– folgt –
80 Bezieht sich auf das eingangs erwähnte Zitat von Arthur Rimbaud: „Ich ist ein anderer“, siehe Fußnote 3
81 Barthes, Roland: Über mich selbst, 1976, s.2
82 Thun-Hohenstein, Felicitas: Lehrveranstaltungsbeschreibung, Morphologie des Körpers und Raums, Akademie der bildenden Künste Wien, Wintersemester 2023
83 Thun-Hohenstein, Felicitas: Performanz und ihre räumlichen Bedingungen: Perspektiven einer Kunstgeschichte, s.12
84 ebd., s.99
85 ebd., s.98
86 ebd., s.77
87 ebd., s.97
88 ebd., s.26
89 ebd., s.100f.
90 Identifizierungsumarmung taucht als Begriff vielfach in Hélène Cixous philosophisch und literarischem Werk auf, unteranderem in Das Lachen der Medusa
91 Chapuis-Schmitz, Delphine: Lehrveranstaltung der ZHdK, Master Transdisziplinarität, Sommersemester 2023
92 Weidman, Amanda: Voice, in: Keywords in Sound, s.233
93 ebd., s.232
94 LaBelle, Brandon: Lexicon of the Mouth, s.1
95 Weidman, Amanda: Voice, in: Keywords in Sound, s.232
96 ebd.
97 ebd.
98 LaBelle, Brandon: Lexicon of the Mouth, s.2
99 Barad, Karen: On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am, 2021
100 Barad, Karen: On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am, 2021
101 Barad, Karen: On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am, 2021
102 Barad, Karen: On Touching the Stranger Within – The Alterity that therefor I Am, 2021
103 ebd.
104 ebd.
105 Redaktion Art21: Nancy Spero – Collaboration, Episode 158, 2012
106 ebd.
107 Lorde The Uses of The Erotic, in Sister Outsider, 1984
108 ebd.
109 Haensler, Philippe P., Heine, Stefanie, Hubmann, Philipp, Traupmann, Thomas: Der Alltag der Dekonstruktion – Über das Anekdotische bei Hélène Cixous und Jacques Derrida, Klappentext
110 Woolf, Virginia: Die Wellen, 1994, im Original in Englisch erschienen 1931, s.23f.
111 Woolf, Virginia: Die Wellen, 1994, im Original in Englisch erschienen 1931, s.128f.
112 Woolf, Virginia: Die Wellen, 1994, im Original in Englisch erschienen 1931, s.184
113 ebd., s.232
114 ebd., Klappentext
115 Braidotti, Rosi: Writing as a Normadic Subject, erschienen in: Comparative Critical Studies, 2014
116 Woolf, Virginia: Die Wellen, 1994, im Original in Englisch erschienen 1931, Klappentext
117 ebd., 92
118 ebd., s.145
119 Haensler, Philippe P., Heine, Stefanie, Hubmann, Philipp, Traupmann, Thomas: Der Alltag der Dekonstruktion – Über das Anekdotische bei Hélène Cixous und Jacques Derrida, Klappentext
120 Sontag, Susan: Tea with Thomas Mann, erschienen in The New Yorker, Issue ‘Pilgrimage’, 1987
121 ebd.
122 Sina, Kai: Vielleicht war da auch gar kein Hund, erschienen in Frankfurter Allgemeine, 2016
www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/was-susan-sontag-mit-thomas-mann-verbindet-14376317.html
123 Sontag, Susan: Tea with Thomas Mann, erschienen in The New Yorker, Issue ‘Pilgrimage’, 1987
124 Braidotti, Rosi: Writing as a Normadic Subject, erschienen in: Comparative Critical Studies, 2014
125 Sontag, Susan: Tea with Thomas Mann, erschienen in The New Yorker, Issue ‘Pilgrimage’, 1987
126 ebd.
Stibitztes être, weil für mich das Französische nicht vorbelastet ist, weil selbst im Werden muss ich noch sein. Und weil die Elster stiehlt, wie Cixous schreibt, stiehlt und sich davonstiehlt. Und weil ich als Autorin Äther bin, être ätherisch. Ich bediene mich an dieser Sprache, um mittels der Übersetzung inhärenten Arbitrarität dem Strukturalismus konsensualer Bedeutungsökonomie zu entfliehen.
Ich ist eine andere.80
Ich ist die Liebe, die Lust, die Lebendigkeit, die Lieblichkeit, die Heilsamkeit, die Heilung, die Freude, die Architektur, die Tragfähigkeit, die Körperhaftigkeit, die Haltung, die Bewegung, die Statur, die Kunst, die Sprache, die Literatur, die Poesie, die Alliteration, die Anapher, die Alliteration, die Rhetorik, die Philosophie, die Aporie, die Ambivalenz, die Vielfalt, die Phantasie,
die Frau, die Weiblichkeit, die Nominalisierungssuffixe -keit und -heit.
Ich ist die, die die Welt und ihre Genera weiblich werden lässt.
Einführung in kosmische Knoten
„All dies muß als etwas betrachtet werden, was von einer Romanperson gesagt wird.“81
– Roland Barthes in Über mich selbst
Das Lachen der Medusa steht, als flammendes, feministisches Plädoyer, dafür eine Stimme zu finden und in dieser schallend, lachend Ausdruck zu erlangen. Während sich Das Lachen der Medusa konkret auf ein Publikationsdatum beziehen und dadurch einem konkreten Zeithorizont zuordnen lässt, ist Writing as a Normadic Subject keine essayistisch publizierte Arbeit, sondern eine Diskurseinführung und gleichzeitig Zusammenfassung desjenigen Forschungshorizonts, den Rosi Braidotti entlang ihrer textlich theoretischen Arbeit gesäumt hat. Writing as a normadic Subject ist ein komplexes Textreservoir, dass sprunghaft zusammenhangslose Ausschnitte der Philosophiegeschichte miteinander kontextualisiert.
Auf den vorangegangenen Seiten nehme ich Leser_innen an die Hand und führe in meine Textaus-wahl, deren rhizomatische Verknüpfung zu anderen Disziplinen und Diskursfragmenten, ein. Auf nachfolgenden Seiten lasse ich in aufeinander folgenden kosmische Knoten, in einer eklektizistischen Auswahl, meine Lieblingsstellen der beiden Texte miteinander in Konversation treten, als sprunghafte Fetzen ohne finale oder lineare Konkretion. Diese Knoten kreisen als Motive lose um ihre gemeinsame Mitte, der Gestalt des arbiträren Raumes, begleitet durch künstlerische Positionen, in deren Werk sich dieser Raum in meinen Augen Ausdruck sucht.
Einführung in kosmisches Koordinatensystem
In der Vorlesung Morphologie des Körpers und des Raumes, welche ich an der Akademie der bildenden Künste Wien belege, begegne ich durch Felicitas Thun-Hohnstein dem Begriff der Performativität, den wir gemeinsam im Zusammenhang mit Raum, und ich in Folge, mit meiner arbiträren Raumtheorie kontextualisiere. Performativität unterscheidet sich hier nicht notwendigerweise von seiner Theoretisierung durch Judith Butler. Butler meint ein Phänomen, das durch wiederholtes Handeln und sprachliches Zuschreiben fiktive Zustände als Faktum zu konkretisieren weiß. Wir meinen es als ein Phänomen, dass das von Butler erweitert, sodass sich fiktive Zustände und Perspektive auch durch wiederholtes empirisches Empfinden konkretisieren können. Dazu aktivieren wir unsere Empfindungs- und Wahrnehmungsapparate, um die rezeptive Ebene des Körpers.
Im Gestus der Performativität findet ein Kunstwerk sein Finale nicht etwa in dessen Produktion und Vollendung durch die Künstler_in, auch nicht in der Rezeption durch die Betrachter_in, sondern schließlich in der durch den Akt der Rezeption antizipierten Perspektive, mittels derer sich unsere kulturelle Gegenwart performativ, konzeptiv gestalten lässt. Thun-Hohenstein spricht in Anlehnung an José Esteban Muñoz vom „performativen Welten machen“.82 Performativität „[…] wendet sich radikal gegen das kartesianisch-kantisch-euklidische Weltbild, welches das Ich zum distanziert beobachtenden, prinzipiell passiven Subjekt erzogen hätte. [Es] prononciert stattdessen die Bedeutung von empirischem Erfahren zur Erkenntnis von Wirklichkeit als für die Kunst der Moderne entscheidende Komponente.“83 Pawel Florenskij, den Thun-Hohenstein auch an anderer Stelle zitiert, schreibt: „Das Ziel des Künstlers ist die Umgestaltung der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit jedoch ist nur eine bestimmte Organisation des Raums; und folglich ist es die Aufgabe der Kunst, den Raum umzuorganisieren, das heißt ihn auf eine neue Weise zu organisieren, ihn auf eigene Weise einzurichten.“84 Dieser Raum muss also unmissverständlich als Möglichkeit zum performativen Weltenmachens, gar als performative Welt selbst gelesen werden. Er ist inskribiert in ein meta-physisches Koordinatensystem, das das bisherige Bezugs- und Bewertungssystem der Kunst in ihren eindimensional analytischen Grundstruktur erschüttert und schließlich ablöst. Dieser Raum kann niemals von Körper entkoppelt erfahren werden, da er gleichzeitig durch Körper produziert und rezipiert wird und nur auf Grundlage dessen prozessualer Konstitution existiert.85
In Performancekunst ist Körper zentral. Körper ist prozessual und aktiv an der Konstitution von Räumen beteiligt. Performativität meint also auch, und in gewisser Weise inklusiv, eine Kunstströmung, die historiographisch eine kategoriale Abgrenzung von vorgängigen Strömungen vollzieht, begründet durch die produktive Beteiligung des Körpers am Kunstwerk selbst. Performativität verleibt sich das Medium der Performance ein und befreit die Kunst von ihrem Status der Objekthaftigkeit zugunsten einer handlungsbasierten, künstlerischen Ausdruckskraft. „Theoretiker und Philosophen wie Walter Benjamin, Antonin Artaud, Jaques Lacan und Michel Foucault haben in Korrespondenz mit dem Surrealismus […] die Position des Körpers als Austragungsort und Matrix jeglicher Kultur definiert und diesen für die Kunst nicht nur in seiner repräsentativen Dimension, sondern vor allem auch als reale Gegenwart emanzipiert“86 Die Beschäftigung mit dem Körper als Zeichenträger, Austragungsort und gleichzeitig künstlerischen Produzenten steht gewissermaßen in Tradition der Surrealisten, neben Salvador Dalí, Andre Breton auch Antonin Artaud, und emanzipiert sich von deren Auseinandersetzung mit dem Körper als physiognomischen und psychologischen Apparat, zu einer aktiven Agentialität. Und dabei ist, um in Erinnerung zu rufen, Körper agentiell aktiv sowohl auf Seite der Produktion als auch der Rezeption,– sofern sich hier noch die Konzeption von Seiten aufrechthalten lässt.
Wir unterscheiden Performance von Performativität, denn Performativität agiert auf metaphysischer Ebene, die sich den physischen Akt der Performance einverleibt hat. „Performanz in der Kunst manifestiert sich […] in der Wechselbeziehung zwischen Gestus und Objekt/Körper und konstituiert dabei eine mehrdimensionale Matrix.“87 „Performativität [hingegen] ist ein ungleich tieferer Prozess, der in die eigentlichen Strukturen des Kunstwerks und in der Folge in das gesamte System Kunst eingreift.“88 Dieser Eingriff ist das, was Weltenmachen bedeuten kann.
„Auch wenn geschichtsphilosophische und kulturpolitische Konstrukte nicht unmittelbar mit künstlerischen Raumkonzeptionen gleichgesetzt werden können, werden inzwischen doch in der avantgardistischen und zeitgenössischen Moderne nicht nur modellhaft Raumkategorien entwickelt, erprobt und umstrukturiert, sondern in der Folge wie in einer Laborsituation praktisch angewandt. Denn die Kunst hat im Lauf ihrer Anbindung an szientifische Gestaltungsmodelle durchaus den Anspruch erhoben, mit den von ihr entwickelten perzeptiven Zugriffen auf die Raumvorstellung wirklichkeitsgestaltend beziehungsweise -verändernd zu wirken – und dabei eine agitativ-analytische und keine systemstabilisierende Position einzunehmen. […] Erst die Erschließung des Raumes, die von der Avantgarde bis heute geforderte und erkämpfte Erweiterung der Gestaltungs- und Diskursmöglichkeiten über die Repräsentanz, das Symbol, den Text, die Fläche, den Körper und damit das unmittelbare Subjekt hinaus haben der Kunst jenen umfassenden Stellenwert gegebenen, der ihr heute bei der Mitgestaltung von Lebensrealitäten zukommt […]“89
Wenn ich also einleitend schreibe, dass ich meine kosmischen Knoten, als die gesprächssituative Gegenüberstellung von Hélène Cixous und Rosi Braidotti, ergänze mit künstlerischen Positionen, meine ich konkret Positionen deren Werk als Vollzieher der Performativität und sodann als arbiträre Räume gesehen werden können. Ich begegne ihnen in kurzen Identifizierungsumarmungen,90 obgleich sie stellenweise selbst Identifizierungsumarmungen anderer Entitäten sind. Ich nutze Performativität als Bewertungskriterium, beziehungsweise das Koordinatensystem des arbiträren Raumes, um anhand dessen in die Arbeiten meiner Künstlerinnen einzuführen, die einen real körperlichen Bezug im Sinne von Performance sogar stellenweise entbehren. Virginia Woolf schreibt und Performativität in ihrem Werk lese ich auf eine Weise, welche ohne Woolfs physische Beteiligung vermittelbar wird. Ich lese sie als Weltenmachen und erschließe mir diese in meiner eigenen perzeptiven, körperlich und kognitiv erfahrenden Rezeption von Virginia Woolfs Literatur. Genauso und auf unterschiedliche Weise begegne ich den Werken von Karen Barad, Nancy Spero, Anna Mendieta, und Susan Sontag, die ich hier durch mich gesprochen, durch meine performative Kunstgeschichtsschreibung zu Wort kommen lasse.
01 – EINLEITUNG/AMBIVALENZ (FREMDELN)
Ich bin Alina und von mir geht eine nichtendendwollende Suche nach einem inneren Kern aus, der mich als schriftstellerisch und künstlerisch tätige Position begreifen lässt. Ich suche nach Kongruenz, denn diese, als gefasste Subjektivität, erscheint mir als die erstrebenswerteste aller Formfragen. Ich suche nach Slogans und schmücke mich mit Symbolen, die unmissverständlich auf die in Form gegossene Einheit meiner künstlerischen Persönlichkeit hinweisen. Meine Identität soll in einer Hand zu greifen sein, so kannst du mich gleich weiterreichen an die nächste Person und Institution, die mit mir spielen und mich sich einverleiben will.
“What is astonishing about voice is, that although it’s always compelled to be a signifier for what you are as a person, you, your voice, meaning you as an identity, it inherits so much ambivalence. There is that the sound, you formed in its very material substance, formed within your mouth, heard in your head, differs very much from the sound, that resonates in the else’s head you’re talking to. Think of audio recordings or voice messages. Also, what you imply as a meaning, mustn’t proliferate congruently in the subjective reception of the else, you’re talking to.”91
Diverse metaphorische Implikationen ranken sich um das Subjekt Stimme, als Indiz einer in besonderem Maße statuierten Identifikation mit einem bestimmten Selbst. Eine Stimme haben heißt ein mündiges Subjekt zu sein. Auch entlang der Materialität einer Stimme lässt sich vermeintlich die Individualität eines Selbst, als gewisser Wiedererkennungswert, bemessen. Und dennoch ist Stimme eigenwillig, nicht immer ganz kongruent mit dem Bewusstsein meines Selbst,– denn höre ich meine Stimme in einer tonalen Reproduktion, fühle ich mich fremd, kaum identifiziert mit ihr.
Da ist also einerseits die Materialität der Stimme, die Tonalität, Rhythmik und Melodik, die wir vermeintlich als ein individuelles Spektrum ein und dergleichen Person attestieren.92 “A brief look at the Oxford English Dictionary shows us that the most basic, literaI meaning of ‘voice’ – ‘the sound produced by the vocal organs of humans or animaIs, considered as a general fact/phenomenon’– is secondary in importance to a meaning that fuses a basic, literaI sense to the notion of voice as an index or signal of identity: sound produced by and characteristic of a specific person/animal.”93 In einem einfachen Selbstexperiment begegne ich meiner eigenen Stimme, die meinem äußeren Umfeld so geläufig, mir innerlich doch so fremd erscheint, in einer tonalen Reproduktion. Entgegen der Annahme, Stimme berge in ihrer Tonalität ein besonderes Maß an Identifikations- und Wiedererkennungspotential, kann ich mich selbst kaum identifizieren mit dem, was mir in diesem Experiment zu Ohren kommt. Meine Stimme ist mir fremd. Sie ist äußerlich und innerlich nicht kongruent.
Ziehe ich die materielle Beschaffenheit von Stimme in Betracht, drängt sich mir unweigerlich der Mund als Organ auf, “[…] that operates, performs, as that architecture or vessel or stage—the mouth has many descriptions . . .—that gives form to voice, and that is informed by the push and pull of an oral drive.”94 Der Mund ist die physiologische Verbindung von innen und außen, die Verbindung meiner physischen Mitte mit der Außenwelt. Dieser gewährt mein Mund, entlang meines Schlunds, Einsicht in mein Inneres. Und dieses Innere ist die metaphysische Mitte, der Kern meiner Selbst, die sich durch meine Stimme, entlang meines Schlunds und durch meinen Mund nach außen ausdrückt. Stimme ist also Ausdruckskraft eines bestimmten Subjekts (human-agency), um welche sich als solche Assosziationen bilden: “[A]ssociations that are made daily in our common parlance: we ‘find’ our ‘voice’ or discover an ‘innervoice’; we ‘have a voice’ in matters or ‘give voice to’ our ideas; we ‘voice concern’ and are ‘vocal’ in our opinions.”95 Wird Stimme non-human agencies zugeordnet, dann als ein “powerful way of making them intelligible, of endowing them with will and agency.”96
Stimme ist sogar Anstoß meiner Argumentation eines inkongruenten Selbst, das ich später als die von einem Subjekt ausgehende, räumliche Arbitrarität theoretisieren werde. Ein inkongruentes Selbst, durch Stimme konstituiert, ist ein Selbst, das sich durch eine der Stimme auf metaphorischer und materieller Ebene impliziten Ambivalenz ausdrückt. Diese Ambivalenz spielt also verschiedene Saiten der Stimme an. „Voice is both a sonic and material phenomenon and a powerful metaphor, and this is what makes it complex and interesting.”97 Stimme ist der Anstoß meiner Argumentation, genauer gesagt ist es deren Ambivalenz, die sich später mehr auf das Diskursfeld von Sprache und dessen Arbitrarität verschieben wird. Wenn ich also von einem arbiträren Raum, als die räumliche Artikulation des poststrukturalistisch feministischen Subjekts, durch Körper und Sprache konstituiert, spreche, dann meine ich Stimme implizit, denn Stimme ist unweigerlich mit Körper verbunden. Der Mund ist die physiognome Verbindung zwischen Körper und Sprache. Über den Mund, die viszerale Vessel, bringe ich meine Stimme in die Welt. „The mouth functions to figure and sustain the body as a subject, a subject within a network of relations.”98 Der Körper, der Mund, die Stimme, die Sprache sind also subjektivierende Kraft des Selbst.
Deshalb spreche ich.
02 – DIFFUSITÄT (VIELE)
Die zahlreichen Stimmen in mir setzen zu einem gemeinsamen Ton an. In einem Konzert teilen sie einen gemeinsamen Auftritt. Ich bin die dichte Materie, die sie verlautbar macht. Sie setzen zu einem Ton an, doch zu Gehör gelangen Disharmonie und Dissonanz.
Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Karen Barad. „When two hands touch, there is a sensuality of the flesh, an exchange of warmth, the feeling of pressure of presence, a proximity of otherness that brings the other nearly as close as oneself, perhaps closer. And if two hands belong to one person, might this not enliven an uncanny sense of the otherness of the self, a literal holding oneself at a distance, in the sensation of contact, the greeting of the stranger within. So much happens in a touch, an infinity of others, other beings, other spaces, other times are aroused […] hence self-touching is an encounter with the infinite alterity of the self.”99 Angenommen ich bin Materie, konstituiert aus einer Teilchenmenge, innerhalb derer jedes Quantenteil eine in sich abgeschlossene Entität ist und in konstanter Berührung zueinander steht, dann berühre ich mich selbst, sie wie Karen Barad sagt. Mit dieser Vorstellung von Selbstberührung leite ich meine Thesis ein, denn das poststrukturalistisch, feministische Subjekt, durch Körper und Sprache konstituiert, ist ein Subjekt, das sich affirmativ den Hundertschaften innerer Teilchen gegenüber verhält, – eine megalomane Umarmung aller mir innerlichen Teilchen und sogar die meiner Außenwelt.
Ich zitiere Karen Barad und versuche durch ihre Expertise ein Basiswissen über Quantentheorie zu installieren, das mir helfen soll meine megalomane Umarmung nachvollziehbar zu machen als potentielle Gleichzeitigkeit aller Teilchen in Berührung zueinander:
„Quantum field theory differs from classical physics, not only in its formalism, but in its ontology. Classical physics inherits a democritian ontology, only particles in the void, with one additional element: fields. Particles, fields, and the void are three separate elements in classical physics, whereas they are introrelated indeed constitutive elements in quantum field theory. […] That particles no longer take their place in the void. Rather they are constitutively entangled with it.”100
„How does quantum field theory understand the nature of matter? Let us start with the electron, one of the simplest particles, a point particle, a particle devoid of structure. […] Even the simplest bit of matter, now causes all kinds of difficulties for quantum field theory. For as a result of time being indeterminacy, the electron does not exist as an isolated particle, but it’s always already inseparable from the wild activities of the vacuum. In other words, the electron is always already interacting with the virtual particles [z.b. ein virtuelles Photon, das das Elektron ausstrahlt und später wieder absorbieren wird] of the vacuum in all possible ways. For the example, the electron will emit a virtual photon, […] and then reabsorb it. This possibility is understood as the electron electromagnetically interacting with itself. […] In addition to electron exchanging a virtual photon with itself that is touching itself, it is possible for the ritual photon […] to enjoy other interactions with itself. For example, the virtual photon can metamorphose […] it’s very identity, it can transform into a virtual electron positron pair that subsequently annihilate each other and morph back into a singular virtual photon before it is reabsorbed by the electron. […] And this so on is a shorthand for an infinitive set of possibilities involving every kind of interaction with every possible kind of interaction with every possible kind of virtual particle they can interact with. That is there is a virtual exploration of every possibility […] – entails a particle touching itself and the particle that transmits the touch, touching itself. And then that touching itself and transforming and touching other particles that make up the vacuum and so and, ad infinitum.”101
Wenn ich Punkte mit Linien verbinde, entsteht kein Rhizom. Es entstehen Gesprächsfäden, die ihrem Wesen nach keine schlüssigen Argumente sind, sondern ein unaufhörlicher Schwall wilder Worte in hitziger Diskussion.
Ich bin Alina und ich bin nicht eine Stimme, sondern viele. Diese Stimmen, die da in lautem Stimmengewirr mein Inneres beben und mich nach außen aufgeregt und schrill klingen lassen, sprechen weder die gleiche Sprache noch treffen sie gemeinsam einen Ton. An ihnen scheinen alle Kolonialisierungsversuche abgeprallt zu sein. Ihre Dialekte sind so dermaßen verworren, dass sich keine Zugehörigkeiten mehr feststellen lassen, was ich als ein inklusorisches, diversitäres Sprachverhalten festhalten mag. Fest steht, dass dadurch kein zusammenhängendes, sinnbildendes Gespräch entstehen kann. Die Regeln der mir äußerlich bekannten Gesprächskulturen sind in meinem Inneren gänzlich ausgesetzt. Hier gelten keine Tabus, genauso wenig wie Totalitätsansprüche gegenüber dem was entlang meiner Stimmbänder sich nach außen verlautbar macht,– kein richtig und falsch innerhalb einer Argumentationshierarchie. „Many voices speak here [in mir] in the interstices, a cacophony of always already reiteratively interacting stories. These are entangled tales. Each is diffractively threaded through and enfolded in the other. Is that not in the nature of touching? Is touching not by its very nature always already an involution invitation invisitation wanted or unwanted, of the stranger within.“102
Ich bin Alina und ich bin kein konkreter Kern, sondern diffus und bloß ein Dichteaufkommen von Quantenteilchen. In mir kondensieren sich diese Teilchen zu einer äußeren Form. Ich bin das Gesicht, das wir gemeinsam nach außen tragen. „[Unsere] identity is the undoing of identity. Its very nature is the unnatural, not given, not fixed but forever transitioning and transforming itself. Electrons rebirth themselves in their engagement with all others, not as an act of self-birthing, but in an ongoing recreating that is an un/doing of itself.”103
Ich bin Matter Materie.
„Matter is never a settled matter. It is always already radically open. […] [T]ouching, sensing is what matter does or rather what matter is. Matter is condensations of responses to the desires, desiring to be in touch, a collective responsiveness […]. Matter is a matter of untimely, an uncanny intimacy, condensations of beings and times.“104
Ich bin Alina. Ich bin diffus. Ich bin Teilchenmenge von enormer Potentialität.
03 – LACHEN (LAUT)
Die zahlreichen Stimmen in mir setzen zu einem gemeinsamen Ton an. In einem Konzert teilen sie einen gemeinsamen Auftritt. Ich bin die dichte Materie, die sie verlautbar macht. Sie setzen zu einem Ton an, doch zu Gehör gelangen Disharmonie und Dissonanz, – ein schiefer Ton, den das Publikum nicht auszuhalten weiß. Das Publikum verlässt den Saal. Kränkelnd ziehen sich die Stimmen von der Bühne ihres Auftritts zurück, zurück in die Dichte meines diffusen Kerns. Auf der Bühne bleibt meine Außenhaut, die steht bis der Vorhang fällt. Ich lache laut und meine Stimmen ungestüm. Lachen ist in allen Sprachen gleich. Lachen ist laut, schrill, organisch und viszeral, es ist oral und aural und physische Erschütterung. Es erschüttert mich, meine Bühne und mein Publikum.
Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Nancy Spero. In ihren Arbeiten überlagert sie ein Sammelsurium aus gedruckten Zeichnungen und Texten. In diesen tauchen immer wieder die gleichen Gestalten auf. Es sind die Frauenfreundinnen von Nancy Spero, die sie als Teil ihrer Sammlung stempelnd auf das Papier druckt. Spero streicht ihnen, ihren Druckvorlagen, Farbe an und verleiht ihnen Körper und Kontur. “It’s been such an accumulation, from about 1981 on or so. First, it started with making plates of her own images. So that there could be repetition. And then those sort of grew, and the family, the lexicon, of figures grew and grew and grew and now we’ve got like two hundred of these female figures.”105 Eine dieser Frauenfreundinnen ist auch meine. Sie wiegt sich in sanfter Bewegung. Ihre Arme fallen ihr weich in den Rücken. Ihr Rumpf ist angespannt, festentschlossen gleich dem Ausdruck, den sie auf ihren Lippen trägt. Ihre Brust ist geschwollen und reckt sich empor. Sie ist Legionärin und mit ihr ziehen unzählige Frauen auf das Feld. Sie ist Protagonistin in Speros Geschichtsneuschreibung, festentschlossen sich Mythen und Kultur zu eigenen zu machen. „[T]hese are women who are taking power through their body or taking power through their voice.”106 Spero zeigt Körper von Kriegerinnen. Eine von ihnen streckt uns ihre Zunge entgegen. Ich lese sie als eine andere Medusa. In der griechischen Mythologie entstellt Athene, die Göttin der Weisheit, Medusa mit Schlangenhaar. Spero zeichnet das Bild ihrer anderen Medusa mit schlangenhafter Zunge, mit der diese ihre Stimme zum Angriff erhebt. Speros Figuren tragen viszerale Farben. Farben, die die Eingeweide betreffen und sie nach außen kehren, sowie die Zunge dieser anderen Medusa uns Einblick in ihr Inneres gewährt. Aus dem Inneren ergießen sich, in diesen kraftvollen Farben, Stimmen die fordern und verlangen. Diese Pose der herausgestreckten Zunge und deren Farben ist frei von Femininitätsstigmata weiblicher Sexualität, von Zartheit und Keuschheit. Medusa ist unkeusch und sie weiß, was sie will. Sie will die Geschichte neu schreiben. Körper und Sprache werden zu ihren Emblemen, die sie als ihre Waffen nach außen trägt. Ihr Lachen ist laut und die Klangfarbe ihrer Singstimme ist ungestüm.
04 – KÖRPER, LIBIDO UND SCHREIBEN (DURCH UND MITTELS)
Mich in tosenden Bächen, reißenden Strömen ergießend,
In Worten, mehr als meine Gedanken tragen,
mich Ungestüm.
Ich bediene mich der Naturgewalten als Metapher und will es damit Hélène Cixous und Rosi Braidotti gleichtun. Ich versuche in die Sprache dieser beiden hineinzuschlüpfen, um mich durch das befreiende Los einer Gästin spielerisch darin zu bewegen. Intuitiv möchte ich schreiben, nicht ausgehend eines vermeintlich mir innewohnenden ureigentümlichen Kraft. Befreit von diesem Stigmata des literarisch schreibenden, kongenialen Autorinnen-Ichs, schreibe ich aus dem unerschöpflich fließenden Quell dessen, was ich bin und sein werde. Ich versuche mich in den Thesen von Cixous und Braidotti, als körperlich ungestümes Wesen. Ich bin im Werden und als diesen werdenden Wesenszustand versuche ich zu Wort zu kommen.
Hélène Cixous bietet in Das Lachen der Medusa unterschiedliche Lesarten des weiblichen Körpers als Beteiligungsfaktor der weiblichen Stimme bzw. des weiblichen Schreiben an. In fünf verschiedenen Motiven versuche ich hermeneutisch darzulegen, wodurch sich der Körper als Beteiligungsfaktor laut Cixous konstituiert:
Motiv 1 – Körper als Ort der Verletzung und Verletzlichkeit (Quelle des Widerstands)
Motiv 2 – Körper als Ort der Verbindung und Gemeinschaft (Quelle der Solidarität)
Motiv 3 – Körper als Ort der Leidenschaft und Begehrens (Quelle der Emotionalität)
Motiv 4 – Körper als Ort intuitiven Wissens/als Zugang zum Unbewussten (Quelle der Imagination und kreativer Intuition)
Motiv 5 – Körper als Ort der Verbindung zur Umwelt und Natur (Quelle der Affirmation des Anderen)
In die Sprache von Cixous und Braidotti hineinzuschlüpfen ist ein Versuch Körper in meinen Texten zu aktivieren. Darüber, dass sich die körperliche Beteiligung von Braidotti und Cixous nicht einfach durch eine starke Metaphorik naturbeladener Bilder antizipieren lässt, bin ich bewusst. Aus meinem Körper allerdings spricht Skepsis, Tochter des Logos und dessen, was Cixous das phallogozentristische Diktat nennen mag. Sehnsüchtig, mich den Spielregeln dieses Diktats zu entziehen, ersuche ich Schreiben als körperlichen Akt in mir frei zu setzen. Ich versuche mein Begehren sprechen zu lassen und die Differenz, dem Anderen affirmativ zu begegnen und es zugleich in mir zu kultivieren. Das Ungestüm meiner Selbst, das poststrukturalistische Subjekt, nicht weiter in der Linie von Logos und Kongruenz zu formen, sondern es freisetzen, es fliegen lassen. Ich möchte meinen Körper wogend aufbegehrend sprechen lassen, ich möchte frauenstürmisch sein, mich in tosenden Bächen, reißenden Strömen ergießen, mich ungestüm zu Wort und in die Welt setzen.
Audre Lorde, The Uses of the Erotic, 1984, steht mir hilfestellend zur Seite um Cixous, insbesondere in Beziehung zu ihrer Theorie der libidinösen Ökonomie, zu verstehen. Diese ist in queeren und queer-feministischen Theorien in Kritik geraten, als da sie gezeichnet ist von Gesten des Gebens, des Gebärens und der Großzügigkeit des weiblichen Geschlechts. Cixous perpetuiert ein stereotypes Bild der Frau als mütterlich nährend und großzügig gebend, das Judith Butler in dieser Schleife der Perpetuation performativ in der Gegenwart manifestiert sieht. Auch ist Cixous libidinöse Ökonomien nicht mehr hinsichtlich eines Ur-Verlangen, eines Ur-Ich argumentierbar. Wenn ein Ur, dann zumindest eines, das allen gemein ist, und kein weibliches Ur entlang binärer Geschlechtsidentitäten abgrenzt.
Lieber lese ich Cixous Libido Ökonomie in Zusammenhang damit, was sie in Versalien schreibt: ANDERE LIEBE. Cixous argumentiert, ohne des strukturellen Effizienzgedenken des Patriarchats, lägen Logos und Telos allen Wesensformen fern, vereint in der ANDEREN LIEBE, der Liebe zu Chaos und Differenz.
Auch Audre Lordes Argumentation nimmt ihren Ausgang bei der Unterdrückung der Frau, konkret der Unterdrückung ihrer erotischen Gefühlswelt: „The erotic is a resource within each of us that lies in a deeply female and spiritual plane, firmly rooted in the power of our unexpressed or unrecognized feeling.“107 „The erotic is a measure between the beginnings of our sense of self and the chaos of our strongest feelings. It is an internal sense of satisfaction to which, once we have experienced it, we know we can aspire. […] Once we know the extent to which we are capable of feeling that sense of satisfaction and completion, we can then observe which of our various life endeavors brings us closest to that fullness.“108 Die Erfüllung dieses Sense of Setisfaction steht in Lordes Erstreben. Sie argumentiert explizit, dass The Erotic dabei nicht begrenzt ist auf sexuelle Lust, sondern alle Lebensbereiche betrifft. The Erotic ist als Codex untrennbar mit unseren Körpern verbunden, anhand derer sich The Sense of Setisfaction empirisch und emotional erfahren lässt.
“The very word erotic comes from the Greek word eros, the personification of love in all its aspects—born of Chaos, and personifying creative power and harmony. When I speak of the erotic, then, I speak of it as an assertion of the lifeforce of women; of that creative energy empowered, the knowledge and use of which we are now reclaiming in our language, our history, our dancing, our loving, our work, our lives.“
Auch in Lordes Theorie hat die ANDERE LIEBE einen besonderen Stellenwert: “The need for sharing deep feeling is a human need.” Diese ANDERE LIEBE, The Erotics, ist nicht genetisch, nicht geschlechtlich, sondern kollektivistisch. Sie ist Chaos und Braidottis Chaosmosis.
Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Ana Mendieta. Der Versuch mich ihren Siluetas, 1973–80, hermeneutisch anzunähern ist überlagert von dem undurchdringlichen Wunsch meinen Körper selbst in so liebevoll umarmender Weise mit den Elementen der Natur zu vereinen. Mendieta schreibt sich selbst und ihren Körper in die Genealogie und Geologie der Erde ein. Ich lese ihre Serie Siluetas sowohl als Body Art und Videoperformance, doch durch diese Kategorien würde ich Mendieta nicht gerecht. In Dauerschleife zeigen ihre Videos unwahrscheinlich still und regungslos den Akt der Performance. Ihr Körper wird zum Stillleben und als bildnerische Skulptur Teil der Gesamtposition. In den frühen Werken dieser Serie ist Mendieta selbst, als der Körper der Autorin, zu gegen. Später tritt sie als Gestalt in den Hintergrund. Ihre Siluetas verbleiben als skulpturale Spuren in der Erde. Sie selbst ist also Teil dieser Spur, allerdings in ihrer Rolle als Autorin etherisch und bloß als symbolisches Emblem in Erinnerung anwesend.
Mendieta schreibt sich in die Erde ein und behauptet sich selbst als deren Bestandteil. Diesen Akt des körperlichen Schreibens lese ich als einen, zwar nicht textlich, aber deshalb nicht minder literarischen Akt des Schreibens wie Hélène Cixous. Mendieta schreibt nicht aus ihrem Körper, aus einem durch Cixous theoretisierten Körperwissen, sondern sie schreibt sich mittels ihres Körpers in die Erde ein. Ihr Körper sind ihre Buchstaben. Sie hinterlässt sie als Abdrücke, die bloß momentan erhalten und keine dauerhaften Wunden tragen. Mendieta ist nicht besonders laut, sogar ganz still und partikular und in ihren Arbeiten beschäftigt mit der intimen Verbindung zwischen der Natur und ihr,– einem reziproken Verhältnis, um an Cixous anzuknüpfen: Mendieta schreibt sich mittels ihres Körpers und durch ihren Körper gesprochen in die Welt. Körper ist also Buchstaben und nach Ausdruck strebende, innere Kraft.
In ihrer frühen Videoperformance Burial Pyramid, 1974, wird dies überdeutlich. Mendietas Körper ist darin als Teil eines geologischen Steinmassivs zu sehen. Sie hat ihren Körper in eine Kuhle gelegt und sich mit losem Gestein begraben. Ihr Körper verweilt darunter lebendig und atmet schwer. Mit jedem Atemzug reckt sich ihre Brust empor und von ihr fällt Gestein. Ich denke in dieser Szene agiert Mendieta als Bildhauerin. Sie vollzieht den Akt des Bildhauens auf umgekehrte Weise. Sie selbst setzt sich als Teil der Genealogie und Geologie des Steinmassivs voraus, und das Atmen ihres Körper ist derjenige Akt, der ihr Skulptur verleiht. Ihr Körper greift aus dem Massiv in das Negativ, als eine intrinsische bildhauerische Kraft,– eine Skulptur, die sich aus ihrem Inneren formt.
Mendieta schreibt dann aus ihrem Körper, als Teil der Erde, heraus und auf die Erde ein,– als eine Variante dessen, was Hélène Cixous mit körperlichem Schreiben meint.
05 – GESPRÄCH (IN I)
Ich zitiere hier aus dem Klappentext einer Buchpublikation zu Hélène Cixous und Jacques Derrida:
„Die […] versammelten Beiträge folgen den Windungen eines doppelten Dialogs […] ein lebenslanges Gespräch zwischen zwei Schreibenden – Hélène Cixous und Jacques Derrida, welche das Schreiben selbst als fortwährende Konversation begreifen: nämlich zwischen Texten und dem, woran sie sich im Konkreten entzünden. Dieses Konkrete, jenseits des erklärten ‚Themas‘ einer Schrift, ist der Alltag in seinem Allergewöhnlichsten und höchst Partikularen. Es ist der Alltag, wie er im Anekdotischen sich mitteilt.“109
Meinen arbiträren Raum möchte ich nicht über Pilzgewächse, Rhizom oder Myzel, illustrieren. Das Bild dessen kann dem tatsächlichen Raum nicht entsprechen, doch sofern ich diesen als materiell manifestiert betrachte, muss ich ihn auch als solchen behandeln. Die Formation eines Pilzgewächs würde dem nicht gerecht. Wie aber tritt dieser Raum dann in Erscheinung?
Mein arbiträrer Raum ist vom Subjekt ausgehend und gleichzeitig das Subjekt umgebend, er ist inkonsistent und inkonstant. Ein Rhizom kann keine geeignete räumliche Analogie sein, da es volumetrisch ist und sich nach außen formal abgrenzt, also den Eigenschaften eines architektonischen Raumes nahezu entspricht. Ein Gespräch dagegen scheint die passendere Analogie. Es spannt sich netzwerkartig zwischen zumindest zwei Fixpunkten auf. Seine Linien sind flatternde Wortfetzen. Ein Gespräch ist räumlich weder abzugrenzen noch volumetrisch anzufassen. Ich bin kein nährstoffverteilendes Pilzgewächs. Ich bin ein Gespräch.
Ich bin das, woran sich das Anekdotische entzündet. Ich bin der überbordende Dialog zwischen Hélène Cixous und Jaques Derrida.
Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Virginia Woolf. Hélène Cixous Essay vollzieht kunstvoll einen tänzerischen Seil-Akt entlang der Linie ihres Textfadens. Die Linie eines syntaktischen Wortzusammenhangs lässt sich nicht im geschützten Raum eines Vakuums lesen, das auszuschließen vermag, dass sich während des Lesens ein Kosmos abseits des Konkretem auftut, der mich in ausufernden Motiven denken lässt, bis die Konsequenz des folgenden Satzes mich brandet, so wie Virginia Woolf ihre Protagonistinnen in The Waves. Woolf illustriert die zirkadianische Bewegung der Welle und der Nacht. Der Morgen liegt im Tau: „Die Sonne stieg höher. […]. Als das Licht zunahm, platze hier und da eine Knospe und schüttelte Blüten hervor, grüngeädert und bebend, als hätten die Anstrengungen des Aufgehens sie ins Schaukeln versetzt, und ein feines Glockenspiel ertönte, wie sie mit ihren zarten Klöppeln gegen ihre weißen Wände schlugen. Alles wurde sanft und formlos […].“110 Und der Tag sich allmählich der Sonne neigt: „Die Sonne stand nicht mehr mitten am Himmel. Ihr Licht neigte sich, fiel schräg. Hier verfing es sich am Rande einer Wolke und ließ sie als Lichtscheibe auflohen, eine lodernde Insel, auf der kein Fuß rasten könnte. Dann wurde eine andere Wolke im Licht gefangen, und dann noch eine und noch eine, sodass die Wellen darunter von feurig gefiederten Pfeilen getroffen wurden, die erratisch über das bebende Blau schossen. […] Die Wellen stauten sich, krümmten ihre Rücken und zerbarsten. Sie schossen um die Felsen, und die Gischt sprang hoch auf und bespritze die Wände einer Grotte, die vorher trocken gewesen waren, und ließ landeinwärts Tümpel zurück, in denen ein gestrandeter Fisch mit seinem Schwanz schlug, als die Welle sich zurückzog.“111 Und sich die Dunkelheit der Nacht über den Himmel spannt: „Jetzt war die Sonne untergegangen. Himmel und Meer waren nicht zu unterscheiden. Die Wellen brachen sich und breiteten ihre weißen Fächer weit über den Strand, sandeten weiße Schatten in die Winkel tönender Höhlen und rollten dann seufzend über die Kiesel zurück. […] Die Substanz war aus der Festigkeit der Hügel gewichen. […] Als gingen Wellen von Dunkelheit durch die Luft, bewegte die Dunkelheit sich weiter, überzog Häuser, Hügel, Bäume, so wie Wasserwellen die Seiten eines versunkenen Schiffs umspülen.“112
„Die Wellen brachen sich am Strand“113
Virginia Woolfs sechs Protagonist_innen Bernard, Louis, Neville, Rhoda, Jinny und Susan sind alle durch die Banden ihrer Leben miteinander verwandt. „Ihre Stimmen evozieren die Intensität der Kindheit, die Zuversicht und sinnliche Erfahrung der Jugend, das Losgelöstsein des mittleren Alters. Sinneswahrnehmungen, Emotionen, Reflexionen kommen und gehen im Fluss des Erzählstroms wie die Jahreszeiten, wie die Wellen, die Sonne.“114 Besagt der Klappentext und so beschreibt auch Braidotti Virginia Woolf: „Virginia Woolf’s work reflects admirably the dual structure of time: the linear one – Chronos – and the undifferentiated one – Aion. Being and Becoming confront each other in an unsteady balance. Aion is the ‘pure empty form of time’, free of content, which is shot through with vibrations of becoming. If this be chaos, it is not chaotic, but generative.“115
In intimen Monologen reflektieren und referenzieren die Protagonist_innen ihr eigenes Leben und dieses in Konstellation ihrer Gruppe, “eine kunstvolle Darstellung der Ebbe und Flut ihrer sinnlichen und intellektuellen Erfahrung.“116 Es ist ein Gespräch des Partikularen, das Teilen verwandter Gefühle und Gedanken, das sich nicht auf gesprächlicher Ebene vollzieht, sondern aber in dem reflexiven Sinnen darüber, was die Charaktere der Gruppe eint.
„‘[…]‘, sagte Bernard, ‚[…] – was bin ich? Es gibt nichts Beständiges auf dieser Welt. Wer kann sage, was für eine Bedeutung irgendetwas hat? Wer kann die Flugbahnen eines Wortes voraussagen? […] Von Wissen zu sprechen ist vergeblich. Alles ist Experiment und Abendteuer. Wir vermischen uns ständig mit unbekannten Größen. Was wird werden? Ich weiß es nicht. Aber wie ich mein Glas hinstelle, fällt mir ein: […] Ich bin Bernard, ich selbst.‘“117
Und so sich das Leben windet: „‘[…]‘, sagte Bernard, ‚[…] Die Wahrheit ist, daß ich nicht zu denen gehöre, die in einer einzigen Person Befriedigung finden, oder in der Unendlichkeit. Das private Gemacht langweilt mich, der Himmel ebenfalls.‘“118
Dazwischen vermute ich Aion, das generative Chaos dessen, was sich zwischen unseren Konstanten seinen Weg bahnt. Es ist der Alltag, „der Alltag in seinem Allergewöhnlichsten und höchst Partikularen. Es ist der Alltag, wie er im Anekdotischen sich mitteilt.“119
06 – IDENTIFIZIERUNGSUMARMUNGEN (IN II)
Ich möchte das Andere in mir anerkennen. Dieses Andere soll blühen, ich habe die Saat schon gesät.
Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Sophie Calle. Cixous Identifizierungsumarmung lässt mich sofort mit Sophie Calles Arbeit assoziieren. Sophie Calle ist in ihren Performances den von ihr per Zufall auserwählten Personen als Verfolgerin auf der Spur. Indem sie sich an deren Fersen heftet, schlüpft sie zeitverzögert in deren Leben und Persona. Sie schreibt sich diesen Personen ein, als ein Akt den ich nicht als Selbstverlust, sondern Selbstpotenz verstehen mag. Sie drängt diesen Personen ihre eigene Perspektive auf. Durch ihren distanzierten Blick projiziert sie sich selbst auf diese Personen als ihre Leinwand und Spiegelfläche. Sophie Calle taucht später in meinen Performances auf, daher richte ich das Wort nun an eine andere meiner Heroinnen, Susan Sontag.
Ich schlüpfe in Identifizierungsumarmung mit Susan Sontag. Ich bin 16 Jahre und besuche Thomas Mann. Unsere Begegnung halte ich fest in meinem Tagebuch.120 Darin zeichne ich mich, meinen Kinderfreund Merrill und Thomas Mann als plastische Figuren, als eine Anekdote von hohem Erzählcharakter. „ [T]hat was the first shock, that he [Thomas Mann] so resembled the formally posed photograph. The resemblance seemed uncanny, a marvel. It wasn’t, I think now, just because this was the first time I’d met someone whose appearance I had already formed a strong idea of through photographs. […] His resemblance to the photograph seemed like a feat, as if he were posing now. […] He sat very erectly and seemed to be very, very old. He was in fact seventy-two.“121
Ich bin nun 14. Ich mache mich bei dieser Begegnung jünger als ich bin, Wunderkind, dass sich nach Lektüre des Zauberbergs zu einem Gespräch zu Mann persönlich begibt. Später publiziere ich meinen Text im New Yorker. Susan Sontag erklärt das Private zum Anekdotischen und inszeniert sich im Licht öffentlicher Aufmerksamkeit, wie keine andere Literatin ihrer Zeit.122
Dann bin ich doch nicht Sontag. Mit 16 habe ich keine Vorstellung darüber was es bedeutet in der Welt zu sein, und in dieser nach Anerkennung zu streben. Keine Vorstellung darüber, mich selbst mit 16 vor der intimen Leser_innenschaft meines Tagebuchs, die letztlich bloß ich selbst bleibe, als Virtuosin, meinen Altersgenoss_innen mit Vorsprung voraus, vorzustellen, der die Ehre gebührt Thomas Mann, Starautor seiner Zeit, in einem Gespräch zu begegnen.Eine Begegnung über deren Besonderheit ich mir allein der bescheidenen Formhalber, als Kind eines akademischen Elternhauses, bewusst bin: „Getting through the week, awash in shame and dread. It seemed a vast impertinence that I should be forced to meet Thomas Mann. And grotesque that he should waste his time meeting me. […] I had the impression (and this is the part of my recollection that is most touching to me) that Thomas Mann could be injured by Merrill’s stupidity or mine . . . that stupidity was always injuring, and that as I revered Mann it was my duty to protect him from this injury.”123
Ich schreibe so viel Tagebuch und schreiben ist angeblich Wahrheitsfindung. Welche allerdings ist meine, denn wenn ich so entlang dieser Seiten blättere, lese ich keine Kongruenz. Meine Tagebucheinträge sind die Repetition einer Handvoll immer gleicher Gedanken, die sich tagesakutell anders artikulieren. Stellenweise klingen sie so inkongruent,– heute schwer zu verstehen, dass mein tagebuchschreibendes Autorinnenich gestern noch so empfunden hat. Ich repliziere mein Leben, so wie Rosi Braidotti schreibt, eine vielfache Version meiner selbst: „I have kept a diary since the age of eleven and still write it regularly. When my students boast of their digital ‘second life’, I feel a touch of pain in my heart at the thought of the 163 booklets into which I have replicated my life, without even realizing what a burden of responsibility this would create in the long run: some ‘virtual reality’ that is! Writing is living intensively and inhabiting language as a site of multiple others within what we call, out of habit and intellectual laziness, ‘the self”.124
Im Zusammenhang mit meinem Tagebuch spüre ich Cixous Akt des körperlichen Schreibens nach. Hier schreibt zwar keine ureigene Kraft, kein ureigentümliches Autorinnenich, deren Körper sich aus seinem Körperwissen ergießt. Sondern schreibt hier ein immer wieder anderes Ich, das den Akt des intuitiven Schreibens, des ich-lasse-meine-linke-Hand-über-das-Papier-gleiten, als körperlich empfindet. Manchmal nimmt dieser Prozess in mir überhand und überrollt mich mit ordentlich Phantasie, sodass ich beginne meine Einträge auszuweiten um Erzählungen, die bloß im Duktus und der Empfindung des gerade für mich erfühlten Narratives ihre Gültigkeit haben. Schon ein bisschen so wie Susan Sontag. Selbstinszenierung, so dämmert mir, ist nicht bloß destruktive Kraft im Kontext von Instagram, sondern generativ. Die von mir erschaffenen Replikationen meiner Selbst, bleiben bei mir. Sie sind Quell meines Erfindungsreichtums.
Noch während des Gesprächs dämmert es Susan Sontag: auch Thomas Mann schreibt etwas auf sie und Merrill zu, einen Vorstellung, die er auf die beiden appliziert, die dem, was sie bemüht sind zu repräsentieren, weit verfehlt: „He seemed to find it perfectly normal that two local high-school students should know who Nietzsche and Schoenberg were […]. But now, it seemed, he also wanted us to be two young Americans (as he imagined them); to be, as he was (as, I had no idea why, he thought Hemingway was), representative. I knew that was absurd. The whole point was that we didn’t represent anything at all. We didn’t even represent ourselves—certainly not very well.“125
Susan Sontag zitiert Thomas Mann: ‘“I have recently completed a novel which is partly based on the life of Nietzsche,’ he said, with huge, disquieting pauses between each word. ‘My protagonist, however, is not a philosopher. He is a great composer.’”126