koolhaas Worten gesprochen: „The paranoiac always hits the nail on the head, no matter where the hammer blows fall.”140

„Paranoia: delirium of interpretive association bearing a systematic structure. 
Paranoiac-critical activity: spontaneous method of irrational knowledge based upon the interpretive critical association of delirious phenomena.“141
Critical activity: „“

Es bleibt die Frage: was macht die PCM zu einer kritischen Methode? Entlang der Psychoanalyse Sigmund Freuds, avanciert unter den Surrealist_innen in Paris, allen voran Andre Breton, das Unbewusste von einem Tor verschlossen. Entfernte Bilder werden daraus in den Raum und Zeit bewusster Gegenwart transportiert. Dalí aber möchte forschen und trachtet danach durch dieses Tor hindurch in sein Unterbewusstsein zu gelangen.142 Kritisch zu erforschen heißt sich über die paranoiden Assoziations- und Assimilationsvorgänge des Unterbewusstsein bewusst zu werden und sich diese zu einem eigenen kreativen Mittel zu machen. 
Die PCM ist die einer obsessiven Idee dienstbare kreative Assimilation zwischen vermeintlich objektiven und subjektiven Fakten und Empfindungen. Um Adam Jaspers Metapher eines Entwurfsstudios zu verbildlichen, erkläre ich sie anhand meiner hier vorliegenden Arbeit. Meine Obsessive Idee ist die Antizipation eines arbiträren Raums, als ein meta-physischer, vom-feministischen-Subjekt-ausgehender Raum. Objektiv sind die physische und materielle Konstitution von Körper und Raum, als auch die Philosophiegeschichte. Diese empfange ich allerdings im Delirium meiner Obsession. Ich assimilieren sie mit meinem subjektiven Empfinden das Körper an der Konstitution von Raum beteiligt ist, und verforme sie schlussendlich zugunsten meiner obsessiven Idee. Ich trage sie hier als meine Argumente vor, die ich sodann als eine objektive Wahrheit meine Leser_innen glauben mache. Rem Koolhaas zitiert dazu Salvador Dalí aus La femme visible, 1930: “The essence of paranoia is this intense […] relationship with the real world: ‘The reality of the external world is used for illustration and proof […] to serve the reality of our mind […].”143 The real world steht also im Dienste der Welt, die in meinem Kopf stattfindet und diese ist die einzig wahre Welt – meine objektive Wahrheit. Mit Dalís Worten gesprochen: “By this method paranoiac-critical activity discovers new, and objective ‘significances’ in the irrational”144 Dalí nennt diesen viszeralen Vorgang: „speculative cannibalism.”145 Ich nenne ihn die Überzeugung, dass es nichts Unverständliches geben und dass im Zweifel alles als Symbol gelesen werden kann. Rem Koolhaas nennt New York einen modernen Mythos. Er liest die Stadt und belädt sie mit Bedeutungen – seinen eigenen, objektiven Wahrheiten.146

Und so führt Salvador Dalí unwissentlich Rem Koolhaas in das Feld meiner Betrachtung, obgleich es sich eigentlich umgekehrt zugetragen hat. Rem Koolhaas, mein delirischer Begleiter, ist zuerst da und gerade deshalb, da seine Position selten dogmatisch ist, im Kontext meiner Auseinandersetzung mit feministischer Theorie relevant. Delirious New York: a Retroaktive Manifesto for New York, 1994, ist ein retroaktiven Manifests, weil es für ein präaktives Manifest zu spät ist. Koolhaas als arbiträrer Provokateur illustriert darin eine polemische, fiktive Zusammenkunft der beiden heroisch europäischen Gegenposition Le Corbusier und Salvador Dalí in Manhattan. Salvador Dalí tritt darin als Personifizierung des Irrationalen, des Surrealismus und des Unbewussten Geistes auf, den es kritisch im selben Akt zu entfachen und zu entschlüsseln gilt. Le Corbusier hingegen ist die personifizierte Gestalt der cartesischen Logik und des Rationalismus. Beide bringen uns die (obgleich wir sie nicht danach fragten) ersehnte europäische Moderne. 
Tatsächlich ereignen sich einige Besuche der beiden Protagonisten in New York, aus deren medialem Report Koolhaas zitiert: „In the mid-thirties both Salvador Dalí and Le Corbusier – they hate each other – visit New York for the first time. Both conquer it, Dalí conceptually through interpretative appropriation (‘New York: why, why did you create my statue long ago, long before I was born?’147), Le (‘its skyscrapers are too small148’) Corbusier by proposing literally to destroy it.”149
Koolhaas widmet Dalí und Le Corbusier in Delirious New York ein ganzes Kapitel, das stellenweise stellvertretend für den imperialistischen Unterwerfungswillen des europäischen Patriarchat gelesen werden kann – Manhattan ist das Kind seines Kulturexports, welches ihm ungezogener Weise abhandengekommen ist. Sowohl das titelgebende Delirious kann als eine Referenz an Dalí gelesen werden, als auch Koolhaas Argumentation. Koolhaas macht sich Dalís PCM zu eigen und kennt trotz dessen keine Schmach in der Darstellung ihres Urhebers als peinlich gebieterischen Franzosen. 
„BIUER! AI BRING OU SURREALISM.
AULREDI MENI PIPOUL IN NIU YORK JOVE BIN INFECTED BAI ZI
LAIFQUIVING ANS MARVELOS SORS OF SUURREALISM. – Salvador Dali.”150
Ich möchte Koolhaas Polemik über Le Corbusier und Dalí lesen, als ein Entschärfen ihrer imperialistischen Mächtigkeit, als vermeintlich alleinige Vertreter und Gründungsväter der beiden führenden Strömungen der europäischen Moderne. Le Corbusier und Dalí scheinen selbst irrationale Figuren zu sein.151 Le Corbusier und Dalí sind arbiträr und politisch problematisch, woran sich die kontroverse Rezeption ihrer beider Persona und Werk auflädt. In einer Podiumsdiskussion, Do We need Another Hero?, 2023,152 beantwortet Wilfried Kühn die titelgebende Frage mit der Referenz an Hans Hollein, der sich diese Art der Kontroverse zu einem Mittel der Selbstinszenierung, als Popstar der Kunst- und Architekturszene, macht. Darin mag Hans Hollein Rem Koolhaas vielleicht Vorläufer sein, obgleich Koolhaas viel mehr den durch seine Unparteilichkeit provozierenden Intellektuellen mimt. Selbstinszenierung verstehe ich als appropriative Praxis von Rosi Braidottis und Hélène Cixous Theorie. Eine letztgültige – absolute – Wahrheit kann ich schon in mir Selbst nicht sehen. Noch weniger erklärlich ist mir daher eine meiner-Selbst-äußerlichen – absoluten – Wahrheit, wonach die Situationistische Internationale zu streben scheint. Alles scheint mir konstruiert (sozialisiert) und durch Körper und Sprache konstituiert. Die Inszenierung eines Selbst betrachte ich als eine kreative Teildisziplin dessen.


        Roland Barthes, Rem Koolhaas und Le Corbusier gießen das Symbol in Beton

Die Inszenierung einer architektur- und/oder kunstschaffenden Person durch ihr Werk ist von der Inszenierung als kreatives Spiel eines eigenen Selbst leicht unterschieden. Le Corbusier gelingt die Kür der Selbstinszenieren durch sein Werk. Sein Werk ist durch ihn, als meta-physische Struktur, in die Welt gebracht. „In a classic paranoid self-portrait, he claims: ‘I live like a monk and hate to show myself, but I carry the idea of combat in my person. I have been called to all countries to do battle. In times of danger, the chief must be where others aren’t.’”153 The Chief stürzt sich in das Schlachtfeld. Er kämpft an vorderster Front für ein New York, das bekümmernd nach einer neuerlichen Kolonialisierung durch europäische Struktur und Symbolik zu trachten scheint. 
„Architecture = the imposition on the world of structure it never asked for and that existed previously only as clouds of conjectures in the minds of their creators. Architecture is inevitably a form of PC activity.”154 schreibt Rem Koolhaas und bezieht sich dabei auf Le Corbusier, den er stellvertretend installiert für den europäischen Architektur-Patriarchen und Kultur-Kolonialisten. Obgleich die Welt ihn nicht danach fragt, setzt Le Corbusier ihr seine eigene meta-Physik auf. Was bis gestern bloß subjektives Struktur-Gespinst in Le Corbusiers Kopf war, setzt Le Corbusier heute schon als objektifizierte Wahrheit in die Welt. Kritisch erscheint daran auf den ersten Blick nichts, erst in der Kontextualisierung mit Dalís Paranoid Critical Method. Die PCM ist eine Sequenz zweier aufeinanderfolgender – auf die paranoide folgt die kritische – Operationen:
“1. The synthetic reproduction of the paranoiac’s way of seeing the world in a raw light – with its rich harvest of unsuspected correspondences, analogies and patterns; and 2. The compression of these gaseous speculations to a critical point where they archive the density of a fact: the critical part of the method consists of the fabrication of objectifying ‘souvenirs’ of the paranoid tourism, of concrete evidence that brings the ‘discoveries’ of those excursions back to the rest of mankind, ideally in forms as obvious and undeniable as snapshots.”155 Und eine falsche Faktizität wird als Emporkömmling einer objektiven Wahrheit legitimiert. “Le Corbusier’s favorite method of objectification – of making his structures critical – is reinforced concrete.”156 Im selben Akt also indem Le Corbusier sein Gespinst als betongegossener Architektur gebiert, wird dieses als Wahrheit in der Welt objektiviert. Das macht Architektur im Allgemeinen zu einer paranoiden Aktivität und die Architektur Le Corbusiers im Speziellen. “Dali’s diagram of the Paranoid Critical Method at work doubles as diagram of reinforced concrete construction: […] infinitely malleable at first, then suddenly hard as rock.”157
Das Kapitel Metaphysik des Raumes in poststrukturalistischer Philosophie und ein erster Ausblick auf die feministische Theorie beschließe ich in einem kreisförmig geschlossenes System. Sobald sich der meta-physische Raum als architektonischer Raum manifestiert, bestätigt der architektonische Raum den meta-physischen Raum in seiner Konstitution. Meta-physische Räume strukturieren das Leben und das Wohnen maßgeblich. Vereinfacht gesprochen mögen gesellschaftliche Konventionen (meta-physische Räume) bestimmte Formen des Wohnens und des Zusammenlebens ideal setzen, was zur Folge hat, dass Wohnen auf quadratisch kompaktierten Grundrissen (physische Räume) Platz finden soll. Die Konvention gelangt daher mit Einzug und Benützung durch die Bewohner_innenschaft zur erneuten Bestätigung und der Kreis setzt sich fort. Rem Koolhaas wird mir später mit ausgeklügelten Gegenbeispielen, Casa Palestra und New York Athletics Club, zur Hand gehen. Mit diesen wird eine Verantwortung im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit sozialpolitischen und baulich manifestierten Konvention, die mit der Berufspraxis der Architekt_in einher geht, deutlich. 

Anders als die vermeintlich anonyme Masse die Manhattan zu Stein trug, bleibt Rem Koolhaas bloß die Möglichkeit retroaktiv seine Symbole, seine eigene meta-Physik auf New York zuzuschreiben. Koolhaas retroaktives Manifest ist gegenüber Le Corbusier weniger grob. Er erklärt sich selbst zum „Ghostwriter“158 Manhattans. Er schreibt eine Biografie im Stil der PCM, in der Fiktion und subjektive Wahrheit zu neuer Faktizität formatieren. „With Delirious New York Koolhaas realizes the Surrealist dream of discovering symbols and myths in Manhattan. When the majority of the Surrealists arrived in New York after the war, they found America alien and as a whole a ‘land without myth.’ Looking for icons and symbols to give meaning to their environment, they found nothing in the city that would fit into the modes of thinking that they had brought with them from Paris and elsewhere.”159 Koolhaas belädt die bestehende Architektur Manhattans bloß postpartum mit einer eigenen Interpretation. Er mokiert sich polemisch über den europäischen Unterwerfungswillen, an welchem die Kulturkolonialisten zu scheitern drohten. Denn wo es Koolhaas bloß um die Beweisführung der PCM als schlüssige Methode geht, geht es der Gruppe, die sich unter Le Corbusier subsummierte, um nichts weniger als entweder präpartum, die betongegossene Idee, oder postpartum, die Aufladung betongegossener Substanz als europäisches Symbol. 
Roland Barthes, Semiotiker, erweitert Ferdinand Saussures, Linguist, arbiträres Verhältnis zwischen Signifikat und Signifikant. Saussure etabliert das grundlegende Konzept des Zeichens als Zusammenspiel von Signifikant und Signifikat. Aus Saussures binärem System erwächst nach Barthes eine semiotische Verkettung erster und zweiter Ordnung. Die erste Ordnung ist das sprachliche Zeichen. Die zweite Ordnung ist der Mythos mit dem Barthes das komplexe System der strukturalistischen Linguistik um gesellschaftliche und kulturelle Dimensionen der Zeicheninterpretation erweitert. Denn die zweite Ordnung mag zwar die erste referenzieren, doch ist die erste Ordnung weder universell noch unveränderlich, sondern kulturell konstruiert. Mythos entsteht. Koolhaas illustriert das Erstaunen der europäischen Mystiker, unteranderem Le Corbusier und Dalí, über „[Amerika], a land without myth“.160 Denn wo die eigenen, europäischen Mythen nicht greifen, scheinen vermeintlich keine vorhanden zu sein. Die materielle Manifestation von meta-Physik ist von der prä-aktiven und retro-aktiven Aufladung durch meta-Physik sensibel zu unterscheiden, deshalb, da sie andere politische Verantwortlichkeiten zur Gestaltung unserer Gegenwart tragen. 

Koolhaas arrangiert in Delirious New York ein Bankett, – eine Begegnung zwischen den europäischen Größen des Rationalismus und des Surrealismus, des Strukturalismus und des Poststrukturalismus. Geladen dazu sind Le Corbusier, Salvador Dalí, Ferdinand Saussure, Roland Barthes, Jaques Derrida, Rem und ich. Laut Rem und mir ist uns allen eines gemein, – neben dem Bestreben sich-selbst-in-die-Welt-zu-tragen, ein arbiträrer Raum der von uns als Subjekten ausgeht, und der sich durch die Komplexität von Sprache und Symbol beweisführen lässt.



        Die Arbitrarität der Casa Palestra

Mittels Casa Palestra, OMA/AMO, 1985, möchte ich illustrieren, was ich meine, wenn ich von Rem Koolhaas als arbiträre Figur und Erschaffer arbiträrer Räume spreche. Casa Palestra ist die Spitze meiner Reflexion über den arbiträren Raum, und zwar insofern als da es die ultimative Überlagerung eines meta-physischen, vom-Subjekt-ausgehenden und das-Subjekt-umgebenden-Raumes, und eines real physischen, der materiellen Manifestation als Architektur. Casa Palestra ist ein Beitrag von OMA/AMO zur Triennale in Mailand. Es ist eine gebogene Variante von Mies van der Rohes Barcelona Pavillon, 1929. Zur Projektvorstellung von Casa Palestra schreiben OMA/AMO: „[…] It has always been our intuition […], that modern architecture is in itself a hedonistic movement, that its severity, abstraction and rigor are in fact plots to create the most provocative settings for the experiment that is modern life. Our presentation was to illustrate this point by bending the Barcelona Pavilion and systematically develop a project of its all human occupancy related to physical culture in the widest possible sense of the word. The house will be both desecrated and inaugurated, and show its perfect appropriateness for even the most suggestive aspects of contemporary culture.“161 Obgleich sich Rivalitäten zwischen Mies van der Rohe und Le Corbusier eingestellt haben, fallen sie in Konfrontation mit den Surrealisten in die gleiche Kategorie. Der Barcelona Pavillon gilt exemplarisch für modernistische Architektur, aufbauend auf Logik und rigider Struktur. OMA behaupten, dass die Rigidität moderner Architektur die größtmögliche Provokation modernen, hedonistischen Lebens ist. Und zwar, wie ich verstehe, insofern als da sich das Experiment modernen Lebens, das in seinen Verrücktheiten der modernen Architektur diametral gegenübersteht, durch seine Andersartigkeit provoziert sieht. Provoziert und produziert, denn durch die Provokation wird modernes Leben herausgefordert, was Trotz zur Folge hat und sich in einer übersteigerten Produktivität seiner Verrücktheiten zeigt. Deshalb erklären OMA/AMO die moderne Architektur zu einer in ihrem Wesen hedonistischen Strömung. Sie biegen den Pavillon in einer hedonistischen Geste von architektonischer Gesetzlosigkeit und strapazieren das dialektische System aus Rigor und Exzess bis an dessen Grenzen. Sie inszenieren darin eine Performance „somewhere in the ambiguous zone between exercise and sexual pleasure, […] whose aim is to shock people into an awareness of the possible ‘hidden’ dimensions of modern architecture.”162
Angewendet auf meine Theorie des arbiträren Raums, versuche ich deutlich zu werden: Modernes, hedonistisches Leben zeichnet sich meines Erachtens durch die vom Subjekt ausgehende Arbitrarität aus. Das Subjekt bewegt sich in einem unendlichen Spektrum von Wahrheiten, Inszenierungen und paranoiden Delirien und löst deshalb von sich selbst einen arbiträren Raum aus. Das Subjekt wird auch von einem Raum umgeben. Einem Raum, der suggeriert wie modernes Leben auszusehen hat und dann doch, durch seine arbiträren Bewohner_innen, zu einer neuerlichen Bedeutung aktiviert wird, nicht zwangsläufig deckungsgleich mit dessen modernistischer Intention. Es überlagern sich zwei räumliche Systeme, deren Ursprung ein jeweils anderer ist, in einem dialektischen Gleichgewicht. OMA/AMO biegen, sprichwörtlich gemeint, dieses Gleichgewicht zugunsten des Exzess, oder dem was mit Experiment des modernen Lebens und physiologischer Kultur gemeint sein mag. Das Gleichgewicht zwischen den beiden meta-physischen Raumpolen gerät ins Wanken, was Arbitrarität in ihrem Verhältnis zueinander auslöst, – weniger definiert, mehr differenziert. Diese Arbitrarität manifestiert sich physisch in dem, bildlich gesprochen, gebogenen Barcelona Pavillon. 


        Die Arbitrarität des Downtown Athletic Club 

Koolhaas umreißt den Downtown Athletic Club New York, 1931, in Delirious New York wie folgt:
“In einer abstrakten Choreografie pendeln die Athleten des Clubs zwischen dessen 38 ‚Handlungen‘ auf und ab, in einer so zufälligen Reihenfolge, wie sie bloß ein Fahrstuhlführer erzeugen kann. Jede dieser Handlungen verfügt über den psycho-technischen Aspekt, der es den Männern gestattet, sich neu zu erfinden. So eine Architektur ist eine aleatorische Form der ‚Planung‘ des eigenen Lebens. Im phantastischen Übereinander ihrer Aktivitäten sind die Stockwerke des Clubs eigenständige Fortsetzungen einer völlig unvorhersehbaren Handlung, die der bedingungslosen Unterwerfung unter die definitive Instabilität des metropolitanen Lebens huldigt.“163 Ob unkritische Unterwerfung oder spielerischer Artikulation des Selbst, stellt Koolhaas hier nicht zur Debatte und wenn doch, dann bloß als die zwei Gesichter derselben Münze: „Als Bastionen des Antinatürlichen sind Wolkenkratzer wie der Downtown Athletic Club die Ankündigung einer unmittelbar bevorstehenden Aufspaltung der Menschheit in zwei Stämme: die Metropolitaner, die, im wahrsten Sinne des Wortes selbstgemacht, das Potential des Apparats der Modernität voll ausschöpfen, um noch nie dagewesene Grade der Vollkommenheit zu erreichen – und, schlicht und einfach, den Rest der Menschheit. Der einzige Preis, den seine Umkleideraum-Absolventen für ihren kollektiven Narzißmus zu zahlen haben, ist Sterilität. […]“164

Auch durch den Downtown Athletic Club möchte ich mein Argument der Arbitrarität zwischen meta-physischem und physischem Raum sichtbar machen. Der Downtown Athletic Club ist kein architektonischer Entwurf von AMO/OMA gestaltet, sondern einer den Kohlhaas durch seine Sicht der Dinge neu interpretiert. Diese Interpretation die Koolhaas dem Club auferlegt, macht ihn gewisser Weise zu seinem Eigen. Es ist ein Wolkenkratzer, der auf insgesamt 38 Stockwerken Leisure Aktivitäten anbietet,– neben Boxing auch eine Oysterbar, einen Swimmingpool und einen Golfplatz.  
Koolhaas schreibt: “[…] with the Downtown Athletic Club the American way of life […] definitively overtake[s] the theoretical lifestyle modifications that the various 20th-century European avantgardes have been insistently proposing, without ever managing to impose them.”165 Worin äußert sich der Unterschied zwischen dem vermeintlich amerikanischen und europäischen way of life? Koolhaas spielt hier mit Klischees, die die avantgardistischen Europäerinnen, als auch Amerikanerinnen durchaus zu bestätigen bemüht sind. Der Downtown Athletic Club befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Wall Street und huldigt dem ästhetischen Ideal eines wirtschaftsgewandten Amerikaners. Durch ihre Mitgliedschaft im Club dürfen sich die Männer in diesem Ideal bestätigt wissen, das physisch bloß gestärkt werden muss. Dieses Ideal gleicht meiner Vorstellung einer meta-Physik, die Koolhaas auch als solche bennent: „[…] the Downtown Atheltic Club appears to be a […] definitive manifestation of those metaphysics – at once spiritual and carnal – that protect the American male against the corrosion of adulthood.”166 Die definitive Manifestation dieser meta-Physik versucht die „[…] Instabilität“,167 die hinter diesem System steht, unbemerkt zu machen. Es ist eine das-Subjekt-umgebende meta-Physik, also ein struktureller Raum, der das Subjekt anleitet, ihm zeigt wie es zu sein hat. Diese definitive meta-Physik steht allerding in einem arbiträren Verhältnis zur definitiven Instabilität des Subjekts, mit der Koolhaas dieses Kapitel titelgebend benennt. 

Ähnlich wie bei Casa Palestra stehen sich hier die beiden meta-physischen Räume als geschlossenes System gegenüber. Das Gleichgewicht zwischen Rigor und Exzess wird allerdings durch die vertikale Vervielfältigung des modernistischen Grundriss, analog zu Casa Palestras Biegung, empfindlich gestört – weniger definiert, mehr differenziert. Ich lese das Subjekt, das sich in seiner Arbitrarität, seiner definitiven Instabilität, auf diese 38 Stockwerken jeweils neu erfinden kann, als eine Handlungsermächtigung seiner selbst. Ich möchte es nicht mehr für kollektiven Narzissmus und steril im Sinne von Design168 halten, sondern komplex im Sinne einer künstlerischen und poststrukturalistisch, feministisch aktivierten Theorie, die die Arbitrarität des Subjekts lebt, und sich durch die vertikale Vervielfältigung physisch manifestiert. 


        Reparatives Lesen und Selbstdesign 

Ich schließe zur Einführung dieses Kapitels an Boris Groys Obligation to Self-Design an. Wo ehemals Gott über die Schönheit unserer Seele richtete, besetzt heute unser soziales Umfeld diese Instanz. Statt Gottes Auge, dass uns bis ins Innerste durchdringt, sind wir selbst dazu angehalten unserer Innerstes nach außen, unserem Umfeld vorzutragen. Dadurch erklärt sich die ethische Dimension die laut Groys mit Selbstdesign einhergeht.169 “Where religion once was, design has emerged. The modern subject now has a new obligation: the obligation to self-design, an aesthetic presentation as ethical subject.”170 Boris Groys eröffnet damit in Desigining of the Self, eine Diskussion über Self-Design or Productive Narcissism. Vor dem Hintergrund der Säkularisierung versteht Groys Selbstdesign als ästhetische Aufgabe, um sich als ethisches Subjekt in der Welt zu präsentieren. „Previously, the body was the prison of the soul; now the soul became the clothing of the body, its social, political, and aesthetic appearance. Suddenly the only possible manifestation of the soul became the look of the clothes in which human beings appear, the everyday things with which they surround themselves, the spaces they inhabit.”171 Boris Groys baut für sein Argument eine Brücke zwischen Gott und Adolf Loos, die sich erklären lässt, ohne auf Loos näher eingehen zu müssen.172 Die modernistische Avantgarde, für die Loos Texte stellvertretend gelesen werden können, plädiert für pures, reines Design und Ornament ist Verbrechen. Das Subjekt, das sich obligatorisch selbstdesignt, soll sich zum Ziel setzen diese Reinheit in allen Belangen ihres Alltags und Aussehens zu leben. Das gleiche gilt, in Beziehung zum großen Spiel der Situationistischen Internationalen, auch für den modernen Konsumenten. „Modern consumers present the world the image of their own personality—purified of all outside influence and ornamentation. But this purification of their own image is potentially just as infinite a process as the purification of the soul before God.”173 Sobald die modernistische Avantgarde ihren Zenit überschritten hat, verliert sie ihren Pathos und reiht sich als Strömung in die Kunstgeschichte ein. Es bleibt ästhetische Verantwortlichkeit und Selbstdesign avanciert zu Ethik. „[E]veryone is the author of his own corpse—everyone becomes an artist- designer who has ethical, political, and aesthetic responsibility for his or her environment.”174 Ich lese darin eine Aufgabe, die kreative Selbstsuche und -inszenierung implizit meint. 
Sowohl Hélène Cixous als Rosi Braidotti leiten mich an, Selbstdesign und -inszenierung als affirmative, kreative Praxis zu verstehen. Verschiede Versionen des eigenen Selbst und des Selbst als bewegte Figur zu betrachten ist auch das, was ich in den beiden vorangegangen Kapiteln zu Casa Palestra und New York Athletic Club antizipiere, – die materialgewordene arbiträrer Räumlichkeit des Subjekts. Wo aber die Grenze ziehen zwischen Selbstdesign als kreativem Spiel und einem Narzissmus, wie ich in Verbindung mit Le Corbusier betongewordener meta-Physik an anderer Stelle anschneide? 
Teil der perfekten Inszenierung des Corbusierischen Selbst ist sein politisch nicht unproblematisches Werk. Durch dieses trägt er sich selbst als kontroverse, aber politisch konkrete Position zur Welt. Rem Koolhaas personelle Inszenierung hingegen gelingt stellenweise, durch die politisch provozierende Indifferenz, gerade keine Position zu beziehen. Obgleich ich keine Parallele zwischen Koolhaas und Le Corbusier sehe, kann ich keinen der beiden als kreativen Spieler meiner feministischen Theorie verstehen, und wenn doch, dann bloß als die andere Seite derselben Münze, – Produktiver Narzissmus versus Selbstdesign.175 Denn wonach ich in dieser Theorie suche ist weder eine konkrete, kontroverse Position noch eine Affinität zur Indifferenz. Ich suche Affinität zur Differenz, wie Rosi Braidotti sagt, und Arbitrarität durch Körper und Sprache konstituiert. Rem Koolhaas arbeitet in seinem textlichen als auch architektonischen Werk mit Körper und insbesondere auch mit Sprache. In jedem sprachlichen Symbol erschließt sich ihm ein unendliches Feld zur Interpretation. Die Paranoid Critical Method ist ihm dazu sein kreatives Mittel. Sie schmälert den Grad zwischen dem was ich zuvor als inszenierte Indifferenz beschreibe und der Affirmation zur Differenz. Koolhaas mag sich zwar als indifferent inszenieren, doch halte ich seine Position für ziemlich entschieden und konkret. Doch gerade diese Affirmation könnte Koolhaas als Spielfigur aussehen lassen, die sich auf dem Feld äußerer Einflüsse umher schubsen lässt. Ich aber halte diese für eine eindeutig und liebende Position. Sie hält dagegen sich als rein intelligibles Subjekt durch die Welt zu bewegen. Sondern sie ist arbiträr. 

Eve Kosofsky Sedgwick setzt sich in ihrem queerfeministischen Essay Paranoid Reading and Reparative Reading; or, You're So Paranoid, You Probably Think This Introduction Is about You, 1997, mit der Kontroverse paranoiden Lesens schreibend auseinander, ohne sich konkret auf Salvador Dalís Paranoid Critical Method zu beziehen. Und dennoch lese ich ihren Essay, als ob dies zutreffend wäre.   Entgegen meinem vorangegangenen Argument, das eine Ethik der Affirmation postuliert, versteht Sedgwick das symptomatische Bild der Paranoia als eine präventive Vorkehrung gegen unerwartete äußere Angriffe. Differenz wird nicht empfangen, sondern abgewehrt. Sedgwick spricht von einer Hermeneutik des Verdachts, die dazu anleitet argwöhnisch zwischen den Zeilen nach versteckten Hinweisen zu suchen – dass ich alles auf mich selbst projiziere, da ich Angst vor dem Eintreten von unliebsamen Eventualitäten habe und deshalb Vorsorge trage.176 Dadurch drängt sich unweigerlich auch die Auseinandersetzung mit Paranoia als psychologisches Spektrum auf. 
Koolhaas schreibt in Delirious New York, sein Argument schon durch die Mittel der PCM stützend: „In fact, paranoia is a delirium of interpretation. Each fact, event, force, observation is caught in one system of speculation and ‘understood’ by the afflicted individual in such a way that it absolutely confirms and reinforces his thesis – that is, the initial delusion that is his point of departure.”177 
Wikipedia schreibt: „Paranoia (von altgriechisch parà „neben“, und noûs „Verstand“;[1] wörtlich etwa „wider den Verstand, verrückt, wahnsinnig“) bezeichnet im engeren Sinne eine psychische Störung, in deren Mittelpunkt Wahnbildungen stehen; […] Die Betroffenen leiden an einer verzerrten Wahrnehmung ihrer Umgebung in Richtung einer feindseligen […] Haltung ihrer Person gegenüber.“178
Sedgwick schreibt im Kontext ihrer queerfeministischen Theoriebildung: „Freud, of course, traced every instance of paranoia to the repression of specifically same-sex desire, whether in women or in men. […] If paranoia reflects the repression of same-sex desire […] then paranoia is a uniquely privileged site for illuminating not homosexuality itself, as in the Freudian tradition, but rather precisely the mechanisms of homophobic and heterosexist enforcement against it. What is illuminated by an understanding of paranoia is not how homosexuality works, but how homophobia and heterosexism work – in short, if one understands these oppressions to be systemic, how the world works.”179
Sedgwicks Ansatz hat prinzipiell ein anderes Anliegen zum Ziel als Koolhaas und Dalí, denn sie möchte die strukturelle und oft oppressive Beschaffenheit von Wissensproduktion sichtbar machen. Dazu schlägt sie ein Gegenvorhaben vor und stellt paranoides dem reparativen Lesen entgegen.  Geraldine Tedder in You Are Probably Completely Oblivious That This Text Actually Is About You, 2020, schreibt: „[T]he reparative is and remains obscure. It does not mean to clarify. […] It could be seen as a turn away from critique as it contrasts with protocols such as maintaining a distance, outsmarting or refusing to be surprised. [T]he reparative reading not only makes visible violent frameworks of arguments (as does a paranoid reading) but opens a space of fantasy in which the poetic, or the speculative, or improvisation can arise, or even a struggle (with one’s own opinion, with one’s own writing) be made visible.”180

Ich schlage vor Dalís Paranoid Critical Method um Eve Kosofsky Sedgwicks Reparation und dieses nachfolgende Bild André Bretons zu ergänzen: „Nämlich ein möglichst munter plätscherndes Monologisieren, das vom kritischen Verstand des Redenden gar nicht mehr kontrolliert wird, sich somit durch keinerlei Zurückhaltung hemmen lässt und also möglichst genau an das herankommt, was man den in Worten wiedergegebenen Gedankenstrom nennt. Es kam mir damals und kommt mir heute noch so vor, als ob das Tempo des Denkstroms nicht höher sei als das Tempo der Rede und das Denken also nicht unbedingt unser Sprechen oder Schreiben überfordere.“181


        Stadt als Kondition

Arbitrarität auf einen vorgefundenen Gegenstand zuzuschreiben ist einfach. Rem Koolhaas macht es mir vor. Es verhält sich ähnlich zu der Tatsache, dass ich anfange zu schreiben wie er, – Polemik liegt mir eigentlich nicht. Arbitrarität von einem Gegenstand weg zu schreiben, hingegen ist schwer. 

Dieses Kapitel soll helfen die in den vorangegangenen Kapiteln kontextualisierten Theorien in einer architektonischen, materiellen Manifestation zu konkludieren. Nach meiner Auseinandersetzung mit Casa Palestra und New York Athletics Club möchte ich die, insbesondere in den materialistischen Theorien Lefebvres und Benjamins diskutierte, meta-Physik der Stadt in ihrer materiellen Manifestation befragen. Denn New York Athletics Club und Casa Palestra betrachte ich bislang bloß als Solitäre, die zwar entlang einer meta-Physik des „modernen Lebens“, einer der Architektur inhärenten Strömung und Struktur wie OMA schreiben, geformt sind, noch nicht aber in Beziehung zum komplexen Gefüge der Stadt als sozialen und politischen Raum – meiner finalen Herausforderung. 
Eines der Vorhaben dieser Arbeit ist zu deduzieren, was am Ende von Lefebvres sozialer Raumtheorie steht. Weil Lefebvre ein materialistischer Theoretiker ist, suche ich nach einer materiellen Manifestation, und weil ich eine Architektin bin, nach einer baulichen Artikulation. 

Bevor ich zur materiellen Manifestation der meta-Physik Stadt gelange, stelle ich die Frage: Wie sieht die materielle Manifestation des arbiträren Subjekts aus? Kann die räumliche Arbitrarität des Subjekts bloß vor dem Hintergrund anderen Metastrukturen sichtbar sein, – so zum Beispiel, wenn die Strukturen des modernen Lebens oder die Strukturen der Stadt sie versuchen zu bezähmen? Und ist die Antwort so simpel, dass die räumliche Arbitrarität des Subjekts einfach grundsätzlich immer zugegen ist? Und durch dieses immer-zugegen-Seins gar nicht für das philosophierende Auge deduzierbar ist? Casa Palestra und New York Athletics Club argumentiere ich beide als Architekturen in denen vom-Subjekt-ausgehende räumliche Arbitrarität sichtbar, gespürt und gelebt werden kann. Sie sind die Softversion dessen, worin ich das Potential gewachsener Stadt erkenne und im nachfolgenden erkläre. 

Subjekt und Stadt sind von ganz ähnlichen meta-Physiken geformt. Sie sind gegliedert durch soziale Gefüge und Gefälle, strahlen aber verschiedene von-ihnen-ausgehende, arbiträre Räume aus. Das Subjekt bewegt sich in seiner Arbitrarität ziemlich flott, die Stadt hingegen schwerfällig. Auf einer Skala der räumlichen Arbitrarität sieht sich die Stadt gegenüber dem bewegten Subjekt abgehängt. Und dennoch ist die Stadt bewegt. Die ihr zugrunde liegende meta-Physik bewegt sich im kleinsten Grad ihrer Organisiertheit. Gefüge und Gefälle organisieren sich, als ein Prozess des Werdens, der im Gegensatz zum dem des Subjekts, unbefriedigend langsam vor sich schreitet. Es sind die unterschiedlichen Tempi, deren Kontrast das Subjekt in seiner räumlichen Arbitrarität vor dem Hintergrund der Stadt so flott und beweglich aussehen lässt. Die Stadt ist als Kondition das ideale Milieu für die Bewegtheit des arbiträren Subjekts. 

In The Possibility of an Absolute Architecture, 2011, entwirft der Architekturtheoretiker Pier Vittorio Aureli das Bild einer absoluten Architektur, um die Korrelation zwischen der meta-Physik der Stadt und der Physis der Stadt sichtbar zu machen, „[the] need to seriously address the unequivocal social and cultural power architecture possesses to produce representations of the world through exemplary forms of built reality.“182 Als Motiv des Covers wählt er einen Ausschnitt einer partiellen Rasterstruktur, die an das Manhattan Grid und den diagonal kreuzenden Broadway denken lässt. Eine einzelne Architektur thront als Bastion auf der zugespitzten Fläche seines Baufeldes. Zu sehen ist eine Architektur, die ein Vorne und ein Hinten hat, eine Nase und eine Tiara trägt, – eine absolute Architektur nach den Kriterien von Aureli? „The term absolute is intended to stress […] the individuality of the architectural form when this form is confronted with the environment in which it is conceived and constructed […] as something being resolutely itself after being ‘separated’ from its other. In the pursuit of the possibility of an absolute architecture, the other is the space of the city, its extensive organization, and its government.”183 
Aureli vollzieht eine Trennung, zwischen das Formale und das Politische, die die Architektur und folglich auch die Stadt in ihrer Physis formen.184 Urbanization ist die Instanz des Politischen, die meta-Physik. Sie ist das was die Stadt selbstregulierend antreibt. Ihr gegenüber steht die Instanz des Formalen. In dem sich das Formale zumindest zeitweise von dem Politischen distanziert, wird der unkontrolliert verschlingenden Urbanization Einhalt geboten. Das Formale manifestiert sich durch diese Distanz dann als Architekturen, die „[…] act as frames, and thus as a limit to urbanization. These forms are the opposite of what today are called ‘iconic buildings.’ Iconic buildings are typically singular landmarks whose agency is inscribed entirely within the logic of urbanization. […] [They], on the other hand, confront the forces of urbanization by opposing to urbanization’s ubiquitous power their explicitness as forms, as punctual, circumscribed facts, as stoppages.”185 Das Cover von The Possibility of an Absolute Architecture in Erinnerung gerufen, zeigt eine ikonisch sehr selbstbewusste Architektur, – ein conic building oder eine absolute Architektur? In der sich unweigerlich aufdrängenden Referenz zu The City of the Captive Globe, 1972, einer Illustration von Madelon Vriesendorp zusammen mit Rem Koolhaas, Elia und Zoe Zenghelis,186 säumen sich Landmarks, jedes auf einem eigenen steinernen Sockel drapiert. Zu sehen ist die Inversion des Manhattan Grids. Es scheint die totale Emanzipation der einzelnen Zelle gegenüber deren Gesamtzusammenhang. Es ist eine Illustration New Yorks, die Koolhaas später in Delirious New York aufgreifen wird. New York beschreibt er darin als eine städtische Metropole, aufbauend auf einer Rasterstruktur von 2028 nahezu gleichförmigen Blocks: „Das Raster ist zuallererst eine konzeptuelle Spekulation. Trotz seiner scheinbaren Neutralität impliziert es ein intellektuelles Programm für die Insel: Indifferent gegenüber Topografie, gegenüber dem Bestehenden, behaupte es die Überlegenheit geistiger Konstrukte über die Wirklichkeit. Die Anlegung seiner Straßen und Blocks offenbart sein eigentliches Ziel: die Unterwerfung, wenn nicht gar Aufhebung der Natur. […] Darüber hinaus eröffnet die zweidimensionale Disziplin des Rasters nie erträumte Freiheiten dreidimensionaler Anarchie. Das Raster definiert ein neues Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Offenheit, wodurch die Stadt strukturiert und gleichzeitig fließend sein kann, eine Metropole des geordneten Chaos. […] Im einzelnen Block – der größtmöglichen Fläche, die architektonisch kontrolliert werden kann – entfaltet es ein Maximum an urbanistischem Ego.“187 Das Raster, „strukturiert und gleichzeitig fließend“, evoziert „eine Metropole des geordneten Chaos“. Chaos, das bloß unter Aufsicht von Rigor und Struktur Duldung erfährt und sich dadurch limitiert und provoziert sieht. Urbanistisches Ego, dass sich in diesem Akt der Provokation zur Wehr und in die Welt setzt. 
Dieses urbanistische Ego ist die Bestätigung patriarchaler Ordnung und Struktur. Es ist die finale Instandsetzung der Ideologie der schlingenden Urbanization, wie Aureli antizipiert. 

In The City of Captive Globe thronen stolz architektonische Antithesen zur These der Urbanization. Sie sind ein Sammelsurium alternativer Ideologien in OMA‘s „laboratory of ideologies“.188 Zu sehen sind: “Koolhaas’s favorite archetypal buildings, such as the RCA-Building, Superstudio’s Isograms, El Lissitzky’s Lenin Tribune, Malevich’s Tektonics, Mies’s typical American building complex, and even an elevator.”189 Diese Ideologieentwürfe sind “placed on top of a block that mediates between them and the horizontal grid that makes possible their coexistence within the same urban space.”190 “The more different the values celebrated by each [plot], the more united and total the grid or sea that surrounds them.”191 Die Plots/alternativen Ideologien haben einen formalen Freifahrtschein. Dieser suggeriert ein Spiel kreativer Freiheit, von Selbstdesign und gelebter Arbitrarität zu sein. Das Maximum urbanistischen Egos allerdings fühlt sich herausgefordert und tappt in die Falle böser Eitelkeit. Die Ideologie verkümmert in dessen Schatten und bestätigt wird das Grid, in seiner meta-Physik. 

Gilt diese Kritik an das urbanistische Ego auch meinen Bewohner_innen der Casa Palestra? Die rigide Struktur modernistischer Architektur, durch die die Bewohner_innen sich provoziert sehen, wird zu Gunsten des Exzess gebogen. Es ist ein „spectacle, whose aim is to shock people into an awareness of the possible ‘hidden’ dimensions of modern architecture.”192
Sieht sich das Subjekt nicht länger provoziert von der sich in modernistischer Architektur manifestierten Rigidität der meta-Physik, kann sich das Subjekt in seiner Arbitrarität frei entfalten. Die meta-Physik der Rigidität modernistischer Architekturordnung ist also in Frage gestellt. 

Das Manhattan Grid ist Ausdruck dieser selben meta-Physik, auf dessen Grundlage Architekturen wuchern. Würde also auch das Manhattan Grid sensibel gestört, bis sich ein Gleichgewicht einstellt, sähe sich das urbanistische Ego weniger provoziert. Das System in seiner Starrheit leicht zu verändern, es zu öffnen, zu biegen, zu multiplizieren, sodass Architekturen und Subjekte ganz authentisch wuchern und natürlich wachsen können. Vorbild dazu ist die gewachsene Stadt und Casa Palestra. Sie sind in ihrer eigenen Arbitrarität der Arbitrarität des Subjekts ideale Kondition. 

Unfreiwillig treten OMA’s Plots/alternative Ideologien in die Rolle meiner Subjekte und deren Beziehung zur Stadt, was mich zu meiner eingangs gestellten Frage zurück führt. Aureli stellt ganz ähnliche Fragen wie ich. Ich frage: Kann die räumliche Arbitrarität des Subjekts bloß vor dem Hintergrund anderen Metastrukturen sichtbar sein? Aureli fragt: Kann die räumliche Arbitrarität der Architekturen bloß vor dem Hintergrund anderen Metastrukturen sichtbar sein? Aurelis konkrete Antwort darauf lautet: „architectural form is at once an act of radical autonomy from and radical engagement with the forces that characterized the urbanization of cities.” Meine Antwort ist, dass auch das Subjekt zur gleichen Zeit ein Akt radikaler Autonomie von und radikaler Interaktion mit den Kräften der meta-Physik von Architektur und Stadt ist. 


        Der arbiträre Raum I

Die vorangegangen Kapitel knüpfen vage verschiedene Inhalte und Gedankenkonzepte zu einer Raumtheorie – meiner Raumtheorie des arbiträren Raums. Es ist ein Unterfangen, das die surrealistische Methode, die ich in Kapitel drei mittels Rem Koolhaas einführe, oder die performative Rezeptionsästhetik, die ich in Kapitel eins elaboriere, auf Herz und Nieren prüft. Es ist ein leibliches Vorhaben, denn es geht meinen Körper etwas an. Neugierde und Intuition treiben mein Interesse an, – das Oxymoron meiner embodied Knowledge. Es ist eine eigenbrötlerische Theoriebildung, denn meine Beweggründe sind nicht nachvollziehbar, und wenn dann bloß im Zusammenhang mit Koolhaas und Dalí. Ich bewege mich durch ein Archipel, aussteuernd aus meinem Heimathafen der Architektur. Ich folge der Strömung in Richtung feministischer Theorie. In einer losen Konstellation knüpfe ich Insel an Insel auf meiner Entdeckerinnentour. 
Die Raumtheorie als solche ist zweitrangig für mein Vorhaben, denn erstrangig ist die Erprobung dieser Art des künstlerisch, wissenschaftlichen Arbeitens. Die Beschäftigung mit Arbitrarität, sowohl im sprachlichen als auch räumlichen Zeichen, verlangt nämlich nach einer entsprechenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung, und zwar schon im Akt der Theoriebildung selbst. Sie knüpft anthologisch Texte entlang eines gemeinsamen Forschungsstrangs, der aber nicht zwangsläufig ein Novum, sondern ein sehr robustes Gewebe darstellt. Diese vorausgesetzte Arbitrarität ist mir ein Freifahrtschein auf meiner Seeroute. Ich gebe mich großzügig in ihre Hände, gewissermaßen die Inversion der Teleologie.


        Der arbiträre Raum II als Raumtheorie

Die Kapitel dieser Arbeit folgen keiner argumentativen Hierarchie. Ein Titel, der sich eines finalen Conclusios zuspitzt, käme dieser Arbeit daher nicht gerecht. Stattdessen bietet der Titel eine offene Struktur, in dich sich Stichworte eingeschoben haben,– eine Stichwortsammlung bestehend aus: Körper, Sprache, Subjekt sowie poststrukturalistischer und feministischer Theorie.  Der arbiträre Raum selbst ist ein vom poststrukturalistisch feministischen Subjekt ausgehender Raum, oder vielmehr die räumliche Artikulation des poststrukturalistisch feministischen Subjekts. Dieses Subjekt ist meta-physisch räumlich, es ist bewegt und durch Körper und Stimme konstituiert. Dieses möchte ich auch als Einflussträgerin auf physisch materialisierte Räume verstehen. Denn auch in der philosophiegeschichtlichen materialistischen Tradition, nimmt der meta-physische, das-Subjekt-umgebende Raum unmittelbar Einfluss auf die Physis unserer Architektonik und die Stadt. 

Arbiträr installiere ich konkret als Referenz auf dessen Bedeutung in der Linguistik, – als willkürliches Verhältnis zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem, wobei ich keine Hierarchie zwischen dem räumlichen Subjekt, dem-vom-Subjekt-ausgehenden Raum und dem das-Subjekt-umgebenden Raum herstellen möchte. Alle drei sind gleichermaßen arbiträr und stehen in einer reziproken Beziehung zueinander.  Arbitrarität stellt sich demnach je nach Betrachtung entweder in a. im Subjekt als veränderlicher Raum selbst ein oder in b. der Beziehung des Subjekts und des vom-Subjekt-ausgehenden Raums oder in c. der Beziehung des vom-Subjekt-ausgehenden Raums und des das-Subjekt-umgebenden Raums. Oder in d., als Variation zwischen a., b. und c. 

a., das Subjekt selbst ist meta-physischer Raum, der sich in der Schlussfolge auch physisch manifestieren kann. Das poststrukturalistisch, feministische Subjekt zeichnet sich in dessen enormer Komplexität durch Diskontinuität und Nonlinearität aus. Es ist steter prozessualer Veränderung unterzogen, also arbiträr.  
b. die veränderliche Beziehung zwischen dem Subjekt um dem vom-Subjekt-ausgehenden Raum ist meta-physisch und arbiträr. Das Subjekt selbst ist Raum, doch kann dieser Raum auch als vom Subjekt ausstrahlendes Kräftefeld empfunden werden. 
c. die veränderliche Beziehung des vom-Subjekt-ausgehenden Raums und des das-Subjekt-umgebenden Raums. In der Tradition der materialistischen Philosophie denke auch ich meine Raumtheorie als Einflussträgerin auf konkrete Räume, also physisch materiell manifestierte Räume. Der arbiträre Raum ist als das räumliche Subjekt selbst oder dem vom-feministischen-Subjekt-ausgehenden Raum grundsätzlich immer zugegen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sich auch in der Überlagerung dieser mit dem das-Subjekt-umgebenden Raums Arbitrarität einstellt, – als die Überlagerung zweier Systeme. In dieser Überlagern, wie sie in real räumlichen Situationen konstitutiv der Fall ist, stellvertretend durch Subjekt und Stadt, entsteht eine räumliche Komplexität, die zu fassen mir bloß schwer gelingt. Ich versuche sie allegorisch durch die Überlagerung zweier Koordinatensysteme zu illustrieren, die getrennt voneinander, ineinandergreifend sind.  

Dies ist keine Wahrnehmungstheorie als solche, obgleich eine verzerrte/veränderte Wahrnehmung eine logische Schlussfolgerung dessen ist. Sondern ist es eine Theorie, in der die Schlussfolgerung verschiedener philosophischer Ansätze Überlagerung mit der poststrukturalistisch, feministischen Theorie findet, in dessen Folge der Einzug von Körper und Sprache als Konstitutionsfaktoren dieses arbiträren Raumes gelingt. Ich argumentiere in der Linie Rosi Braidotti und Hélène Cixous, dass sich das feministische Subjekt, ergo der arbiträre Raum, durch Körper und Sprache konstituiert. Ich argumentiere, dass dieses feministische Subjekt durch Körper und dessen rezipierende und produzierende Beteiligung geformt wird. Und ich argumentiere, dass Sprache in der poststrukturalistischen und feministischen Theorie, als Emanzipation von strukturellen und konsensualen Konstruktionen gelesen wird, sich vom Logos des Patriacharts zu Gunsten von Arbitrarität zu lösen. 

Obgleich weder physisch materialisiert noch mathematisch artikuliert, ist dieser arbiträre Raum als eine aktiv agierende Raumkomponente Teil der architektonischen Praxis. Die beiden Räume, die ich zu Anfang dieser Arbeit zur Debatte stelle, der meta-physische Raum und der physisch materielle Raum schließen einander nicht als Kontroverse aus, sondern sind Teil eines gleichen Anliegens, des Architekturstudiums, das sich neben der technischen, tektonischen und gestalterischen Realisation insbesondere mit der Bedeutung von Raum auseinandersetzt.
[08] PLÖTZLICHER TOD DURCH RISS IM GESICHT

– folgt –
Instiutions: 
Wahrnehmung
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PLÖTZLICHER TOD DURCH RISS IM GESICHT
– folgt –
[09] LICHES MÄDCHEN AM BUSBAHNHOF

– folgt –
Instiutions: 
Wahrnehmung
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LICHES MÄDCHEN AM BUSBAHNHOF
– folgt –