– folgt –
7 Meinen Begriff der meta-Physik führe ich in Anlehnung an Jaques Derrida ein. Er unterscheidet sich von der traditionellen Metaphysik und dessen philosophischen Kontext, wie ich später beschreibe.
8 Dudenredaktion, Duden online: Raum, https://www.duden.de/rechtschreibung/Raum
9 Stanford Encyclopedia of Philosophy: https://plato.stanford.edu/entries/metaphysics/
10 ebd.
11 ebd.
12 Stanford Encyclopedia of Philosophy: metaphysics, https://plato.stanford.edu/entries/metaphysics/
13 Reinke, Ellen: Derrida, Jacques, Im Fadenkreuz der Tollheit – maintenant die Architektur, 1986, s.20;
ursprünglich erschienen in La case vide, s.4–19, 1986, Übersetzung aus dem Französischen von Ellen Reinke
14 Derrida, Jacques: Im Fadenkreuz der Tollheit – maintenant die Architektur, 1986, s.1f.;
ursprünglich erschienen in La case vide, s.4–19, 1986, Übersetzung aus dem Französischen von Ellen Reinke
15 Abyss in Heideggerian sense meint Abgrund. Heideggers Konzept des Abgrunds bezieht sich auf verschiedene Aspekte seiner Ontologie und Existenzphilosophie. Abgrund ist darin ein Schlüsselbegriff, der die Grenzen der menschlichen Existenz, des Seins und die tiefere, verborgene Dimension des Seins herausfordert.
16 Wigley, Mark: A Room by Any Other Name?, 2012
https://www.youtube.com/watch?v=HqgEAHLwmj0
17 Cadavre Exquis: „Jeu de papier plié qui consiste à faire composer une phrase ou un dessin par plusieurs personnes, sans qu'aucune d'elles puisse tenir compte de la collaboration ou des collaborations précédentes.“ – André Breton, Paul Éluard: Dictionnaire abrégé du surréalisme, 1938
18 siehe Einführung in die Kritik Butlers an Cixous und ein Versuch der Destabilisierung des voronthologisch Subjektstatus und Paranoid Critical Method
19 Derrida, Jacques: Im Fadenkreuz der Tollheit – maintenant die Architektur, 1986, s.4f;
ursprünglich erschienen in La case vide, s.4–19, 1986, Übersetzung aus dem Französischen von Ellen Reinke
20 ebd., s.4
21 Heideggers Fundamentalontologie schlägt vor die Bedeutung vom Sein aus der Perspektive des Daseins zu erschließen und gibt dazu die Existenzialien als Unterscheidungswerkzeug zwischen Sein und Seiendem (Dasein) zur Hand.
22 Metonymie meint in der Rhetorik „Ersetzung des eigentlichen Ausdrucks durch einen andern, der in naher sachlicher Beziehung zum ersten steht (z. B. Stahl statt Dolch)“ – Dudenredaktion, Duden online: Metonymie, https://www.duden.de/rechtschreibung/Metonymie
– anstelle von Metaphysik ließe sich hier metonymisch von Architektonik sprechen, und wiederum von Architektur, die diese baulich zu Stein werden lässt.
23 Hyle meint „Stoff, Materie; (nach Aristoteles) formbarer Urstoff“ –
Dudenredaktion, Duden online: Hyle, https://www.duden.de/suchen/dudenonline/hyle
– Hyletik bezieht sich, wie ich verstehe, auf Aristoteles Physik, in der Stoff, als dialektisches Gegenüber zur Form, der Metaphysik, firmiert. Die Wortneuschöpfung Heideggers, mit der er die Neubegründung einer philosophischen Denkrichtung andeutet, Hylektik der Tradition, lässt in diesem Zusammenhang die Tradition, eigentlich als Teil der Metaphysik gelesen, zu Hyle, zu Stoff, zu Stein werden.
24 Derrida, Jacques: Im Fadenkreuz der Tollheit – maintenant die Architektur, 1986, s.6; ursprünglich erschienen in La case vide, s.4–19, 1986, Übersetzung aus dem Französischen von Ellen Reinke
25 vgl. ebd., s.6
26 durch geschlossene Entität möchte ich die offene Subjektivität feministischer Theorie antizipieren, die später in meinem Text ihren Auftritt haben wird, die sich innerhalb dieses äußerlichen Kräftefelds bewegt und zugleich aus sich selbst heraus ein inneres Kräftefeld strahlt – zwei Koordinatensysteme anderen Ursprungs die einander überlagern
27 ebd., s.4f
28 Die materialistische Theorie besagt, dass das Fundament aller Phänomene, einschließlich der Ontologie, materielle Realität, Physis, ist.
29 Elden, Stuart: An Architektur – Henri Lefebvre, Die Produktion des Raums, 1998, s.4;
ursprünglich erschienen als Konferenzbeitrag zur Postmoderne, There is a Politics of Space because Space is Political, 1998
30 ebd., s.5; Elden, Stuart zitiert Lefèbvre, Henri: The Production of Space, 1991, s.402; ursprünglich erschienen 1974
31 ebd., s.5
32 zugleich Teil der Theorie des Materialismus und meiner Theorie der meta-Physik
33 Elliott, Brian: Benjamin for Architects, Participation and Politics, 2011, s.122
34 Lefebvre, Henri: The Production of Space, 1991, s.19; ursprünglich erschienen 1974
35 Elliott, Brian: Benjamin for Architects, Participation and Politics, 2011, s.122
36 Elliott, Brian: Benjamin for Architects, Participation and Politics, 2011, s.1 u. 7
37 Walter, Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V-1, 1998, s.537f.
38 Walter, Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V-1, 1998, s.532
39 Walter, Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V-1, 1998, s.529
40 Knabb, Ken: Situationist International Anthology, 2006, s.62; ursprünglich erschienen in Les Lèvres Nues #9, Debord, Guy, 1956
41 Walter, Benjamin: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Band V-1, 1998, s.533
42 Elliott, Brian: Benjamin for Architects, Participation and Politics, 2011, s.123f.
43 Psychogeographie meint eine Methode der Situationistische Internationale, eng verbunden mit der Methode des Dérive. Sie erforscht mittels psychischer Wahrnehmung die städtische, als auch architektonische Umwelt, deren Strukturen und Handlungsspielräume und hält diese kartographisch fest.
44 Debord, Guy:The Society of the Spectacle, 2006, s.12; ursprünglich erschienen 1967
45 ebd.
46 ebd., s.12f.
47 Auf „historic mission to establish truth in the world“ komme ich in später in Kapitel 3 zu sprechen – Welche ist die Wahrheit, derer die Situationistische Internationale auf der Spur ist?
48 ebd., s.154
49 Lefebvre, Henri: The Production of Space, 1991, s.9
50 Diese Argumentationslinie wird später und anderer Stelle in dieser Arbeit von Rosi Braidotti aufgegriffen und dient dieser als Impulsträgerin ihrer feministischen Theorie.
51 Gilles Deleuze, Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Merve Verlag Berlin, 1992, ursprünglich erschienen 1980, s.658
52 ebd. s.666
53 Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 1916, s.20
54 Dudenredaktion, Duden online: Arbitrarität, https://www.duden.de/suchen/dudenonline/Arbitrarität
55 Dudenredaktion, Duden online: arbiträr, https://www.duden.de/rechtschreibung/arbitraer
56 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, 2021, s.212; ursprünglich erschienen 1990
57 vgl. Cixous, Hélène: Das Lachen der Medusa, 1975
58 Braidotti, Rosi: Writing as a Normadic Subject, erschienen in: Comparative Critical Studies, 2014, s.163
59 ebd., s.181f.
60 Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter dient meinem Vorhaben, eines feministisch argumentierten Raums, als Gedankenbrücke in zeitgenössische queer-feministische Diskurse, innerhalb welcher Hélène Cixous in Kritik gerät. In dem Kapitel Judith Butlers Kritik, elaboriere ich dezidierter diese beiden scheinbar divergierenden Positionen und nehme sie an dieser Stelle überblicksweise vorweg.
61 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.70
62 Ferdinand Saussure begründet den Begriff der Semiotik, ohne zu ahnen, welche weitreichenden, philosophischen Kreise seine Theorie nach sich ziehen würde: „Vorstellbar wäre demnach eine Wissenschaft, die das Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht; […] wir nennen sie fortan Semiologie (von griechisch sēmeîon ‚Zeichen‘). Sie würde uns lehren, woraus Zeichen bestehen und welchen Gesetzen sie gehorchen. Da es sie bislang nicht gibt, kann man noch nicht sagen, was sie sein wird; aber sie hat ein Recht zu existieren; ihr
Platz im Gefüge der Disziplinen steht von vornherein fest.“ – Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 1916, s.20
63 Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 1916, s.10
64 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.70
65 Derrida, Jaques: Grammatologie, 1983, s.19
66 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.75
67 ebd., s.209f.
68 ebd., s.211
69 ebd., s.213
70 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.34
71 ebd., s.34
72 ebd., s.51
73 ebd., s.155
74 Vgl. ebd., s.19
75 Vgl. ebd., s.19
76 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, s.209
77 ebd., s.216
78 ebd., s.12
79 Hier sei ein Hinweis auf Kritik an Butler gegeben, die von Seitens queer-, trans-, intersexueller und aufklärungsaktiver Personen verlautbar wurde. Diese bezieht deutlich Stellung gegen Butlers Vorhaben parodistischer Praktiken zur Vervielfältigung von Körper, Geschlecht, Geschlechtsidentität und Sexualität, da diese für diverse Personengruppen Lebensrealität, nicht Spiel sind.
meta-Physik7 und Raumtheorie
Raum
„Bedeutung:
in Länge, Breite und Höhe nicht fest eingegrenzte Ausdehnung
[…]
in Länge, Breite und Höhe fest eingegrenzte Ausdehnung
[…]“8
Duden bietet stark divergierende Bedeutungskonnotationen zu Raum an. Räume, die in Länge, Breite und Höhe nicht fest eingegrenzte Ausdehnungen beschreiben, sind räumliche Konzepte abseits euklidischer und physischer Artikulation. Diese dichotome Abgrenzung gegenüber dem architektonisch physischen Raum soll mir helfen meinen arbiträren Raum zu beschreiben. Mein arbiträrer Raum ist ein vom-poststrukturalistisch-feministischen-Subjekt-ausgehender Raum. Er ist in seiner Konsistenz entsprechend dem philosophiegeschichtlich konnotierten, das-Subjekt-umgebenden Raums beschaffen, – physisch immateriell.
Dieser das-Subjekt-umgebende Raum tritt als strukturelles Konstrukt auf, das den physischen Raum zu gliedern weiß. Er ist dem physischen Raum vor-gängig, er ist meta-physisch. Er ist zugleich passiv produziert, durch soziale und politische Kontexte, und nimmt aktiv an der Bildung dieser teil. Die Philosophie bedient sich rege dieser Raumbeschaffenheit, insbesondere Walter Benjamin und Henri Lefebvre in ihrer Theorie der Raumproduktion, sowie später Félix Guattari und Gilles Deleuze, in deren theoretische Konstrukte und Raumallegorien ich nachfolgend einführe, um entlang dieser meinen Weg zum vom-poststrukturalistisch-feministischen-Subjekt ausgehenden, arbiträren Raum zu ebnen. Dazu möchte ich meinen Begriff des meta-physischen Raums in der Philosophiegeschichte der Metaphysik kontextualisieren, um ihn zu schärfen und für meine Theorie des arbiträren Raums dienstbar zu machen.
Kurze Philosophiegeschichte der traditionellen Metaphysik
Das Prefix meta “encourage the impression that metaphysics is a study that somehow ‘goes beyond’ physics, a study devoted to matters that transcend the mundane concerns of Newton and Einstein and Heisenberg. [But] this impression is mistaken.”9
Der Begriff der Metaphysik geht auf Aristoteles zurück. Einige seiner Schriften werden in einer späteren Edition als „tà metà tà physiká“, was so viel heißt wie „the after the physicals“, publiziert und legen damit den Grundstein der Metaphysik.10 Metaphysik hieße demnach so viel wie nach-physisch, respektive nicht-physisch, dabei wird vor-physisch dem aristotelischen Vorhaben in seiner Bedeutung am ehesten gerecht. So lässt sich Aristoteles Metaphysik in drei Anliegen umreißen:
„The subject-matter of metaphysics is ‚being as such’.
The subject-matter of metaphysics is the first causes of things.
The subject-matter of metaphysics is that which does not change”11
Aristoteles setzt damit den Grundstein eines Philosophiebegriffs, der sich mehr und mehr weitet zu einem Reservoir philosophischer Probleme, die bislang einer eigenen Begriffsbestimmung entbehrten und sich erst später als eigenständige philosophische Disziplinen begründen – unteranderem die Ontologie, Kosmologie oder transzendental gerichtete Theologie. Mit dieser Begriffsdehnung wird Aristoteles Metaphysik überholt. „[T]hat which does not change”, kann sich nicht weiter als Säule der Metaphysik behaupten, denn “rather suddenly, many topics and problems that Aristotle and the Medievals would have classified as belonging to physics (the relation of mind and body, for example, or the freedom of the will, or personal identity across time) began to be reassigned to metaphysics”12 Körper und Geist, sowie Identität werden Teilgebiete der Metaphysik und erweitern dadurch die Aristotelische Metaphysik um zeitliche und räumliche Veränderlichkeit – Veränderlichkeit, wie sie auch meiner meta-physischen Raumtheorie zentrales Wesensmerkmal ist. Später wird überdeutlich werden, dass gerade diese Veränderlichkeit in der Beziehung von Körper und Geist und Subjektivitätsbildung, die ich aus der poststrukturalistisch, feministischen Theorie Rosi Braidotti und Hélène Cixous deduziere, die meta-physische, räumliche Ebene meines arbiträren Raumes stellt.
Mein Begriff der meta-Physik steht daher bloß unscharf in Aristoteles Tradition. Am ehesten situiere ich ihn in der Nähe des poststrukturalistischen Philosophen Jaques Derrida, der zu einem späteren Zeitpunkt auch im Kontext zu Hélène Cixous einen Auftritt in dieser Arbeit haben wird.
Derridaische Metaphysik des Raumes – Vorweggestellte Einleitung
in die Theorie des Poststrukturalismus und ein Exkurs in die Stadt
In Im Fadenkreuz der Tollheit: maintenant die Architektur, 1986, widmet sich Jaques Derrida der Architektur Bernard Tschumis, insbesondere Parc de la Villette, 1983, aber auch Manhattan Transcripts, 1978. Um seine eigene Deutung des Begriffs Metaphysik zu schärfen, referenziert Derrida den Begriff der Architektonik des Martin Heideggers und bezieht ihm gegenüber Position.
Das französische maintenant grenzt Derrida in seiner für ihn charakteristischen Handschrift von sinngemäßen Konnotationen zur Aktualität und Modernität von Architektur ab. Durch die Methode der Dekonstruktion sucht Derrida konsensual etablierte Wortbedeutungen, die implizit die Vorstellung einer absoluten Wahrheit in sich tragen, zu destabilisieren, indem er ein kreatives Spiel mit der Ambiguität von Sprache eröffnet. Worte können innerhalb diesem zu neuen Notationen gelangen. In einer Fußnote merkt die Übersetzerin dem titelgebenden maintenat die Architektur an: „maintenant – Es gibt tatsächlich kein einzelnes deutsches Wort, das alle Bedeutungen von maintenant enthält. Einfach übersetzt: nun, jetzt, nun also. Aber: Unübersehbar ist im französischen mit main die Hand, mit tenant kommt tenir, halten, ins Spiel. Hier bereits legt Derrida eine Spur zur Philosophie Heideggers […], auch im Zusammenhang dessen, was ‚zur Hand ist‘. Zuhandenheit und Vorhandenheit sind zwei der Heideggerschen Existenzialien. […]“,13 eine Brücke die sich innerhalb dieser Arbeit später schließen wird.
Das Präfix Post, stelle ich, oder viel mehr die allgemeine Philosophiegeschichte, Derridas Vorhaben voran und erkläre ihn dadurch zum Mitakteuer des Poststrukuralismus, obgleich er sich in seinen textlichen Ausführungen gegen eine solche epochale Zuweisung, nicht post-, sondern präventiv zu verwehren weiß: „Diese Posts- und diese Posituren, die sich heute solcherart häufen (Post-Strukturalismus, Postmodernismus etc.) erliegen noch dem Zwang zum Historisieren. Alles macht Epoche […]. Als wolle man wieder einmal Ordnung in eine lineare Abfolge bringen, in Perioden einteilen, zwischen zuvor und danach unterscheiden, die Risiken der Umkehrbarkeit oder der Wiederholung, der Transformation oder der Vertauschung begrenzen: progressistische Ideologie.“14 Derrida entzieht mir, durch diesen unmissverständlichen, wenn auch nicht explizit auf sein Werk verweisenden Hinweis, eine subjektive Deutungshoheit, was meiner Auffassung einer poststrukturalistischen Werksrezeption missfällt. Gleichzeitig stellt er sich im Moment seiner Verweigerung gegen epochale oder kanonische Abgrenzungen, gar der Kategorie als solcher, als Angreifer auf das Feld poststrukuralistischer Argumentation.
Im Zuge dieser Arbeit und dem Kreise-Ziehen um das, was im Kern einen arbiträren Raum beschreiben können wird, nehme ich laufend diese Art der Abgrenzung und Kategorisierung vor, obgleich es meinem eigentlichen Vorhaben wesentlich widersprechen mag, – ich mich doch von allzu engen Kategorien distanzieren möchte, zugunsten einer nicht-linearen, veränderlichen, feministischen Praxis und eigenen künstlerischen Position. Dennoch scheinen mir diese Kategorien und Begriffe unverzichtbar, um mich entlang dieser auf meiner Suche zu hangeln. Ich versuche mich in eigenen Begriffsdeutungen und -umdeutungen, auch in Bezugnahme zu Anderen philosophischen und künstlerischen Positionen, meinem Ziel anzunähern, da diese Methodiken, als die Mittel, die mir zur Verfügung stehen, Teil meiner Gegenwart, meiner eigenen Realität sind, so wie es auch Derrida mit seiner Methode der Dekonstruktion vollzieht.
Mark Wigley, der sich zusammen mit Philip Johnson maßgeblich verantwortlich für die 1988 im Museum of Modern Art New York stattfindende Ausstellung Deconstructivist Architecture zeichnet, die die dekonstruktivistische Architektur als Stil oder Strömung erst formuliert, illustriert seine Interpretation von Derridas Dekonstruktion in Beziehung zu Architektur wie folgt: „Deconstruction is a powerful thinking about what structure is, what holds things together. It’s not a stable base at all. When you get down to the bottom of something, when you’re trying to locate which what allows a structure to stand, […] what allows existence itself to occur, it’s all founded on enigmas and gaps. […] If we always use buildings as our image of stable structure, then we learn that structure is really not what we thought. […] The very thing, the destabilizing aspect of deconstructivism, […] this instability, is the very heard of the beauty of architecture, and is the very thing that attracts architects to buildings. Architects are not attracted to buildings because they stand, but because they are full of enigmas, full of mysteries, paradoxes, confusions.
[…] I’ll give you an example. Firstly, when you’re in a room, you’re not aware, that you are in a room. The sense of being-in is exactly the moment when the room disappears. Now when I look at the room, all the things that I took for granted become really strange, - [architectural interventions are there] to hide from you, that the connection in between the wall and the floor is very insecure. They are moving. Everything is uncertain. So, a room, that thing that is taken for granted so strongly, that we are unaware of them, when we are inside them. Once you really look at a room, that certainty falls apart. […] Because structure, that which allows something to stand, and in this case a building, is precisely that which you can never see. The foundation of a building, which allows a building to stand, – if I’ll show you the foundations, the building will fall apart. So that which allows the building to be, that which allows us to be here, is precisely not available to us. So, it’s mysteries, it’s uncertain. Instead, we have images. […] We are here to get suspended in a set of images that represent the idea of a room, but we are actually not in a room as such, instead we are in a set of representations of a thought of a room.
So, the key strength of this argument, […] revealing the fact that structure doesn’t stand on stable foundations, does not mean that the structure falls. Deconstruction is not about the dismantling of these great assumptions of the wise, of the so-called certainties of our life, – it has the opposite effect. It says what is so strange is that the certainty is founded on uncertainty. […] The classical way would be to say if I expose an uncertainty, the structure becomes weak. The deconstructivism is the demonstration that strength comes from enigma and from paradox and the abyss in an Heideggerian sense.15”16
Dekonstruktion heißt nicht alle bestehenden Kategorien zu demontieren um die Struktur als solche sichtbar zu machen – dies käme laut feministischer Kritik dem Unterwerfungswillen des Patriacharts gleich, – sondern mit dessen Mysterien als kreative Mittel zu denken, so wie es in Judith Butlers queer-feministischer Theorie oder Salvador Dalis Cadavre Exquis17 der Fall ist,18 – Klammern, die ich erst an anderer Stelle in diesem Text schließe. Auch zur Architektur Bernard Tschumis und den Manhattan Transcripts kehre ich später zusammen mit Rem Koolhaas Delirious New York zurück, zuerst aber zu Derrida, Heidegger und deren Metaphysik.
Was Derrida unter Metaphysik versteht: „[…] Es gibt eine Architektur der Architektur. […] Diese Architektur der Architektur hat eine Geschichte, sie ist durchgehend historisch. Ihr Vermächtnis enthüllt unsere Wirtschaft, das Gesetz unseres Hauswesens (oikos), unsere familiale, religiöse, politische Oikonomie […]. Es durchwaltet uns derart, daß wir seine Geschichtlichkeit selbst vergessen, wir halten das für Natur.“19 Und weiter: „Ein Unveränderliches, Unbewegtes, Unerschütterbares durchzieht die gesamte Geschichte der Architektur. Eine Axiomatik, das heißt eine organisierte Gesamtheit von grundsätzlichen Bestimmungen, die immer schon impliziert sind. Diese Hierarchie hat sich im Stein verewigt, sie gibt darüber hinaus dem gesamten sozialen Raum seine Form.“20 – eine immaterielle Struktur oder ein meta-physischer Raum, der sich materielle als physischer Stadt- und Architekturraum manifestiert. So argumentieren insbesondere Henri Lefebvre und sein Wegweiser Walter Benjamin.
Der von Martin Heidegger begründeten Fundamentalontologie21 geht eine Kritik an der traditionellen Metaphysik, respektive der Ontologie, der Lehre vom Sein, voraus. Heidegger führt die sogenannten Existenzialien ein, um das menschliche Sein nicht länger, analog zu den dinghaften Seienden, durch Kategorien zu beschreiben. Die Unterscheidung von Sein und Seiendem, von Subjekten und Objekten, wird also durch die Beschreibung durch Existenzialien vollzogen, unteranderem das In-der-Welt-Sein und das dem Sein zuhanden-Seiende. Ich möchte hier an die Anmerkung der Übersetzerin in Derridas Essay anknüpfen. Der Titel maintenant die Architektur bedeutet demnach, dass Architektur dem Menschen zuhanden-sei, – sich durch Architektur der Mensch in seiner Existenz bestätigt weiß.
Heidegger spricht von der traditionellen Metaphysik als Architektonik, die eine Brücke zu meiner raumtheoretischen Diskussion schlägt. Es ist die Anwendung des Architekturbegriffs, als bauliches Konstrukt, auf eine Art Gesamtsicht oder System, das alle Aspekte des Seins in eine geordnete Struktur zu gliedern versucht. Derrida knüpft daran an: „[D]iese Architektonik der invarianten Punkte bestimmt […] alles das, was man die westliche Kultur nennt und geht damit weit über deren Architektur hinaus. Von daher der Widerspruch, das double bind oder die Antinomie, die gleichzeitig diese Geschichte mobilisieren und verunsichern. Einerseits löscht diese generelle Architektonik die zugespitzte Besonderheit der Architektur oder überschreitet sie; sie gilt auch für andere Künste und andere Bereich der Erfahrung. Wiederum stellt die Architektur dabei jedoch die wirkmächtigste Metonymie22 dar, gibt ihr die solideste Konsistenz, die objektive Substanz. Unter Konsistenz verstehe ich nicht nur die logische Stimmigkeit, diejenige, die sämtliche Dimensionen menschlicher Erfahrung in dasselbe Netzwerk einbindet […]. Aber unter Konsistenz verstehe ich auch die Dauer, die Härte, die monumentale, in Stein oder Holz gegebene Existenz, die Hyletik der Tradition.23“24
Derrida schreibt, Architektur sei die letzte Bastion der Metaphysik.25 Ich lese darin, Architektur ist materialgewordene Architektonik, also durch strukturelle Beschaffenheiten konstituiert, und umgekehrt konstitutiv an der Formung dieser beteiligt. Maintenant die Architektur, die Derrida maintenant, mit besonderer Brisanz ins Jetzt einführt, und maintenant die Architektur, die dem Menschen zuhanden sei, sich also der Mensch durch Architektur in seiner Existenz bestätigt weiß – eine Art der Architektur, die den Menschen nicht innerhalb ihrer materiellen oder immateriellen Struktur in seiner Existenz bestätigt, sondern weil sie, dem Menschen äußerlich, sich als diesem dinglich erweist.
Die traditionelle Metaphysik überlagert sich hier mit dem Begriff der Architektonik, also der Referenz auf eine architektonische Struktur, die gleichzeitig als Fundament und gliederndes Element des Seins, innerhalb einer hierarchischen Ordnung, dient. Wie bei Derrida wird diese übergeordnete Struktur als Architektur behandelt, (die letztlich auch die bauliche Architektur zu gliedern weiß), und damit eine Neubewertung der traditionellen Metaphysik als strukturelle Architektur verlangt, weshalb ich hier durchaus wage an die Heideggersche und Derridaische Metaphysik anzuknüpfen,
– meiner meta-Physik.
Diesen komplexen philosophiegeschichtlichen Horizont außeracht gelassen, kann des vereinfachten Verständnis halber mein meta-physisch als vor-physisch abgekürzt werden, als dem physischen Raum vorgängig und damit nicht-physisch. Es kann als solches in meiner nachfolgenden Theorie verwandt werden.
Walter Benjamin und Henri Lefebvre untersuchen (dem Poststrukturalismus vorgängig) Raum auf physischer und zugleich, aufbauend auf der Logik dessen, meta-physischer Ebene. Die beiden marxistisch angelehnten Theoretiker beschreiben städtischen Raum, und schließen daraus Rückschlüsse, insbesondere Lefebvre, auf einen meta-physischen Raum als strukturelles Konstrukt, mäandernd gezeichnet von sozialen Gefällen und machtpolitischen Interessen. Das Subjekt bewegt sich darin als geschlossene Entität26 und ist diesen Kräften passiv ausgeliefert, als auch aktiv an der Konstruktion dieser beteiligt. Lefebvre vollzieht seine Argumentation: „Es ist eine Wissenschaft des Raums zu entwickeln, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung über den Raum, die sich eben nicht allein mit seiner dinglichen Gestalt beschäftigt, [sondern ist der] Raum im Prozess seiner Produktion zu betrachten,“27 was eine Aktualisierung des marxistischen Projekts zur Folge trägt. Raum ist für Lefebvre sowohl Produkt als auch Produzent. Raum wird gesellschaftlich produziert und gleichzeitig reproduziert dieser die Gesellschaft in ihrer Struktur. Das macht Lefebvres Theorie explizit zu einer materialistischen28 Theorie, wodurch sie sich von anderen Raumtheorien, zum Beispiel der von Gilles Deleuze und Felix Guattari, in ihrer Konkretion unterscheidet. Diese materialistische Theorie nimmt maßgeblich an der Konstruktion des physisch materiellen, auch architektonischen, Raums teil. Umgekehrt nimmt dieser an der Konstruktion des Phänomens eines gesellschaftlich und politisch strukturierten meta-physischen Raums teil.
Lefebvre antizipiert in der „Konstitution einer Wissenschaft von Raum, die nicht mehr länger als neutral oder als jenseits gesellschaftlicher Praxis stehend begriffen werden kann“29 eine progressive Entwicklung in der Raumtheorie, in der er selbst theoriebildendend in Erscheinung tritt. Lefebvre erklärt Karl Marx: „Dinge – für Marx das Produkt gesellschaftlicher Arbeit und zum Tausch bestimmt, und deshalb mit Wert im doppelten Sinn ausgestattet, mit Gebrauchswert und Tauschwert – verkörpern und verbergen gesellschaftliche Verhältnisse. Dinge scheinen demnach diese Verhältnisse zu untermauern. Und dennoch wird aufgrund der marxistischen Analyse deutlich, dass Dinge als Waren aufhören Dinge zu sein. Und, insofern sie Dinge bleiben, werden sie zu ‚ideologischen Objekten‘, die mit Bedeutung überladen sind. Als Waren können Dinge als die Verkörperung gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet werden, ihre Existenz ist dann vollständig abstrakt – so sehr, dass man versucht ist, in ihnen nichts anderes zu sehen, als Zeichen und Zeichen von Zeichen (Geld).“30 – eine Signifikantenkette, die deren letztgültiges Zeichen – Geld – verschleiert. Lefebvre konzipiert analog zu Marx eine Demaskierung des Raumes in seiner doppelten Beziehung sowohl zu seinem Ding-Status als auch seinem nicht-Ding-Status, als gesellschaftliches Konstrukt. „Dieser Raum hat die Eigenschaften eines ‚Ding/nicht Ding‘, da er weder eine substanzielle noch eine gedankliche Realität ist. […] Er ist weder Raum-als-Zeichen noch ein Ensemble mit Raum verbundener Zeichen und hat damit eine andere Wirklichkeit als die der abstrakten Zeichen und realen Dinge, die er enthält.“31
Er ist zugleich Ding/nicht-Ding, materiell/immateriell.
Er ist zugleich materialistisch und meta-physisch.32
Ich unterscheide so plakativ um meine Argumentation rund um den Begriff der räumlichen Arbitrarität von diesen zwei Satelliten enger zu umkreisen. Was später und gerade im Kontext feministischer Theorie einen besonderen Auftritt hat, habe ich zu diesem Zeitpunkt meines Kreiseziehens noch gar nicht konkret benannt. Es geht um das Subjekt, genauer gesagt um das poststrukturalistisch, feministische Subjekt, dass sich auch als räumlich konstituiert erweisen wird und hier in Gegenüberstellung zu Henri Lefebvres und im Anschluss auch zu Walter Benjamins Subjekt tritt. Im Grad ihrer Agentialität scheinen die Subjekte dabei voneinander unterschieden. So platziert Benjamin den Flaneur in seiner physisch gebauten, räumlichen Umwelt und ruft ihn auf, sich dieser rezeptiv und partizipativ gegenüber zu verhalten,33 während Lefebvre das Subjekt schon als Mitgestalter_in übergeordneter, meta-physischer Strukturen aktiviert sieht.34
„[…] Architecture is appreciated by Benjamin as a powerful source of collective social conditioning, in the sense that it affects social behavior in a largely unconscious manner.”35 – also Raum, der in seiner architektonischen Artikulation soziale Strukturen in ihrer Konstruktion bedingt. In seiner Figur des Flaneurs, die wiederkehrend in seinen Werken in Erscheinung tritt, illustriert Benjamin ein Subjekt, das sich durch seine gebaute Umwelt zugleich rezeptiv und partizipativ bewegt. Dabei bezieht er sich insbesondere auf Gesellschaft und Einzelsubjekt in der Lebensrealität des Kapitalismus. Seine Thesen dazu speist er aus der empirischen Begegnung im Selbstexperiment mit europäischen Metropolen, insbesondere Berlin und später Paris.36 In Das Passagen-Werk, 1927-1940, porträtiert Benjamin den Flaneur in verschiedenartigsten textlichen Exzerpten – einer überbordende Materialsammlung bestehend aus vornehmlich literarischen Referenzen, ergänzt durch eigene Gedankennotizen – wie folgt: „Der Flaneur ist der Beobachter des Marktes. Sein Wissen steht der Geheimwissenschaft von der Konjunktur nahe. Er ist der in das Reich des Konsumenten ausgeschickte Kundschafter des Kapitalisten.“37 Zum Auskundschaften geschickt, verfügt der Flaneur über intrinsisches Wissen, um die Logiken des Kapitalismus zu unterwandern. Der Flaneur ist also zugleich passiv wahrnehmend, und aktiv agierend. „1839 war es elegant, beim Promenieren eine Schildkröte mit sich zu führen. Das gibt einen Begriff vom Tempo des Flanierens in den Passagen.“38 behauptet Benjamin illustrierend – der Flaneur, entschleunigt durch die „Dialektik der flanerie: einerseits der Mann, der sich von allem und allen angesehen fühlt, der Verdächtige schlechthin, andererseits der völlig Unauffindbare, Geborgene. Vermutlich ist es eben diese Dialektik, die ‚Der Mann der Menge‘ entwickelt.“,39 Dialektik zwischen Verführung und Kapitulation versus Wahrnehmungsschärfung und Subversion – passiv und aktiv.
Ich lese in Walter Benjamins Flaneur den Passanten der sich von der Passage gleichzeitig angezogen und abgestoßen fühlt. In seinem Tempo scheint er sich den Spielregeln der Passage zu beugen. Entschleunigt, da er sich den in den Schaufenstern präsentierten Auslagen nicht entziehen kann, er sogar seine Schildkröte zur Flanerie ausführt, einem Sehen und gesehen werden, indem das exotische Tier zum Accessoire avanciert. Das bewegte Tempo der Stadt scheint in keinem Wiederspruch mit dem des Flaneurs. Die Stadt, ergo die Passage, mag getrieben sein von wirtschaftlicher Akkumulation und doch ist der Habitus innerhalb dieses Konsumpalasts von Ruhe und Beobachtungskraft. Eine Beobachtungskraft mit der Benjamin die kritische Wahrnehmung seines Passanten schärft. Der Flaneur ist sich der Beteiligung von Kapitalismus und Konsum an Stadt und Architektur bewusst, ergo an der Bildung sozialer Strukturen, die später Henri Lefebvre explizit als Räume bezeichnen wird.
Entlang dieser Wahrnehmungsschärfung avanciert die Figur des Flaneurs zu einem inspirierenden Motiv in der Kunst, insbesondere für die Situationistische Internationale. So beschreibt Guy Debord 1956 deren Praxis: „One of the basic situationist practices is the dérive [literally: drifting], a technique of rapid passage through varied ambiances. Dérives involve playful-constructive behavior and awareness of psychogeographical effects, and are thus quite different from the classic notions of journey or stroll.“40
Walter Benjamin führt mit Das Passagen-Werk ein vielteiliges Instrumentenset moderner Stadtforschung ein, dass Mode, Passagen (Shoppingmalls) und die Zweischneidigkeit von Metropolen, derer sich auch der Flaneur nicht entziehen kann, architekturtheoretisch diskutierbar macht. Neben dem Flaneur als einzelnes Subjekt betont Benjamin das Potential kollektivistischer Zusammenkünfte, die die Stadt als Interieur beherbergt: „Straßen sind die Wohnungen des Kollektivs. Das Kollektiv ist ein ewig unruhiges, ewig bewegtes Wesen, das zwischen Häuserwänden so viel erlebt, erfährt, erkennt und ersinnt wie Individuen im Schutze ihrer vier Wände. […] Von ihnen war die Passage der Salon. Mehr als an jeder anderen Stelle gibt die Straße sich in ihr als das möblierte ausgewohnte Interieur der Massen zu erkennen.“41 Die Situationistische Internationale wagt sich sogar noch weiter vor und erklärt die Stadt zum Spiel.42 Auf intuitive, subjektive Weise geben sich die Mitglieder der Situationistische Internationale, neben Guy Debord unteranderem auch Constant Nieuwenhuys und Asgar Jorn, den Tempi, Dynamiken und Strukturen der Stadt hin und lassen sich treiben. Als ästhetische Kategorien gelten Poesie, Subjektivität und Freiheit, mittels derer die Alltagswelt zur Kunst und die Flaneur_innen zu Künstler_innen erkoren werden. Es entstehen nach der Methode der Psychogeographie43 visuelle Poesie und intuitive Kartographie, in der die subjektive Wahrnehmung der Flaneur_innen sich künstlerisch niederschreibt. Die wohl wichtigste Publikation der Situationistische Internationale ist Die Gesellschaft des Spektakels, 1967, in welche der Autor Guy Debord in insgesamt 221 Thesen die Organisation der kapitalistischen Wirtschafts- und Weltordnung als Spektakel offenlegt:
“1 THE WHOLE LIFE of those societies in which modern conditions of production prevail presents itself as an immense accumulation of spectacles. All that once was directly lived has become mere representation.”44
“4 THE SPECTACLE IS NOT a collection of images; rather, it is a social relationship between people that is mediated by images.”45
“5 THE SPECTACLE CANNOT be understood either as a deliberate distortion of the visual world or as a product of the technology of the mass dissemination of images. It is far better viewed as a weltanschauung that has been actualized, translated into the material realm – a world view transformed into an objective force.”46
“221 SELF-EMANCIPATION in our time is emancipation from the material bases of an inverted truth. This ‘historic mission to establish truth in the world’47 can be carried out neither by the isolated individual nor by atomized and manipulated masses, but – only and always – by that class which is able to effect the dissolution of all classes, subjecting all power to the desalinating form of a realized democracy – to councils in which practical theory exercises control over itself and surveys its own action. […]”48
Die Emanzipation vom Spektakel scheint mir eng verwandt mit den Anliegen des Poststrukturalismus und Derridas Dekonstruktion. Bilder werden in ihrem arbiträren Verhältnis zu einer gültigen Wahrheit hinterfragt. Die Konstruktionsmechanismen hinter diesen Bilder als materialisierende Weltanschauung entlarvt.
Auch die beiden Philosophen Walter Benjamin und Henri Lefebvre argumentieren in dieser Linie. In The Production of Space, 1974, leitet Lefebvre wie folgt ein: „Not so many years ago, the word 'space' had a strictly geometrical meaning: the idea it evoked was simply that of an empty area. In scholarly use it was generally accompanied by some such epithet as 'Euclidean', 'isotropic', or 'infinite', and the general feeling was that the concept of space was ultimately a mathematical one. To speak of 'social space', therefore, would have sounded strange.“49 Gewisser Weise kann Lefebvres Theorie als die Weiterführung Benjamins gedeutet werden, und zwar insofern als da er Benjamins von den Strukturen des Kapitalismus gezeichneten Stadt einen meta-physischen Raum, eine Heideggersche Architektonik, voran stellt – einen meta-physischen Raum, der die Gesellschaft strukturiert und sich dadurch materiell räumlich manifestiert, eben als Stadtraum. Die Wahrnehmungsschärfung die Benjamin mit dem Flaneur vorlebt, bleibt eine vage Vorahnung dessen, was Lefebvre befeuern wird. Subjekte sind laut Lefebvre nämlich aktive Mitgestalter_innen dieses meta-physischen Raums und werden gleichzeitig durch diesen konstituiert. Über Umwege sind sie infolgedessen also auch an der materiellen Manifestation des Stadtraums beteiligt. Die Verbindung zwischen Subjekt und Stadt verschiebt sich in Richtung einer beiderseitig bedingten Beziehung, in der das Subjekt gegenüber der Gesellschaft, beziehungsweise der Stadt, sowohl passiv beeinflusst als auch aktiv einflussnehmend ist. Als wichtigstes Werkzeug zur aktiven Mitgestaltung der Gesellschaft geben nicht bloß Walter Benjamin und die Situationistische Internationale eine geschärfte Wahrnehmung und gesteigertes Streben nach Wahrheit an die Hand, sondern auch Henri Lefebvre. Lefebvre aber erkennt die aktive Beteiligung der Subjekte an meta-phasischer Strukturbildung an, die er als Räume benennt.
Metaphysik des Raumes in poststrukturalistischer Philosophie
und ein erster Ausblick auf die feministische Theorie
Auch Gilles Deleuze und Félix Guattari sprechen wenige Jahre später über Raum. Ihre Texte bedienen sich zur Illustration ihrer Theorie allegorischer Bilder von Raum und Architektur und sind daher von den vorangegangenen, materialistischen Theorien zu unterscheiden. Ihnen ist eine besondere Handlungsermächtigung und Agentialität des Subjekts eigen, die den Weg zur poststrukturalistisch, feministischen Theorie bahnt.
Die theoretischen Ausführungen von Félix Guattari und Gilles Deleuze, die die beiden insbesondere in Tausend Plateaus: Kapitalismus und Schizophrenie, 1980, konstatieren, erschließen ihren philosophischen, machtpolitischen Horizont durch eine räumliche Allegorie zu Grenzpolitik. Deterritorialization und Nomadismus sind beides zentrale Begriffe ihrer Argumentation. Sie sind als physische Raumerfahrung nachvollziehbar. Deterritorialization bedeutet die Aufhebung territorialer Grenzen. Deleuze und Guattari beziehen diesen Begriff allegorisch auf die Destabilisierung vorherrschender institutioneller Machtstrukturen, die über politische, territoriale Grenzziehung hinaus, als Distributoren sozialer Logiken und Hierarchien, identitätspolitische Grenzen ziehen und sogar Sprachstrukturen und Bedeutungsökonomien bestimmen.50 Der Körper des Subjekts kann sich über territoriale Grenzen hinwegbewegen in einer Geste grenzenlosen Nomadismus. Subjekt und Körper überwinden ihre dualistische Trennung, indem der Körper die Bewegung, die der Geist im Inneren vollzieht, illustriert. Körper und Geist werden eins. Sie bewegen sich über Grenzen hinweg. Von ihnen als Einheit geht Raum aus. Diesen installieren Deleuze und Guattari gleichwertig dem strukturellen Raum gegenüber. Sowohl der strukturelle, das-Subjekt-umgebende Raum als auch der vom-Subjekt-ausgehende Raum zeichnen sich durch Bewegbarkeit aus. Durch die räumliche Artikulation des Struktur- und des Subjekt-Raums wird ein Gleichgewicht zwischen beiden System hergestellt. Dadurch ist das Subjekt im Grad seiner Agentialität gesteigert gegenüber allen vorgängigen Theorien aktiviert. Ein reziprokes Verhältnis entsteht.
Rosi Braidotti wird explizit an die Agentialität dieses Subjekts anknüpfen. Der Körper ist dabei wesentlich konstitutiv an dieser Bewegbarkeit, dieser Agentialität beteiligt. Was ich arbiträr nenne, hat hier seine Keimzelle. Arbiträr ist der Raum, der vom bewegten Subjekt ausgeht und der wiederum ein arbiträres Verhältnis mit dem ihn umgebenden Raum eingeht. Braidotti knüpft außerdem an Thesen einer Ethik der Affirmation an, – Affirmation zu Vielfalt und Differenz. Daraus wird sich in Braidottis akademischer Laufbahn später eine Beteiligung an New Materialism manifestiere. Dazu später. Welche Rolle allerdings Sprache als dem Körper ebenbürtiger und titelgebender Konstitutionsfaktor von räumlicher Arbitrarität einnimmt, erklärt sich mit Blick auf die Brücke zur Poststrukturalistischen Theorie, die ihren Ursprung in der Linguistik verortet sieht. Bestehende sprachliche Zeichen werden, wie im nachfolgenden Kapitel Nachgestellte Einführung in die Theorie des Poststrukturalismus erklärt, in ihrer systemischen Konstitution dekonstruiert.
Anders als die materialistischen Philosoph_innen sprechen Deleuze und Guattari in Allegorien und nutzen Raum als konkrete Metapher. In Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, 1980, zeichnen sie in Kapitel 14, Das Glatte und das Gekerbte, zwei verschiedene materielle Räume als eine griffige Metapher von Systemen um machtpolitische Zusammenhänge zu analysieren. „Der glatte Raum und der gekerbte Raum – der Raum des Nomaden und der Raum des Sesshaften […] sind ganz verschieden“51 leiten die beiden Autoren stark vereinfacht ein. Die Metaphorik dieser beiden Räume ist allerdings nicht bloß vage durch die Dichotomie, Nomaden versus Sesshaften, illustriert, sondern sogar als euklidisch bezeichnetes Raummodell: „Glattes und Gekerbtes unterscheidet sich zuerst durch die umgekehrte Beziehung von Punkt und Linie (die Linie zwischen zwei Punkten im Fall des Gekerbten; der Punkt zwischen zwei Linien beim Glatten). Zum zweiten unterscheiden sie sich durch die Art der Linie (gerichtet-glatt, offene Intervalle; dimensional-gekerbt, geschlossene Intervalle). Und schließ gibt es einen dritten Unterschied, der die Oberfläche oder den Raum betrifft. Im gekerbten Raum wird eine Oberfläche geschlossen, und entsprechend den festgelegten Intervallen, nach den festgesetzten Einschnitten ‚teilt man sie wieder auf‘; beim Glatten wird man in einen offenen Raum ‚verteilt‘ […]“52 Keiner der beiden Räume eröffnet eine klare Kategorie, sondern soll das Spektrum, das zwischen ihnen beiden entsteht, helfen Systeme, wie machtpolitischen Distributionslogiken, zu verstehen. Der Pol des glatten Raumes ist ein kontinuierliches System, dessen Punkte in konstantem Fluss sind. Der Pol des gekerbten Raumes ist eine fragmentierte Ordnung spezifischer Segmente, die durch Hierarchien und Kontrollmechanismen gekennzeichnet sind. Der glatte und der gekerbte Raum sind Metaphern für einen meta-physischen Raum, der sich letztlich realräumlich manifestiert. Angenommen der meta-physische Raum strukturiert den realen, architektonischen Raum folgt daraus, der reale, architektonische Raum bestätigt als Medium den meta-physischen Raum und setzt in erneut Instand. Die Dialektik zwischen glattem und gekerbtem Raum stellt die Frage, inwiefern die Struktur des meta-physischen Raums sich auf die Lebensformen der darin lebenden Menschen, als architektonischer Raum, auswirkt.
Während also Deleuze und Guattari über die Installation eines allegorischen Raumbegriffs Machtpolitik verhandeln, macht Benjamin Machtpolitik exemplarisch am Beispiel der Stadt fest und Lefebvre, ohne rhetorische Umschweife, zu einem realräumlich Argument. Lefebvres Produktion des Raums erscheint in Französisch 1974, in etwa zeitgleich mit Hélène Cixous Das Lachen der Medusa, 1975. Obgleich die eine als feministische Literatin und Poetin, und der andere als marxistischer Soziologie argumentieren, scheinen ihre Theorien um gemeinsame Anliegen zu kreisen. Internalisation von Macht und Normativen ist beiden Theorien zentral, gerade bezüglich der Genese eines eigenen Selbst. In ihrem Interesse steht selbstbestimmte Subjektivierung, fern der politischen Ideologien des Kapitalismus und patriarchaler Distributionslogiken.
In Beziehung zu meiner arbiträren Raumtheorie drängt sich schließlich die Frage auf: je glatter das System, desto bewegter das Subjekt?
Poststrukturalistisch, feministische Philosophie
Auch Sprache ist ein materialistisches Konzept, so verhandelt der Semiologie Ferdinand Saussure Sprache als konkreten Gegenstand und fordert: „Warum ist die Semiologie noch nicht als autonome Wissenschaft anerkannt, die, wie jede andere auch, ihren eigenen Gegenstand hat?“53
Arbitrarität
„Bedeutung:
Beliebigkeit des sprachlichen Zeichens im Hinblick auf die Zusammengehörigkeit von Signifikant und Signifikat“54
Arbitrarität bezieht sich als Begriff konkret auf die durch die semiotische Wende aufgedeckte Inkongruenz der Bedeutung von sprachlichen Zeichen. Arbitrarität bezieht sich titelgebend auf den Raum, welchen ich innerhalb dieser Arbeit konstatieren möchte, weshalb ich im Folgenden in den Poststrukuralismus, konkret die poststrukturalistisch feministische Theorie einführe, als Grundlage um meine Überlegungen zu einem feministischen Subjekt und einem arbiträren Raum nachvollziehbar zu machen.
Arbiträr
„Bedeutung:
dem Ermessen überlassen, beliebig; nach Ermessen, willkürlich
[…]
Synonyme zu arbiträr:
Beliebig, wahllos, willkürlich, zufällig“55
Einführung in die Theorie Braidottis und Cixous
Ich stelle die Frage, wodurch kennzeichnet sich mein poststrukturalistisch, feministisch argumentierter Raumbegriff in Abgrenzung zu den vorangegangenen meta-physischen Raumbegriffen philosophischer Argumentation? Durch die Verschiebung des Ursprungs des räumlichen Koordinatensystems von System zu Subjekt?
„Identität als Praxis, und zwar als Bezeichnungspraxis zu verstehen, bedeutet, die kulturell intelligiblen Subjekte als Effekte eines regelgebundenen Diskurses zu begreifen, der sich in die durchgängigen und mundanen Bezeichnungsakte des sprachlichen Lebens einschreibt.“56 Judith Butlers Theoriebildung ist eine poststrukturalistische Kritik an der strukturellen Institutionalisierung von Logos und Epistemologie, die die Beschaffenheit von Sprache bilden und Abdruck patriarchaler Ordnung sind. Butler schlägt vor im Zeichen des Poststrukturalismus Identitäts- und speziell Geschlechtsidentitäten subversiv zu unterwandern.
Hélène Cixous geht als Theoretikerin Butler voraus. Sie bietet unterschiedliche Lesarten des (weiblichen) Körpers als Beteiligungsfaktor des (weiblichen) Schreibens an. Laut Cixous nährt sich diese Beteiligung ganz zentral aus dem (weiblich) libidinösen Begehren, sowie aus Unterdrückung und Verdrängung, die als verkörperlichter Erfahrungshorizonte der (weiblichen) Wesenswelt, eingeschrieben sind.57 Judith Butler geht stellenweise gegenüber Cixous in Opposition, insbesondere bezüglich deren naturalistischer Grundannahme eines besonderen weiblichen Begehrens, in Abgrenzung zu anderen Geschlechtern und Geschlechtsidentitäten.
Rosi Braidottis Ausführungen ergänzen Cixous und Butler, um deren zentrales Argument, der Manifestation des menschlichen Körpers durch Sprech- und Sprachakte, sowie machtpolitischer Unterdrückung, in den Kontext zeitgenössischer philosophischer Theorien zu tradieren. Braidotti trifft die These, alle human und non-human agencies seien ontologisch unbestimmt und frei, – einem Seins-Zustand im steten Werden, der dem steten Begehren nach Selbstausdruck folgt. Als Subjekt im Prozess des Werdens bewegen sich human agencies in Anpassung an die Akzeleration und Deterritorialization durch Kapitalismus und Globalisierung, durch die Welt. Braidotti fordert eine Bewusstwerdung dieses Wesenszustands, um Lücken zwischen der vermeintlich starren Konstitution des menschlichen Seins und der Beweglichkeit unser Zeit zu schließen.58 Sie spricht von nomadischen Subjektivität, nicht etwa als Theorie, so wie ich diese hier antizipiere, sondern von Mythos und Fiktion.59
Alle drei argumentieren dabei im Zeichen des Poststrukturalismus, aufbegehrend gegen (Cixous) und innerhalb (Butler und Braidotti) bestehender, universal gesetzter, diskursiver Strukturen und daraus resultierender Limitation des eigenen Selbst bzw. des Subjektivierungsprozess.
Die poststrukturalistisch, feministisch argumentierte Subjektivierungstheorie plädiert für eine personelle Komplexität jenseits binärer Kategorien, die das Subjekt als räumliche Figur zugänglich macht. Gleich der Raumtheorien von Benjamin und Lefebvre, kann diese räumliche Figur als Raum nicht bloß physisch immateriell verhandelt werden, sondern als materialistisches Konstrukt, das strukturelle Beschaffenheiten in ihrer komplexen Beziehungsstruktur sichtbar macht. Das Subjekt ist in seiner prozessualen Beschaffenheit ein Netzwerk in sich, ein Netzwerk rhizomatischer Verknüpfungen dessen Produkt es ist.
Nachgestellte Einführung in Poststrukturalismus
Ich beginne diese Einführung in Sprache und Poststrukturalismus durch entlehnte Worte Judith Butlers. Butler analysiert in Das Unbehagen der Geschlechter, 1990, Körper- und Identitätspolitik im Zusammenhang mit der strukturellen Beschaffenheit von Sprache.60 Auch ihrer Analyse geht eine Einführung in die Terminologie und Mechanismen der semiotische Wende, respektive des Poststrukturalismus, voraus.
„Der Strukturalismus setzt die Totalität und Geschlossenheit der Sprache voraus und ficht sie zugleich an. Obgleich Saussure das Verhältnis zwischen Signifikant und Signifikat als arbiträr begreift, platziert er dieses arbiträre Verhältnis in ein notwendigerweise vollständiges, geschlossenes sprachliches System. Alle sprachlichen Termini setzen eine linguistische Totalität der Strukturen voraus, deren Ganzheit unterstellt und implizit erfordert ist, damit jeder Term eine Bedeutung tragen kann. Diese […] Sichtweise, in der die Sprache als systematische Totalität erscheint, unterdrückt jedoch das Moment der Differenz zwischen Signifikant und Signifikat, indem es dieses Moment der Arbitrarität in ein totalisierendes Feld einbindet und vereinheitlicht. Der poststrukturalistische Bruch mit Saussure […] weist sowohl die Totalitäts- und Universalitätsansprüche als auch die Annahme von binären strukturalen Gegensätzen zurück, die implizit bewirken, daß die bestehende Ambiguität und Offenheit der sprachlichen und kulturellen Bedeutung eingeschränkt wird. Durch diese Kritik verwandelt sich die Diskrepanz zwischen Signifikant und Signifikat in die operative uneingeschränkte différance* der Sprache, die alle Referenzialität zu einer potenziell schrankenlosen Verschiebung macht.“61
Judith Butler bezieht sich zu Beginn ihrer Einleitung konkret auf den Semiotiker Ferdinand Saussure, der die sprachwissenschaftlichen Theorie des Strukturalismus entscheidend prägt.62 Saussure theoretisiert die Verbindung zwischen Signifikat/Bezeichnetem und Signifikant/Bezeichnendem. Als Zeichentheorie ausgehend, lässt sich diese auch auf die strukturelle Beschaffenheit von Sprachsystemen beziehen. Sprache ist ein System von Zeichen, in der konsensuale Bedeutungszuweisungen zwischen einem Wort/Signifikant und einem Bild/Signifikat perpetuieret werden. Saussure stellt die Frage: „Was aber ist Sprache als System […]? […] Sie ist einerseits ein soziales Produkt der menschlichen Sprachfähigkeit, ebenso aber ein Komplex aus notwendigen Konventionen, welche die soziale Gemeinschaft sich zu eigen gemacht hat […].“63
In der Sprache als System ruft der Signifikant Haus stets das konsensual, als Konvention bestimmte Bild eines Hauses ab. Dass das Bild eines Hauses nicht zwangsläufig mit seiner Wortwerdung, seinem Zeichen, zu tun hat, beschreibt Saussure als arbiträr. Das Zeichen Haus repräsentiert auf keinerlei nachvollziehbare Weise intrinsische Eigenschaften eines Hauses. Stattdessen ist das Zeichen Haus konsensual als Bezeichnung für das Bild eines Hauses bestimmt. Diese Bestimmung zwischen Zeichen und seiner Bedeutung ist arbiträr, also beliebig und willkürlich, innerhalb eines abgeschlossenen sprachlichen Systems, dem Strukturalismus, dennoch gültig.
In der poststrukturalistischen und später der darauf aufbauenden feministischen Theorie rückt diese Arbitrarität als institutionalisierte, systemische Unterdrückung ins Licht besonderer Aufmerksamkeit, – in diesem Licht lässt sich die Bedeutungsökonomie von Zeichen und Sprache als diskursiv kultiviertes Konstrukt entlarven, „[dass] implizit bewirk[t], daß die bestehende Ambiguität und Offenheit der sprachlichen und kulturellen Bedeutung eingeschränkt wird.“64
In der Theorie des Poststrukturalismus vollzieht sich eine Öffnung dieser systemisch eingeschränkten Bedeutungsökonomie und in der Theorie des poststrukturalistischen Feminismus eine Öffnung, die diese Bedeutungsökonomie als ein patriarchales Konstrukt offenlegt und hin zu einem sprachlichen Feld verschiebt, in der sich frau/mensch arbiträr in ihrer komplexen Subjektbeschaffenheit ausdrücken kann.
Butler schließt ihre Einleitung in Bezugnahme zu Jaques Derrida und den Begriff der différance. Différance ist ein Neologismus Derridas, der konkret auf die implizite Doppeldeutigkeit des französischen différer zwischen unterscheiden und aufschieben hinweist.
Derrida argumentiert: Bedeutungen von Zeichen unterscheiden sich spektral, durch Assoziation und Interpretation. Bedeutungen von Zeichen pendeln zeitverzögert, aufgeschoben, zwischen Intendant_in und Rezipient_in. Sie sind zeitbasiertes, kulturelles Konstrukt. Das geschriebene Wort versucht die Bedeutung des gesprochenen Wortes festzuschreiben und scheitert, da die Bedeutung dessen diesem längst entglitten ist. Ihre Gültigkeit verlässt sie in jedem gesprochenen Wort.
Anders als das gesprochene Wort versteht Derrida das geschriebene Wort nicht bloß als Bedeutung eines Zeichens, sondern sogar als Bedeutung eines Zeichen eines Zeichen.
In Hinblick aus die an diese Einführung anschließende Lektüre von Das Lachen der Medusa, ist auf die gemeinsam geteilte publizistische Tätigkeit von Jaques Derrida und Hélène Cixous hinzuweisen. Denn auch für Cixous ist die schriftliche Wortwerdung von Sprache zentral.
„Der Schrift ist es möglich, auf ein gegebenes Zeichen zu referieren, ohne in demselben Zeichen begründet zu sein, es kann Zeichen durch die Entfernung von ihnen selbst referieren. Es ist ein Zeichen des Zeichens. Diese Fähigkeit, den Bezug zu einem bestimmten Zeichen zu unterbrechen, setzt das arbiträre, gewählte, auswechselbare Verhältnis voraus, das in der Linearität und Kombinatorik der Schrift beheimatet ist.“65
Einführung in die Kritik Judith Butlers an Hélène Cixous und ein Versuch
der Destabilisierung des voronthologisch Subjektstatus
Lacan schreibt, durch Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, 1990, gesprochen: „Die ontologische Geste, die einer Sache die Charakterisierung ‚Sein‘ zuerteilt, mobilisiert diese Sache nur in einer Bezeichnungsstruktur, die selbst – wie das Symbolische – voronthologisch ist.“66 Insofern setzt die Psychoanalyse Lacans der Ontologie die autoritative Beschaffenheit der Sprache, die sich in Lacans Theorie als Gesetz des Vaters in die Welt setzt, voraus – ergo, das „‘Sein‘ des Phallus“ geht dem Sein des Selbst voraus.
Auch Butler folgt der Annahme, Sprache und Diskurs seien voronthologisch, ein Subjekt demnach erst durch die Geste der voronthologischen Bezeichnungspraxis bestimmt. Diese Bezeichnungspraxis setzt sich perpetuierlich fort und schreibt sich als scheinbar feste Identität fest, was Butler Performativität nennt. „Es geht hier nicht um eine Rückkehr zur existentialistischen Theorie des Selbst, das sich durch seine Akte konstituiert. Die existentialistische Theorie hält sowohl für das Selbst wie für seine Akte an einer vordiskursiven Struktur fest. […] Nach diesem Modell kreisen ‚Kultur‘ und ‚Diskurs‘ das Subjekt ein, doch sie konstituieren es nicht.“67 Hingegen „[w]enn die Identität durch einen Bezeichnungsprozeß gesetzt wird, wenn sie immer schon bezeichnet ist und [...] fortfährt zu bezeichnen, läßt sich die Frage nach der Handlungsmöglichkeit nicht mittels des Rückgriffs auf ein ‚ich‘, das vor der Bezeichnung existiert, beantworten.“68 Sondern, so argumentiert Butler, mittels eines durch Wiederholung konstituierten Subjekts, dessen „‚Handlungsmöglichkeit‘ in der Möglichkeit anzusiedeln [ist], diese Wiederholung zu variieren.“69
„Identität als Praxis, und zwar als Bezeichnungspraxis“ ist also durch den Bezeichnungsapparat von Sprache und Diskurs passiv bestimmt, macht sich diesen doch zugleich aktiv zu eigen, um sich ihm spielerisch zu entziehen, Bedeutungen zu verschieben und geschlechtliche Binaritäten zu diversifizieren.
Sowohl Butler als auch Cixous agieren innerhalb poststrukturalistischer Potentiale der Sprache und versuchen diese für ihr Vorhaben zu aktivieren – aufbegehrend gegen, bei Cixous, und innerhalb, bei Butler, bestehender, universal gesetzter Strukturen und daraus resultierender Limitation des Selbst und Identitätsbildung.
Ihre zentrale Kritik an der strukturellen Beschaffenheit der Sprache, als patriarchal institutionalisiert, teilt Judith Butler mit Cixous, obgleich diese stellenweise stark in ihren Texten, unteranderem in Das Unbehagen der Geschlechter, 1990, in Kritik gerät. Ihre Kritik ist dabei weniger unmittelbar, als vielmehr vermittelt durch ihre Auseinandersetzung mit Cixous Zeitgenossinnen Julia Kristeva, Luce Irigaray und Monique Wittig, zu schließen. Selbst bezieht sich Butler lediglich in wenigen, kurzen Textpassagen auf Cixous oder Cixous Schreibpraxis der écriture féminine.
Butler kontextualisiert Cixous in der „feministische Debatte des ‚Essentialismus‘“,70 in der sie die Universalität der weiblichen Identität „als verbreitete Strukturen der Unterdrückung, als Mutterschaft, Sexualität und/oder écriture féminine […]“71 polemisiert. Cixous Schreibpraxis stellt sie dadurch auf die Ebene universalistischer, naturalistischer Konzepte, die Mutterschaft und weibliche Sexualität im Gefüge patriarchaler Strukturen institutionalisieren, und sich gleichsam gegen das Anliegen weiblicher Emanzipation, folglich die écriture féminine gegen sich selbst, zu wenden vermag. Butler konstatiert dagegen, durch die Worte Wittigs gesprochen: „Es gibt keine weibliche Schreibweise“.72 „[D]och gibt es natürlich auch das Lachen der Medusa, das – nach Hélène Cixous – die friedliche Oberfläche erschüttert und die Dialektik des Selben und des Anderen enthüllt, wie sie sich über die Achse der sexuellen Differenz vollzieht“,73 schreibt Butler und verweist damit Cixous in die Ecke des Differenzfeminismus, der entsprechend seiner binären Geschlechtertrennung, dem Essentialismus und seinen naturalistischen Universalitätsansprüchen folgt und das Patriachat in seinem universalen Status bestärkt.74 „Allerdings ist die Vorstellung von einem universalen Patriarchat in den letzten Jahren auf breite Kritik gestoßen, weil sie unfähig ist, den spezifischen Vorgehensweisen der Geschlechter-Unterdrückung (gender oppression) in den konkreten kulturellen Zusammenhängen Rechnung zu tragen. […] Diese Form feministischer Theoriebildung ist […] der Kritik anheimgefallen, weil sie die nichtwestlichen Kulturen kolonialisiert und als Träger westlicher Vorstellungen von Unterdrückung dienstbar macht.“75
Butlers Kritik an Cixous scheint stellenweise nachvollziehbar und soll helfen Das Lachen der Medusa in einen diversifizierten Kanon praktizierter Geschlechter (sex) und Geschlechteridentitäten (gender) zu kontextualisieren. Durch die Begegnung und textliche Gegenüberstellung mit Rosi Braidotti allerdings bietet sich eine Lesart, des bei Butler in Kritik geratenen, cixouschen Differenzfeminismus als Affirmation zur Differenz, fernab der Abgrenzung geschlechtlicher Binaritäten, an. Cixous schreibt in Versalien vom feministischen Wir, etwas das Butler problematisiert. „Das feministische ‚Wir’ ist stets nur eine phantasmatische Konstruktion, die zwar bestimmten Zwecken dient, aber zugleich die innere Vielschichtigkeit und Unbestimmtheit dieses ‚Wir‘ verleugnet und sich durch die Ausschließung eines Teils der Wählerschaft konstituiert, die sie zugleich zu repräsentieren sucht.“76
In der Figur des weiblichen Körpers, der durch die ontologische Geste partriachal als Selbst bestimmt ist, allerdings finden die beiden Theoretikerinnen Übereinkunft „[Es] bedurfte einer erneuten Betrachtung des Körpers als stumme, der Kultur vorgängige, auf die Bezeichnung wartende Figur, die sich übrigens mit der Figur des Weiblichen überschneidet, die ebenfalls auf die Einschreibung als Einschnitt des männlichen Signifikanten wartet, um in die Sprache und Kultur einzutreten.“77
Cixous, und später stellenweise auch Braidotti, zelebriert den weiblichen Körper als intuitiven Wissens- und Erfahrungshorizont, gezeichnet von der ontologischen Erweckung durch den männlichen Signifikanten, der eine fortwährende patriarchale Unterdrückung installiert. Butler setzt an gleicher Stelle an, aktiviert die ontologische Erweckung allerdings als Potential, dieses subversiv durch Irritation zu destabilisieren. Sie agiert daher, anders als Cixous nicht im Gestus patriarchalen Umsturzes, sondern im Spiel bedeutungsbeziehender Verschiebungen.
„Als Strategie, um die Körper-Kategorien zu denaturalisieren und zu resignifizieren, werde ich eine Reihe von parodistischen Praktiken beschreiben […]. Dabei geht es um solche Akte, die die Kategorien des Körpers, des Geschlechts, der Geschlechtsidentität und der Sexualität stören und ihre subversive Resignifizierung und Vervielfältigung jenseits des binären Rahmens hervorrufen.“7879
Das von Cixous und Braidotti proklamierte intuitive Körperwissen möchte ich auch im Lichte Butlers Betrachtungen als wesentlich für meine Gedanken und Video-Performances erachten. Butlers Kritik bewerte ich dabei als Vervollständigung und Möglichkeit eine eigene feministische Position zu beziehen.